Genusskultur in der Frühzeit - Gourmets mit Feuer und Faustkeil

Unser Genusskolumnist ist auf einen Philosophen gestoßen, der das Kochen als zentrales Element der Menschwerdung des Menschen seit der Altsteinzeit betrachtet. Schnell wurde ihm klar, welche Relevanz diese Erkenntnis für unser heutiges Leben hat.

Köche bereiten Essen im Rahmen eines arabischen Friedensfestes über einem Feuer vor / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Was macht eigentlich ein Philosoph? Auf eine derartig unterkomplexe Frage kann es natürlich nur unterkomplexe Antworten geben. Klar ist aber, dass es ihm in der Regel um Sinnfragen und die Erkundung von Grundlagen menschlichen Denkens und Handelns geht.

Und was macht eigentlich ein Koch?

Auch darauf gibt es tatsächlich keine einfache Antwort. Aber in der Regel eignet er sich umfassende Kenntnisse über Lebensmittel und deren Zubereitung an, um diese dann in der Praxis umzusetzen. Gemein ist beiden Professionen, dass sie zum Wohl eines jeden Menschen beitragen können. Denn „das gute Leben“, wie es der griechische Philosoph Aristoteles verstand, basiert sowohl auf geistiger wie auf körperlicher Nahrung.

Ein kochender Philosoph

Entsprechend spannend kann es also werden, wenn sich ein Zeitgenosse wie Leon Joskowitz zu Wort meldet. Denn der hat nicht nur ein Studium der Philosophie, Soziologie und neueren Geschichte in Freiburg, Lissabon und Berlin absolviert, sondern auch umfangreiche Lehr- und Wanderjahre absolviert als Helfer in einer Bäckerei, bei der Weinlese und der Olivenernte sowie als Koch in einer Kneipenküche, einem Südtiroler Hotel und schließlich als Caterer – unter anderem für die Frankfurter Buchmesse.

In seinem Buch „Vom Kochen und Töten - Kulinarische Meditationen über den Anfang der Menschheit“ und in zahlreichen Interviews entwickelt Joskowitz eine auf den ersten Blick recht steile These: Kochen hat einen entscheidenden Beitrag zur Menschwerdung des Menschen geleistet. Zuvor kam natürlich das Feuer, das man durch Benutzung einfacher Werkzeuge und Materialien entfachen und auch wieder löschen konnte. Es gab Licht und Wärme, Schutz vor wilden Tieren – und man konnte damit Nahrung zubereiten. Fleisch und Pflanzen mussten nicht mehr roh gegessen werden.

Die Küche als „Urraum der Kultur“

Das Kochen und die Küche sind für den Philosophen nicht zum Menschen hinzugekommen wie das Rad, die Schrift oder andere Innovationen. Vielmehr seien der Umgang mit Feuer und das Kochen grundlegende Elemente der menschlichen Kultur. Und die entwickelte sich, zunächst eher rudimentär, bereits vor mindestens 800.000 Jahren. „Am Feuer haben Menschen gelernt, ihre Nahrung zu teilen und einander Geschichten zu erzählen. Nicht zuletzt ihre eigene: Die Geschichte eines sprechenden Tieres, das sich von allen anderen Tieren unterscheidet“, heißt es im Teaser des Buches.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Die Küche ist für Joskowitz „ein Urraum von Kultur“, der weit in die Vergangenheit reicht und trotzdem auch heute noch zentral für unsere Lebensart ist. Das lasse sich nicht zuletzt auf Partys beobachten, wo die Küche in der Regel der belebteste und vor allem kommunikativste Raum ist. Und noch heute ist die Küche für viele kleine Kinder ein Ort des Lernens, durch Benennung der verschiedenen Lebensmittel.

