Südtirol – Genussparadies für Weinfreunde - Unbedingt Vernatsch und Lagrein probieren

Vor ein paar Wochen war unser Genusskolumnist in Südtirol und hat sich dort intensiv mit der Weinkultur dieser Region beschäftigt. Er war begeistert. Jetzt hat er einiges nachverkostet, und seine Begeisterung ist ungebrochen.

Südtiroler Wein steht für Vielfalt und Qualität / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Zu den Big Playern in der Weinwelt gehört Südtirol sicherlich nicht. Dafür ist dieses Anbaugebiet schlicht zu klein. Die rund 5400 Hektar Anbaufläche machen gerade mal 0,8 Prozent des italienischen Weinbaus aus. Quantitativ ist diese Region also ein Zwerg, aber qualitativ zweifellos ein Riese. In keinem anderen italienischen Weinbaugebiet ist der Anteil zertifizierter Qualitätsweine so hoch, er liegt bei 98 Prozent.

Die sehr unterschiedlichen geologischen und klimatischen Verhältnisse in Südtirol sorgen für Vielfalt. Die Anbaugebiete befinden sich zwischen 200 und 1100 Metern über dem Meeresspiegel, die Bodenvielfalt ist beachtlich: Vulkanischer Porphyr rund um Bozen, verwitterte Urgesteinsböden mit Quarz, Schiefer und Glimmer im Eisacktal und im Vinschgau, bis hin zu Kalk- und Dolomitgestein im Süden von Südtirol. Und nicht jede Rebsorte ist für jeden Boden und jede Höhenlage geeignet, entsprechend streng sind die Vorgaben für die jeweiligen Anbaugebiete. Genau so geht Qualität.

Italienisch ist das eher nicht

Mit dem bekannten italienischen Weinstil haben Südtiroler Weine nichts zu tun. Rebsorten wie Sangiovese, Nebbiolo, Primitivo, Nero d‘Avola oder Vermentino wird man nicht finden. Bei den für Qualitätsweine zugelassenen Rebsorten dominieren Sorten wie Weiß- und Grauburgunder, Gewürztraminer und Chardonnay, bei Rotweinen sind es Vernatsch, Lagrein und Spätburgunder, der hier Blauburgunder genannt wird.

Ein weiteres Charakteristikum des Südtiroler Weinbaus ist seine Betriebsstruktur. Ende des 19.Jahrhunderts war die Existenz der meisten kleinen Winzer durch hohe Einfuhrzölle und Exportsteuern, Schädlingsbefall und Rebkrankheiten bedroht, und die ersten Weinbauern begannen, Verarbeitung und Verkauf der Weine kollektiv zu organisieren. Heute sind 12 große Kellereigenossenschaften in Südtirol der Garant für die Existenz von über 3000 Weinbauern und stehen für einen Anteil von 74 Prozent an der gesamten Weinproduktion Südtirols.

Genossenschaften als Qualitätsmotor

Das klingt für deutsche Weintrinkerohren nicht besonders verlockend, denn große Kellereien genießen hierzulande nicht gerade den Ruf, auf breiter Front höheren Qualitätsansprüchen gerecht zu werden oder gar Spitzenweine zu produzieren. Doch das ist in Südtirol vollkommen anders, denn jeder Versuch, auf dem national und global hart umkämpften Massenweinmarkt mitzumischen, der z.B. in Deutschland das Angebot in Supermärkten und Discountern dominiert, wäre angesichts der geringen Mengen zum Scheitern verteilt.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Das Qualitätsniveau der Südtiroler Kellereien ist weltweit einmalig, und steht dem der privaten Spitzenweingüter in nichts nach. Kellereigenossenschaften wie Terlan, Tramin oder Kurtatsch haben längst ihren verdienten Platz in den oberen Genießerligen erobert. Zusammen mit den Verbänden der privaten Kellereien und Weinbaubetriebe und der „Freien Weinbauern“ (hauptsächlich traditionelle, selbst vermarktende Familienbetriebe) arbeitet der Verband der Kellereigenossenschaften mittlerweile schiedlich-friedlich im „Konsortium Südtirol Wein“ gemeinsam daran, sowohl die Qualitätsparameter als auch das internationale Standing des Südtiroler Weins weiter voranzutreiben.

Trollinger heißt hier Vernatsch – und ist großartig

Doch grau ist alle Theorie – entscheidend ist im Glas. Um in die vielfältige Welt des Südtiroler Weins einzutauchen, lohnt sich ein Blick auf die drei quasi identitätsstiftenden Rebsorten dieser Region: Vernatsch, Lagrein und Gewürztraminer, mit denen zusammen rund 40 Prozent der Rebstöcke bepflanzt sind. 

