Charles III. in Deutschland - Ein Déjà-vu für den König 

Die erste offizielle Auslandsreise führt König Charles III. nach Deutschland. Das fühlt sich an wie die Rückkehr eines alten Bekannten: Denn fast 40 Mal ist Charles bereits im Land seiner Vorfahren zu Besuch gewesen. Immer auch waren die Begegnungen ein Spiegelbild der deutsch-britischen Geschichte.

Deutschland erhielt in der ersten offiziellen Auslandsreise des Monarchen den Vorzug vor den Staaten des Commonwealth / picture alliance
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Autoreninfo

Christian Schnee studierte Geschichte, Politik und Public Relations in England und Schottland. Bis 2019 war er zunächst Senior Lecturer an der Universität von Worcester und übernahm später die Leitung des MA-Studiengangs in Public Relations an der Business School der Universität Greenwich. Seit 2015 ist er britischer Staatsbürger und arbeitet als Dozent für Politik in London.

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Staatsbesuche sind besondere Anlässe, politisch wohlüberlegt und über Monate unter Beamten der Protokollabteilungen und politischen Beratern, zwischen Gast und Gastgeber vorbereitet. Wenn der britische König Charles III. in dieser Woche auf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in dessen Berliner Amtssitz trifft und sich zwei Tage später ins Goldene Buch der Stadt Hamburg einträgt, geht es vor allem um Symbolik. Eine Ausnahme vom gewohnten protokollarischen Ablauf soll den prominenten Stellenwert unterstreichen, der dem Gast beigemessen wird. Die militärische Ehrenformation des Wachbataillons wird vom Schloss Bellevue ans Brandenburger Tor verlegt.

Dass die Wertschätzung gegenseitig ist, zeigt sich in der Entscheidung der britischen Regierung, für diese erste offizielle Auslandsreise ihres Monarchen Deutschland den Vorzug vor den Staaten des Commonwealth und den USA zu geben.

Die Visite von König Charles in der Bundesrepublik hat anders als die meisten offiziellen Zusammentreffen der Berliner politischen Prominenz mit einem ausländischen Staatsoberhaupt aber auch eine sehr persönliche Note. Es ist in verschiedener Hinsicht die Rückkehr eines alten Bekannten. Fast 40 Mal ist Charles in den vergangenen sechs Jahrzehnten in Deutschland zu Besuch gewesen. Bei seiner ersten Reise im Alter von gerade 14 Jahren begleitete er seine Mutter, Königin Elizabeth II. Sein Vater, Philip, der Herzog von Edinburgh, steuerte seinerzeit das Flugzeug, mit dem die Familie zum Besuch von Verwandten nach Hessen reiste.

Spiegelbild der deutsch-britischen Beziehungen

Seither sind die Programmpunkte und Stationen der Reisen ein Spiegelbild der deutsch-britischen Beziehungen und Dokumente der weltpolitischen Lage. In den 1970er-Jahren war Charles, damals als Prinz von Wales, ohne das ganz große Protokoll eines Staatsoberhauptes unterwegs, wenn er etwa bei Truppenbesuchen in Osnabrück das erste Bataillon des königlichen walisischen Regiments oder in Berlin das zweite Luftlanderegiment inspizierte, denen er jeweils als Ehrenoberst zeremoniell vorstand.  

Als der Kalte Krieg endete, schloss die britische Regierung ihre Militärbasen in Deutschland und zog ihr Personal ab. In der Folge waren die Besuche des Thronfolgers vor allem zivilen Themen gewidmet. 1987 in München traf er auf den bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß. Die Aufmerksamkeit der Presse konzentrierte sich seinerzeit aber weniger auf den künftigen englischen König, sondern galt fast ausschließlich seiner glamourösen Ehefrau und Gerüchten, die Ehe zwischen Charles und Lady Diana stehe vor dem Aus.  

