Getränke, die die Welt nicht braucht - Beaujolais Primeur und Glühwein – muss das sein?

Mit einer Mischung aus Erstaunen und Entsetzen muss unser Genusskolumnist auch in diesem November konstatieren, dass Millionen Menschen zwei äußerst zweifelhaften Getränken zusprechen: Beaujolais Primeur und Glühwein. Daher fühlt er sich berufen, seine Warnungen zu erneuern.

Unser Genusskolumnist hält Glühwein für eine Genuss-Sünde sondergleichen / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Als Geschmackspolizist könnte man manchmal schier verzweifeln. Da erlässt man eine Fatwa nach der anderen und droht mit drakonischen Strafen – und niemanden interessiert das. Oder man versucht es im Guten, äußert ein gewisses Verständnis für die Missetaten und baut Brücken zur Überwindung des Frevels – klappt auch nicht.

Aber ich gebe nicht auf. Zu groß ist der genusskulturelle Schaden, der durch zwei eigentlich nicht verkehrsfähige „Genussmittel“ angerichtet wird. Zu deprimierend ist die sich jährlich mit Beginn der kalten Jahreszeit wiederholende Verspottung und Entwürdigung einer der edelsten Getränke der Menschheitsgeschichte. Und daher durchbreche ich ausnahmsweise die mir selbst auferlegte Maxime als Genusskolumnist, ein bereits behandeltes Thema möglichst nicht nochmals aufzugreifen, jedenfalls nicht in ähnlicher Weise. Doch in diesem Fall geht es einfach nicht anders.

Zwischen unreifer Banane und Eisbonbon

Es geht natürlich um Glühwein und Beaujolais Primeur. Letzterer ist seit dem 16. November wieder offiziell im Handel, also wie stets ab dem dritten Donnerstag im November. An gefühlt jeder Ecke kündigen frankophil gestylte Plakate und Tischkärtchen das Unglück an: „Voilà, Le Beaujolais Primeur est arrivé“. Das Zeug schmeckt bestenfalls nach nichts, aber in den meisten Fällen ziemlich schräg. Durch Vergärung im Schnellgang (vier Tage) nebst reichlich Kohlensäurezufuhr und Erhitzung enthalten diese „Rotweine“ weder typische Aromen noch Tannine, dafür aber oft jede Menge scharfer Zitrusnoten und Bitterstoffe.

Oft schmecken Primeurs vordergründig nach unreifer Banane, Eisbonbon und Schwefel. Manchmal auch nach Kirsch- oder Himbeermarmelade und schon nach wenigen Wochen Lagerung kommt ein furchtbarer Essigstich dazu. Nach dem Verzehr sind die Kopfschmerzen dann fast so schlimm wie beim Federweißen.

Kleiner Hoffnungsschimmer: Der Absatz sinkt

Seit 1951 gibt es diesen Unfug. Dafür änderten die ansonsten in Genussfragen recht traditionsbewussten Gallier sogar ihr Weinrecht und erlaubten den Winzern des Beaujolais, ihren neuen Wein schon ab dem dritten Novemberdonnerstag des Lesejahres in den Handel zu bringen. Dass damit der Ruf dieser Weinregion nachhaltig ruiniert wurde, hat man offenbar in Kauf genommen.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Zur Kompensation des Imageverlustes gab es neben vielen desorientierten Franzosen immerhin Millionen geschmacksverirrte Japaner, Deutsche, US-Amerikaner, Briten und Skandinavier, die in Spitzenzeiten Jahr für Jahr bis zu 50 Millionen Flaschen mit dieser Plörre in sich reingossen. Kleiner Hoffnungsschimmer: Inzwischen werden nur noch rund 25 Millionen Flaschen verkauft. Und während der wichtigste Exportmarkt Japan relativ stabil blieb, waren in Deutschland in den vergangenen Jahren merkliche Rückgänge zu verzeichnen. Auch haben immer mehr Winzer in der Region allmählich begriffen, dass dieser Turbo-Pseudo-Wein ein ziemlicher Holzweg ist. Sie produzieren jetzt aus der dort verbreiteten, nicht besonders hochwertigen Rebsorte Gamay recht anständige Rotweine.

Glühwein? Warum nicht gleich Motoröl?

Das mit dem Primeur im November wäre aus geschmackspolizeilicher Sicht ja schon schlimm genug – aber es kommt stets noch schlimmer. Denn nahezu reflexhaft schütten sich viele Deutsche vor allem auf den allmählich öffnenden Weihnachtsmärkten (die politisch korrekt mancherorts jetzt „Wintermärkte“ heißen) ein Heißgetränk namens „Glühwein“ rein. Wenn sie Glück haben, erwischen sie einen Kübel, der keine gesundheitsschädlichen Zerfallsprodukte enthält. Andere erwerben das Gesöff in Flaschen abgefüllt in Supermärkten.

Das veranlasste die Süddeutsche Zeitung schon vor einigen Jahren zu der berechtigten Frage: „Was muss ein Wein verbrochen haben, damit man ihn auf 75 Grad erhitzt, Zucker und Gewürze reinkippt und mittelalterliche Stadtsilhouetten aufs Etikett knallt?“ Und nicht umsonst empfahl ein Münchner Barkeeper, statt Glühwein doch lieber gleich Motoröl zu trinken. Geholfen hat das alles nichts. In Spitzenjahren werden in Deutschland bis zu 50 Millionen Liter Glühwein verzehrt.

Dem Ernährungssoziologen platzt der Kragen

Das bringt auch den ansonsten eher ruhig - sachlichen Ernährungssoziologen Daniel Kofahl auf die Palme. Für ihn sei „dieses rituelle Glühweintrinken“ auf dem Weihnachtsmarkt wirklich die gustatorische Inkarnation des Sartre-Spruchs „Die Hölle sind immer die anderen“. Die Glühwein-Unkultur basiere „in der Regel auf aufgewärmten Pappkartonverschnitten“ und stehe „auf einer Stufe mit Prosecco-aus-der-Dose-geschwängerten Damenausflugsrunden und völlig abgehalfterten Junggesellensuffköppenabenden“, redet sich Kofahl fast schon in Rage. Er sei weiß Gott kein Anhänger der Prohibition, „aber hier wünscht man sich dann doch mal ein wenig Anstand und Adventsaskese“. Auch stelle sich die Frage: „Haben die denn alle keinen vernünftigen Weinvorrat daheim?“

Aber was soll man machen. Schließlich akzeptiere auch ich, wenn auch manchmal zähneknirschend, das Grundrecht auf einen schlechten Geschmack. Und so bleiben Kofahl und ich die einsamen Mahner. In diesem Fall nicht in der Wüste, sondern im Primeur- und Glühwein-See. In diesem Sinne wünsche ich allen Freunden dieser Getränke fröhlich-besinnliche Stunden bei deren Verzehr. Mögen die Kopf- und Magenschmerzen am nächsten Tag erträglich bleiben.

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