Weinstein-Film „She Said“ - „Er nahm mir die Stimme“

Er missbrauchte, vergewaltigte und verleumdete. Und Hollywood schwieg zu den Taten des einst so mächtigen Produzenten Harvey Weinstein. Nun hat die deutsche Regisseurin Maria Schrader mit „She Said“ einen bewegenden Film über die Enthüllungen zweier Journalistinnen gemacht, die den Weinstein-Skandal aufdeckten – und kann dafür auf einen Oscar hoffen.

Szene aus „She said“ / Screenshot Trailer
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Autoreninfo

Ulrike Moser ist Historikerin und leitet das Ressort Salon bei Cicero.

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Ein leerer Hotelflur, auf den Stimmen dringen. Eine Frau sagt immer wieder „nein“. Kleidung und Unterwäsche zusammengeknüllt auf dem Boden eines Hotelzimmers. Ein weißer Bademantel auf einem Bett. Eine laufende Dusche. Dazu die Stimme einer Frau, die berichtet, dass sie sich ins Badezimmer geflüchtet habe und höre, wie Harvey Weinstein im Nebenzimmer masturbiere.

Nicht ein einziges Mal zeigt der Film „She Said“, der Donnerstag in den deutschen Kinos anläuft, Gewalt. Keinen Übergriff, keine Belästigung, keine Vergewaltigung. Nicht einmal Nacktheit. Und doch findet er beklemmende Bilder dafür, was der einst so bedeutende, so mächtige Hollywoodproduzent Harvey Weinstein jahrzehntelang und systematisch jungen Frauen angetan hat, Schauspielerinnen, Mitarbeiterinnen, Models. 

Zwei unbelastete Außenseiterinnen

„She said“ ist der erste Versuch Hollywoods, das eigene Versagen im Umgang mit Weinstein aufzuarbeiten, der um sich ein System der Angst, des Beschweigens und Wegsehens errichtet hatte. Und es ist stimmig, dass zwei Europäerinnen das Projekt anführen, zwei unbelastete Außenseiterinnen, die keine Verbindung zum Filmimperium von Weinstein haben. Die Britin Rebecca Lenkiewicz als Drehbuchautorin. Und Maria Schrader, durch Filme wie „Aimée und Jaguar“ oder „Rosenstraße“ als Schauspielerin bekannt geworden. Und die derzeit wohl erfolgreichste Regisseurin in Deutschland, die jetzt für ihren ersten Hollywoodfilm verdient auf mindestens einen Oscar hoffen kann.
 

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Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch der beiden Reporterinnen Megan Twohey und Jodi Kantor, in dem sie ihre eineinhalbjährige Recherche für einen Artikel in der New York Times schildern, der am 5. Oktober 2017 erschien und in dem mehrere Frauen Weinstein sexuelle Übergriffe vorwarfen. Er trug maßgeblich dazu bei, Weinstein zu Fall zu bringen und machte #MeToo zur globalen Bewegung. Seitdem haben Frauen weltweit über ähnliche Erfahrungen mit Belästigungen und sexueller Gewalt berichtet. Für ihre Enthüllungen über Weinsteins Machtmissbrauch erhielten Twohey und Kantor den Pulitzer-Preis.

Kein Film über Weinstein

Was Schraders Film „She said“ erzählt, ist nur auf den ersten Blick eine klassische Reportergeschichte, die schildert, wie mutige Journalisten sich mit den Mächtigen anlegen und Tag und Nacht und unermüdlich gegen alle Widerstände der Wahrheit zu ihrem Recht verhelfen. Das liegt vor allem daran, dass Schrader einen Film über Frauen gemacht hat. Und aus der Perspektive von Frauen. Männer bleiben Randfiguren, als Ehemänner, Kollegen, Anwälte, Chefs. Selbst Harvey Weinstein, gespielt von Mike Houston, ist nur von hinten zu sehen. „She said“ ist kein Film über Weinstein, den Täter. Sondern über die Opfer. Und die beiden Frauen, die ihre Geschichte recherchieren. Das verleiht dem Film eine schützende, respektvolle Intimität.

Während etwa Bob Woodward und Carl Bernstein im Film „Die Unbestechlichen“ kein sichtbares Privatleben haben, zeigt „She Said“ immer wieder, wie sehr die aufreibenden und immer wieder entmutigenden Recherchen mit dem Familienalltag der beiden Journalistinnen kollidieren. Für diese Rollen hat der Film zwei grandiose Schauspielerinnen gefunden. Zoe Kazan spielt Jodi Kantor, Megan Twohey wird dargestellt von Carey Mulligan.

Beide Journalistinnen sind Mütter. Twohey leidet nach einer Geburt unter einer postnatalen Depression. Beide sind Frauen, die ihre Familie oft erst sehen, wenn schon alle schlafen. Und wo Zeit für Gemeinsamkeit sein sollte, im Bett mit dem Ehemann, im Gespräch mit der Tochter, beim Picknick im Park, wird sie zerrissen durch das Klingeln des Handys. Und wenn die Chefin fragt „Wer kann morgen nach Wales fliegen?“, ist erst einmal Stille, weil die Reise eine organisatorische Herausforderung ist. Woodward und Bernstein konnten sich noch als einsame Wölfe ihren Recherchen widmen. 