Vernatsch ist eine autochthone rote Rebsorte, das heißt, sie hat ihren Ursprung in Südtirol. Verbreitet ist sie unter dem Namen Trollinger auch in Württemberg, wo sie zumeist als recht langweiliger, dünner, süßlich-marmeladiger Alltagswein „im Viertele geschlotzt“ wird. Doch in Südtirol macht man daraus ernstzunehmende, kräftige und komplexe Rotweine. Wie etwa den „Mos Maiorum“ vom Weingut Messnerhof aus den Dolomiten, mit feinen reifen Kirsch- und Beerennoten, dem die Beimengung von insgesamt 20 Prozent Lagrein sowie den fast ausgestorbenen alten Sorten G'schlafne, G'salzne, und Edelschwarze eine dezente kräuterige Würze und ein solides Gerbstoffgerüst verleihen.

Ausgesprochen filigran und mit 13 Prozent Alkohol vergleichsweise schlank präsentiert sich der Vernatsch „Gschleier – Alte Reben“ von der Kellerei Girlan, der aus 90 bis 110 Jahre alten Reben gekeltert wird, die auf schottrig-lehmigen Böden wachsen. Etwas Pflaume und Kirsche in der Nase und am Gaumen Anklänge an getrocknete Kräuter und bittere Mandeln und leicht rauchige Noten.  

Lagrein: Ein wenig bekannter Weinriese

Doch bei allem Erstaunen und aller Anerkennung für die tollen Weine, die in Südtirol aus dem „Trollinger“ gemacht werden – es geht noch eine Stufe höher. Denn der Star unter Südtirols roten Reben ist zweifellos der ebenfalls autochthone Lagrein. Um das faszinierende Potenzial dieser Sorte in all ihren Facetten zu erfassen, lohnt sich ein – allerdings nicht ganz billiger Griff – in die oberste Schublade.  Der Lagrein „Riserva Porphyr“ von der Kellerei Terlan kann locker in einer Liga mit großen Weinen aus dem Bordelais, aus Burgund oder dem Piemont mitspielen. Kompakt und konzentriert, mit saftiger Frucht (vor allem Sauerkirsche), stabiler Säure und einem sich allmählich entfaltenden, nie aufdringlichen Aromafeuerwerk, das von Beerenschalen, Lakritze, Kaffeebohnen und Bitterschokolade bis zu Pfeffer und erdigen Noten reicht. Und das nicht flüchtig, sondern mit sehr langem Nachhall am Gaumen. Ganz großes Kino und ein Traumpartner für kräftig gewürzte Wild- und Lammgerichte.

Nicht nur preislich eine Liga darunter, aber immer noch sehr beeindruckend, präsentiert sich der Lagrein „Frauenhügel Riserva“ von der Kellerei Kurtatsch. Auch mit der sortentypischen Kirschfrucht, ergänzt mit deutlichen Aromen von Wald- und Holunderbeeren und merklichen, aber nicht aufdringlichen Röstnoten.

Gewürztraminer ohne süßlich-barocken Kitsch

Aber ehe man vollends in der wohligen Südtiroler Rotweinwelt versinkt, sollte man sich daran erinnern, dass dort zu über 60 Prozent Weißweine angebaut werden. Und auch da haben die örtlichen Weinbauern ein Pfund, mit dem sie ordentlich wuchern können: Den Gewürztraminer, der hier eine ähnliche Bedeutung wie im Elsass hat – aber zumeist eine weniger süßlich-kitschig-barocke Stilistik in der Nase und am Gaumen, wie sie dort bisweilen gepflegt wird.

Zu den Flaggschiffen dieses Südtiroler Stils gehört zweifellos der „Nussbaumer“ von der Kellerei Tramin. Ja, auch der hat alles, was man bei dieser Sorte gemeinhin erwartet. Also Rosenduft, Muskat, exotische, auch kandierte Früchte und Gewürze. Aber er ist ein aromatisches Gesamtkunstwerk, ein „Yin-Yang-Wein“, wie man es gerade bei dieser Sorte selten findet. Cremig und dennoch kühl, süße Frucht und dennoch trocken, sehr wuchtig und dennoch filigran, mit seinen nussigen Noten und der dezenten Salzigkeit. Ein Wein-Monument!

Es gäbe noch viel über Südtiroler Weine zu erzählen. Aber belassen wir es für heute dabei. Falls jemand ein wenig Lust bekommen hat, sich in diese spannende Nische der europäischen Weinwelt hineinzuprobieren, wäre das erfreulich. Denn Genuss ist bekanntlich Notwehr.

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