Von begeisterter Stimmung und „Gekreische wie bei einem Take-That-Konzert“ schrieb die Berliner Zeitung 1995 in ihrem Bericht über den Besuch von Charles, der sich im Berliner Stadtteil Hellersdorf eine Plattenbausiedlung anschaute. Der Prinz ließ sich in eine Wohnung einladen, saß bei Rotkäppchen-Sekt und Mon Cherie auf dem Sofa und erkundigte sich bei seinen Gastgebern nach hellhörigen Wänden. Schließlich schaute er auch noch unangemeldet in „Moni’s Friseur- und Kosmetiksalon“ vorbei. In jüngster Vergangenheit ging Charles öfter im Auftrag der Regierung auf offizielle Staatsvisiten, weil seine hochbetagte Mutter die Strapazen der Reisen mied. In Berlin war Charles zuletzt anlässlich des Volkstrauertags im November 2020 auf Einladung des Deutschen Bundestags. Seine Rede zur Gedenkstunde begann er damals in Deutsch.  

Motto der Reise: „Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft“

Jahrzehnte persönlicher Erinnerungen allein werden dennoch nicht der Grund gewesen sein für die Wahl des Mottos „Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft“, unter dem die Begegnungen in dieser Woche stehen. Die Verbindung der britischen Königsfamilie mit Deutschland geht weit über die Reiseerinnerungen König Charles III. hinaus. Daran erinnerte das Land Niedersachsen, als es vor neun Jahren das dreihundertjährige Jubiläum der Krönung des Kurfürsten Georg von Braunschweig-Lüneburg zum König von England feierte.

Für den gewaltigen Aufstieg des Deutschen sprach 1714 vor allem, dass er kein Katholik war und damit in London nicht im Verdacht stand, dem Papst in Rom hörig zu sein. Ein Detail, das für Machtpolitiker in britischen Regierungskreisen des 18. Jahrhunderts wichtiger erschien als die von Gott gewollte Ordnung in der Thronfolge. Für mehr als hundert Jahre regierten Georgs Nachfahren in Personalunion Großbritannien und Hannover, das seinerzeit zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörte. Mit Heiraten in die Adelsfamilien von Ansbach, Mecklenburg und Braunschweig pflegten die folgenden Generationen der Familie die engen Familienbande mit dem Reich.

Leicht hatten es die Deutschen auf dem Thron Großbritanniens von Anfang an nicht. König George I. sprach nicht einmal die Landessprache, und sein Nachfolger George II. erinnerte des schweren deutschen Tonfalls wegen an seine Herkunft. Das Verhältnis der Briten zu ihren Herrschern vom Kontinent war geprägt von Misstrauen und Häme. The Satirist, eine auf Skandale und Enthüllungen spezialisierte Londoner Zeitung, verbreitete, dass Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, immerhin der Ehemann Königin Victorias, von einer ausgehungerten Dynastie abstamme und auf einer mit Ungeziefer verseuchten Burg aufgewachsen sei. Nach seiner Ankunft in England, ließ Barnard Gregory, der Herausgeber der Gazette, seine Leser wissen, musste man Albert im Schlaf mit Schwefel desinfizieren.  

 

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Als 1914 auch noch der Krieg gegen das Deutsche Reich ausbrach, schauten Bevölkerung und Regierung mit wachsender Skepsis und Argwohn auf den deutschen Namen der Dynastie: Sachsen-Coburg und Gotha. Sarkastisch notierte seinerzeit David Lloyd George, der Schatzkanzler, auf dem Weg zu einem Termin im Buckingham Palace: „Ich frage mich, was unser kleiner deutscher Freund mir zu sagen hat?“ Der Schriftsteller H. G. Wells stichelte zur gleichen Zeit, der Hof sei nicht nur „wenig inspirierend“, sondern – schlimmer noch! – „ausländisch.“

Getrieben von dieser feindseligen Stimmung im Land ließ George V. zunächst die Wappen seiner deutschen Verwandten in der Kapelle des Heiligen Georg in Windsor Castle abhängen. Schließlich tauschte er auch den Familiennamen aus. Von nun an würde seine Familie nach der 1000 Jahre alten Festung im Westen Londons Windsor heißen. Aus dem gleichen Grund musste auch der Oberbefehlshaber der Royal Navy, Prinz Ludwig Battenberg aus der Familie der hessischen Landgrafen, von seinem Amt zurücktreten.