Abgrenzung von tierischen Vorfahren

Als wesentliche evolutionäre Triebkraft hin zum Kochen sieht Joskowitz den Hunger, der nur durch die Aufnahme von Nahrung gestillt werden kann. Es ist eine Nahrungskette über Millionen Jahre, die auch darauf basiert, dass Lebewesen andere Lebewesen getötet haben, um sie zu essen. Und der frühe Mensch war das erste Lebewesen, das dieses instinktive, überlebensnotwendige Verhalten kultivierte, durch Feuer und Werkzeuge. Erst in diesem Zusammenhang stellten sich auch ethische Fragen zum Töten anderer Lebewesen, was sich für Joskowitz unter anderem in Opferritualen manifestierte. Anders formuliert: „Zwischen dem Fressen und der Moral mussten die Menschen durch die Küche.“

Diese wurde im Laufe der Jahrtausende stetig aufgewertet: Aus Faustkeilen wurden Messer und Hackwerkzeuge, aus einfachen Feuerstellen die ersten Kochvorrichtungen. Das Essen wurde selektiver, also anders als bei vielen Raubtieren, die ihre Beute buchstäblich mit Haut und Haaren oder auch dem Mageninhalt verspeisen. Kulinarisches Wissen wurde zum Machtfaktor. Wer weiß, wie man Dinge zubereiten kann, hatte entsprechendes Ansehen, denn „wer gut kochen kann, ist in der Lage, andere zu nähren“. Laut Joskowitz „haben die Frühmenschen eine bewusste Entscheidung gefällt, anders zu leben als ihre tierischen Vorfahren und sich von ihnen abzugrenzen“.   

Ist Tiere töten ethisch vertretbar?

Allerdings wird derzeit besonders in entwickelten, westlichen Gesellschaften die Frage aufgeworfen, ob das Töten von Tieren zum Zweck der eigenen Nahrungsaufnahme ethisch vertretbar ist. Und ob die industrielle Massenproduktion von Fleisch und den dafür notwendigen Futtermitteln alleine schon aus ökologischen Gründen – Stichwort Klimawandel – unterbunden werden müsste.

Joskowitz sieht das differenziert. Das Töten von Tieren sei anders als früher keine Notwendigkeit mehr, globale Ernährungssicherheit wäre aufgrund der technologischen Fortschritte bei der Pflanzenzucht auch ohne tierische Nahrung möglich, sogar effektiver und vor allem ökologisch vorteilhaft. Die ethische Frage sei für ihn aber nicht, ob wir Tiere zum Verzehr töten, sondern wie wir das tun, denn das sage etwas über das ethische Fundament von Menschen aus. Ein Unternehmer, der Tiere ohne Respekt als reine Objekte behandelt und faktisch quält, werde auch zu seinen Untergebenen nicht sonderlich nett sein.

Kochen gegen „urbane Entfremdung“

Als Problem sieht der Philosoph vor allem „die urbane Entfremdung von der äußeren und inneren Natur“ bei vielen Menschen, den Verlust des Bezugs zum Essen und kochen. Wer gut essen und auf Fleisch nicht verzichten will, sollte eben nicht nur einen Bauernhof besuchen, sondern auch ein Schlachthaus, und er sollte auch mit Jägern sprechen. Man sollte lernen, kochen und essen weder als reine Nährstoffzufuhr noch als reines Lifestyle-Event zu begreifen. In diesem Sinne plädiert er auch für die Schaffung und Förderung kommunaler Küchen. Nicht als „Armenspeisung“ sondern als Orte der Kommunikation und des Austauschs, des Lernens und des Genießens.

Natürlich wird ums Kochen und Essen mitunter zu viel Gedöns veranstaltet, schließlich sei das ohnehin reine Privatsache, heißt es dann oft. Eine Einstellung, die der Frankfurter Philosoph mit seinen Betrachtungen zur Rolle des Kochens bei der Menschwerdung des Menschen durchaus überzeugend in Frage stellt. Sein Catering-Unternehmen hat Joskowitz übrigens vor einigen Jahren aufgegeben, aber er koche fast jeden Tag privat, sagt er in einem Interview. Mögen seine Ausführungen dazu beitragen, dass sich viele Menschen bewusster mit Fragen der kulinarischen Kultur auseinandersetzen.

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