Ein Klassiker als Weinbegleiter - Hühnerfrikassee

Unser Genusskolumnist hat sich eigentlich nicht vorstellen können, jemals mit einer echten Mehlschwitze zu hantieren. Zu traumatisch waren die Erinnerungen an die „Kochkünste“ seiner Stiefgroßmutter. Doch es ergab sich, dass er ein Hühnerfrikassee zubereiten musste, und da kam er an der Mehlschwitze nicht vorbei.

Den eigenen Ängste stellen: Das ist unserem Genusskolumnisten mit der Zubereitung eines Hühnerfrikassees gelungen / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Manchmal sollte man einfach die Rollenbilder tauschen. Keine Bange, hier wird jetzt keine neue Gender-Debatte vom Zaun gebrochen, sondern es geht ganz profan um die Kombination von Wein und Speisen. Die gängige Fragestellung lautet, welcher Wein eine bestimmte Speise am besten begleiten könnte. Doch man kann den Spieß auch umdrehen.

Ich habe mich etwas intensiver mit der wenig bekannten weißen Rebsorte Auxerrois befasst. Und so kam die Frage auf, die ich auch einigen Winzern stellte, welche Gerichte denn zu diesem eleganten Gaumenschmeichler passen könnten. Schnell war klar: Kein dunkles Fleisch, keine Röstaromen, keine deutliche Schärfe, keine kräftige Kräuterwürze, sondern ein sanftes Potpourri aus den fünf grundlegenden Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig, bitter und (ein wenig) Umami. Irgendwie landete ich gedanklich schließlich bei Hühnerfrikassee. Ein Gericht, das den genannten Kriterien ganz gut entsprechen könnte. Und auch die befragten Winzer fanden das ziemlich einleuchtend.

Es muss nicht immer Huhn sein

Zu Auxerrois wird es auch bald einen Beitrag in dieser Kolumne geben, aber wir wenden uns jetzt dem Hühnerfrikassee zu. Frikassee ist eigentlich ein Sammelbegriff für Ragouts aus hellem, geschnetzeltem Fleisch in weißer Sauce mit cremiger Konsistenz. Bereits im 18. Jahrhundert waren derartige Speisen sowohl in Frankreich als auch in Deutschland unter diesem Namen bekannt. Zwar ist die Variante mit Huhn in Deutschland am meisten verbreitet, doch nichts spricht dagegen, stattdessen Kalb, Kaninchen, Taube, Pute oder Lamm zu verwenden. Auch ein Fischfrikassee ist möglich (und sehr delikat).

In Berlin hat sich Hühnerfrikassee zu einer Art regionaler Spezialität entwickelt, was wir – wie so vieles – den zugewanderten Hugenotten zu verdanken haben. Bei der Zubereitung und der Auswahl der Zutaten kann man durchaus variabel vorgehen, aber an einer Sache kommt man wohl nicht vorbei, wenn es noch einigermaßen original sein soll: Die Mehlschwitze.

Das Mehlschwitze-Trauma

Und genau die löst bei mir seit langer Zeit ein ungutes Gefühl aus. Zum einen klingt eine Liaison aus „Mehl“ und „Schwitzen“ ohnehin ziemlich furchterregend. Unwillkürlich denkt man an feuchtes, verklumptes oder gar verdorbenes Mehl, an eine quasi ungenießbare Pampe. Und meine Stiefgroßmutter mütterlicherseits, die ich als kleiner Junge im Winter alle 14 Tage nach der Schule besuchte, um Briketts aus dem Kohlenkeller in ihre Wohnung zu bringen, tat alles, um diese Assoziation bei mir zu verfestigen. Denn alles, wirklich alles, was sie mir in den vielen Jahren anschließend zum Mittagessen auftischte, wurde von einer dicken, fast schleimigen Soße dominiert, die wiederum auf Mehlschwitze basierte.

Am schlimmsten war das bei ihren zerkochten Fischfilets, aber auch das Hühnerfrikassee war stets eine Zumutung. Jedenfalls wurde der auf dem Teller verbleibende Rest der Mahlzeiten – zum großen Unverständnis meiner Stiefgroßmutter – im Laufe der Zeit immer größer. Ähnlich niederschmetternde Erfahrungen machte ich später auch in einigen Gaststätten.

Glücklicherweise habe ich im weiteren Verlauf meines Lebens auch sehr gutes Hühnerfrikassee auf den Teller bekommen, aber bis vor wenigen Tagen habe ich tatsächlich noch nie eine Mehlschwitze zubereitet. Doch für die Auxerrois-Verkostung hatte ich mich nun mal auf dieses Gericht eingeschossen, und ohnehin ist es manchmal nicht verkehrt, alte Traumata durch Konfrontation zu überwinden.

Spargel und Champignons niemals aus der Dose

Los geht‘s. Bei der Zubereitung entschied ich mich für eine dezent veredelte „Berliner Variante“. Man kann für die Hühnerfleischeinlage zwar auch ausgelöstes Hühnerklein oder Reste von Brathähnchen verwenden, aber ich entschied mich für feines Bio-Brustfilet, das – fein geschnetzelt und mit Salz und Zitronenschalen sanft mariniert – dann halb gar gebraten wurde.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Anschließend werden gewürfelte Möhren und in Scheiben geschnittene frische Champignons glasig gedünstet, sowie geschälter und in Stücke geschnittener weißen Spargel 5-6 Minuten vorgekocht. Achtung: Die Verwendung von Dosenchampignons und Dosenspargel ist nicht nur bei Frikassee, sondern generell geschmackspolizeilich VERBOTEN!

Plötzlich ist alles ganz einfach

Doch jetzt kam es zum Äußersten: Die Mehlschwitze. Aber es funktionierte alles viel lockerer und vor allem schmackhafter als ich dachte. Butter bei schwacher bis mittlerer Hitze im Topf schmelzen, Mehl kräftig einrühren, bis eine glatte Masse entstanden ist. Dann langsam in mehreren Etappen mit Hühnerbrühe aufgießen und immer weiter rühren, damit sich keine Klumpen bilden. Kurz aufkochen lassen, Sahne oder Schmand einrühren, Fleisch, Möhren, Champignons, Spargel, Erbsen (am besten TK) und abgetropfte Kapern dazu, 5 Minuten bei niedriger Hitze köcheln lassen, mit Salz, Pfeffer und Zitronensaft abschmecken – fertig. Dazu separat gekochten Reis.

Was soll ich sagen, ich habe immerhin zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Erstens: Es gab ein köstliches Hühnerfrikassee auf dem Teller, das sich zudem tatsächlich als optimaler Partner für die verkosteten Auxerrois-Weine erwies. Zweitens: Bei dieser Gelegenheit konnte ich mein tiefsitzendes Mehlschwitze-Trauma ein für alle Mal überwinden. Was will man mehr.

Hühnerfrikassee

Zutaten für 4 Personen

400 ml Hühnerbrühe
100 ml Sahne oder Schmand
250 g Hähnchenfleisch (Ohne Haut und Knochen)
150 g Möhren
100 g Champignons
150 g Erbsen (frisch oder TK)
40 g Kapern (abgetropft aus dem Glas)
2 Stangen weißer Spargel
25 g Butter
25 g Weizenmehl (Typ 405 oder 550)
Salz, Pfeffer Zitronensaft

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