Ludwig, der sich fortan anglisiert Mountbatten nannte, war der Großvater des Prinzen Philip, der die spätere Königin Elisabeth heiraten würde. Diese Ehe war es, die König Charles und allen anderen Mitgliedern des Königshauses heute ihren Namen gibt: Mountbatten-Windsor. Der Name hat sich gewandelt, freundschaftliche Bande zur Familie in Hessen bestehen bis heute. Seine erste Deutschlandreise 1962 führte Charles deshalb nicht zufällig nach Frankfurt und Kronberg im Taunus, dem Zuhause seiner Verwandtschaft und Sitz der Familienstiftung der hessischen Landgrafen.  

Symbolik des gewählten Datums ist unübersehbar

Die engen verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Verbindungen der Mountbatten-Windsors wollen nicht so recht passen zur jüngsten Geschichte eines Landes, das sich von den politischen Institutionen des europäischen Kontinents so radikal losgesagt hat. Immerhin ist erstmals seit Jahren der Besuch eines britischen Staatsgastes nicht mehr vom Streit um den Brexit geprägt. An jene schwierige Phase der gegenseitigen Beziehungen erinnert allenfalls ein Datum, das sich während des Besuchs des Königs jährt. Am 29. März 2017 teilte Premierministerin Theresa May dem Europäischen Rat die Absicht ihres Landes mit, die Union zu verlassen. Die Symbolik ist unübersehbar, vielleicht auch gewollt.

Die fortwährende Debatte über die Ausgestaltung der wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder in den nächsten Jahren wird in den Redemanuskripten des Königs allenfalls am Rande berücksichtigt. Zu sensiblen Themen der Tagespolitik und parteipolitischen Streitigkeiten haben sich Monarchen gemäß britischer Verfassungsordnung nicht zu äußern.

Diese politische Enthaltsamkeit lässt Charles nur dann nicht gelten, wenn es um seine bekannten Herzensthemen geht: Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung stehen für ihn deshalb auch während der Deutschlandreise auf dem Programm. Drastische Wortmeldungen wie etwa beim Weltklimagipfel 2019, als er Staats- und Regierungschefs ausrichtete, dass ihnen noch 18 Monate blieben, um das Weltklima zu retten, sind in Berlin nicht zu erwarten. Als Staatsoberhaupt formuliert Charles vorsichtiger. So wird er es auch bei seiner Rede – der ersten eines englischen Königs – vor dem Bundestag halten.  

Heimspiel des Monarchen: Ökodorf in Brandenburg

Zu einem Heimspiel wird sein Dialog mit den Betreibern eines Ökodorfs in Brandenburg werden. Seine Gesprächspartner beeindruckt er dann nicht nur mit angelesener Expertise. Auf seinem Landsitz nahe Tetbury in der Grafschaft Gloucestershire betrieb Charles als Thronfolger bereits ökologische Landwirtschaft, als seine Zeitgenossen das noch für eine verschrobene Idee hielten. Die Tagespolitik wird den Gast einholen bei einem Besuch des ehemaligen Flughafens Tegel, wo heute Ukrainer untergebracht werden, die vor dem Krieg geflohen sind.

Bei dem Staatsbesuch, dessen Programmchoreographie, wie üblich bei solchen Anlässen, sich an den Erfordernissen der politischen Symbolik ausrichtet, ist besonders das Treffen mit britischen Soldaten in Deutschland auffällig. Der Inspektionsbesuch des Königs beim deutsch-britischen Pionierbrückenbataillon erinnert nicht zufällig an die Deutschlandbesuche des Prinzen von Wales zu Zeiten des Kalten Krieges. Für Charles wird es nicht das einzige Déjà-vu auf seiner Reise bleiben.

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