„She Said“ zeigt ein beeindruckend intensives Zusammenspiel der beiden Reporterinnen. Wie sie sich gegenseitig stärken, zeigt ihre Erschöpfung, die Furcht zu scheitern und wie die Aussagen der Opfer sie erschüttern. Da die Geschichte ruhig und zurückhaltend erzählt wird und vor allem aus Gesprächen, Konferenzen, Büroalltag und Telefonaten besteht, ist es die Nähe zu den Darstellerinnen, von der der Film lebt. Die Ausführlichkeit, mit der die Kamera auf den Gesichtern der Frauen weilt oder sich ihnen nähert, verleiht dem Film eine große Intensität

Das perfide System des Medienmoguls

Auch deshalb ist es ein Film der Frauen, weil er sich auch voller Respekt auf die Geschichten der Opfer konzentriert, die mal jung gezeigt werden, stolz, sehnsüchtig, hoffnungsvoll, beflügelt von der Aussicht, in Hollywood Karriere zu machen. Und dann nach der Tat, verstört, unter Schock, angsterfüllt. Und Jahre später, noch immer gezeichnet. Noch immer sprechen die Frauen stockend, gequält, kämpfen mit den Tränen, mit Scham und Wut. Schrader zeigt, wie sehr das Ereignis ihr Leben geprägt und zerstört hat. Wie groß die Überwindung ist, darüber zu sprechen, was ihnen widerfahren ist. 

Das macht die Arbeit der beiden Journalistinnen so schwer und lässt sie beinahe scheitern. Sie müssen das Vertrauen der Frauen gewinnen, damit diese ihnen ihre traumatischen Erlebnisse erzählen. Und sie müssen Beweise und Aussagen bekommen, die juristisch belastbar sind. Die meisten Opfer wollen sich nicht namentlich zitieren lassen, wollen ihre Erfahrungen nicht offiziell bestätigen.

Ihre Angst vor Weinstein zeigt, wie perfide das System des Medienmoguls war. Wie Weinstein drohte und einschüchterte, um seine Taten zu vertuschen. Und sich das Schweigen seiner Opfer mit Abfindungen erkaufte. Wer einen außergerichtlichen Vergleich oder Vertraulichkeitsvereinbarung unterschrieb, musste versprechen, nicht einmal innerhalb der Familie oder gegenüber einem Therapeuten über das Geschehen zu sprechen. Wenn Frauen sich weigerten, zu unterzeichnen, mussten sie nicht nur mit Klagen von Weinsteins Anwaltsteam rechnen, diese Frauen verleumdete er, deren Karriere zerstörte Weinstein, indem er sie mit seinem PR-Apparat öffentlich verunglimpfte, sie in Hollywood ächten ließ. „Er konnte jemand in Sekunden zerstören“, sagt eine der Frauen im Film. Oder zum Star machen.

In den USA sehr schleppend angelaufen

„Er nahm mir die Stimme“, sagt Laura Madden, die 25 Jahre, nachdem Weinstein sie vergewaltigt hat, ihr Schweigen bricht. Das ist das Anliegen von Schraders Film, den Opfern, die Weinstein mundtot machte, ihre Stimme zurückzugeben. She said! Nicht „he said, she said“, „er sagt“, „sie sagt“, Aussage gegen Aussage. Jede Figur im Film basiert auf einer realen Person. Ashley Judd, die bei den Recherchen der Reporterinnen die einzige Schauspielerin war, die die Vorwürfe gegen Weinstein unter ihrem Namen öffentlich machte, spielt in dem Film sich selbst. Gwyneth Paltrow, die ebenfalls zu den Betroffenen gehörte, ist als Stimme am Telefon zu hören. Paltrows Aussagen waren zentral für die Recherchen von Kantor und Twohey.

Obwohl die Gerüchte über Weinsteins Fehlverhalten bekannt waren, funktionierte das System des Verschweigens und der Komplizenschaft über viele Jahre. Quentin Tarantino, dessen Filme dazu beitrugen, Weinsteins Firma Miramax großzumachen, er produzierte etwa „Pulp Fiction“, bekannte später seine Mitwisserschaft. US-Medien schwiegen aus Angst vor Rechtsstreitigkeiten. Hollywood sah weg. Was nun in Amerika auf den Film selbst zurückfällt.

Denn „She Said“ wurde produziert von Brad Pitt. Der hatte bereits 1995 von Weinsteins Übergriffen erfahren. Und soll diesem gedroht haben, ihn umzubringen, sollte er seine damalige Freundin Gwyneth Paltrow noch einmal belästigen. Nun wird Brad Pitt vorgeworfen, nicht verhindert zu haben, dass Weinstein noch weitere 20 Jahre Frauen missbrauchen konnte, weil er die Vorwürfe gegen ihn damals nicht öffentlich machte. Auch Pitts Ex-Frau Angelina Jolie sagt, sie sei von Weinstein belästigt worden. Dass sie Brad Pitt häusliche Gewalt vorwirft, behindert den Erfolg des Films in den USA zusätzlich. Hier ist „She said“ nur sehr schleppend angelaufen.

Harvey Weinstein, der 2020 wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung zu 23 Jahren Haft verurteilt wurde, steht seit Anfang Oktober wegen weiteren schweren Vorwürfen, darunter Vergewaltigung, in Los Angeles vor Gericht.
 

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