„Gay Not Queer“ - Der Regenbogen darf nicht zerfallen

Mit dem Slogan „Gay not queer“ stemmen sich Schwule gegen die Queer-Politik der Bundesregierung und aggressiven Transaktivismus. Florian Greller, Gründer des Vereins Just Gay, ist Teil dieser Gegenbewegung. Im Gastbeitrag schildert er seine Sicht der Dinge.

Eine Demonstrantin protestiert gegen eine Veranstaltung der LGB Alliance in London. Der Verein setzt sich für die Rechte von Schwulen und Lesben auf Basis des binären Geschlechtersystems ein / picture alliance
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Florian Greller ist Gründer des Vereins Just Gay, der sich auf Basis des biologischen Geschlechts für die Interessen schwuler Männer einsetzt.

„Florian, aus dem Regenbogen entwickelt sich eine neue Bewegung, die sich Gender nennt, und in ein paar Jahren wird sich diese durchsetzen und für eine Menge Streit sorgen“, sagte mir einmal eine Kollegin, mit der ich ehrenamtlich tätig war. Es war mein erster Berührungspunkt mit einer Debatte, die Jahre später völlig eskalieren sollte. 

Nun sitze ich vor meinem Smartphone und stelle fest, dass mich schon wieder ein Shitstorm auf Twitter ereilt. Diesmal richtet er sich nicht gegen einen geplanten Vortrag, sondern ist eine Reaktion auf die Bekanntgabe unserer neuen Organisation, die sich für die Rechte von schwulen Männern auf der Grundlage des biologischen Geschlechts einsetzt. Ich lese „Hurensohn“ und andere Beleidigungen – und nicht wenige User verkünden, dass wir nicht in ihrem Namen sprechen würden. Ich wundere mich: Welche Organisation spricht für alle? Ich und die Männer von Just Gay können und wollen das gar nicht. 

Immer mehr Twitter-Nutzer werden auf Just Gay aufmerksam. Drei Stunden später ist unser Account wegen angeblicher Verbreitung von „Hass“ in Deutschland gesperrt. In allen anderen Ländern ist er weiterhin sichtbar. Nutzer aus den USA fragen sich bereits, ob Deutschland homophob sei. Die Nachricht über die Twitter-Sperrung verbreitet sich wie ein Lauffeuer und viele Menschen schreiben ihren Unmut darüber nieder, dass es sich beim Vorwurf gegen uns um eine Lüge handelt und nichts Böswilliges verbreitet wurde; schon gar nicht „Hass“.

Umgehend scharfe Kritik

Eine Tageszeitung veröffentlicht ein Interview mit mir und stellt den Link auf Twitter ein. Das Empörungsorchester stimmt an und sofort eskaliert es. Wieder sind verbale Attacken gegen mich und Just Gay zu lesen. Es wird ein Bild gebastelt und verbreitet, das uns mit Transfeindlichkeit in Verbindung bringt. Die lokale queere Organisation, die für die Verbreitung der Vorwürfe verantwortlich ist, bekommt umgehend scharfe Kritik. „Wenigstens mal nicht als Nazi bezeichnet worden“, denke ich mir – und gleichzeitig, dass man das schon als Fortschritt werten kann. 

Doch diesmal ist tatsächlich etwas anders. Die Mehrheit der Kommentare zeigt Verständnis für uns. Mich erreichen einige Nachrichten, dass ich und wir Recht hätten. Am Ende sind es über 450 Gefällt-mir-Angaben. Kommentare sind zu lesen, die sich von Queer distanzieren und gleichzeitig betonen, dass jetzt die Zeit gekommen sei, sich zu wehren. Im Verhältnis ist die Zahl negativer Kommentare gering. Das Orchester ist leiser geworden. Noch mehr Menschen werden auf die Diskussion aufmerksam und betonen, dass es viele schwule Männer gibt, die mit queerer Politik nichts zu tun haben, aber aus Angst vor Konsequenzen schweigen.

Den Regenbogen verlassen?

Seit geraumer Zeit werden Hashtags verbreitet wie „Gay Not Queer“, inklusive Aufforderungen an Schwule und Lesben, den Regenbogen zu verlassen. Kritiker und Kritikerinnen werden wüst beschimpft und insbesondere Frauen sehen sich mit einem Hass konfrontiert, der bis vor kurzem noch undenkbar war. Nun melden sich auch vermehrt Transsexuelle und vereinzelt Transgender zu Wort und offenbaren ihre Ablehnung gegenüber queeren Gesetzesvorhaben der Ampelregierung. Sie betonen, dass sie nicht queer sind.

Insbesondere das Selbstbestimmungsgesetz sorgt für heftigen Streit. Weitere Vorhaben wie die sexuelle Identität in das Grundgesetz zu schreiben, Änderungen des Konversionstherapiegesetzes, Änderungen im Strafgesetzbuch, die Einrichtung von Meldestellen sowie ein mögliches Hassgesetz geraten in den Fokus. Die ersten realisieren, dass wir uns in einem Kampf für und wider mehrerer Gesetzesvorhaben befinden; unabhängig davon, ob hetero-, homo- oder transsexuell. 

Ich und andere sind inmitten eines Kreuzfeuers geraten und befinden sich in einem Tollhaus, das oftmals jedes Maß an Vernunft und Respekt vermissen lässt. Neue Allianzen bilden sich, unabhängig welcher demokratischen Partei er oder sie angehört. Soviel Aufregung wegen gesperrter Accounts und anonymer Nutzer, die offensichtlich ihre Erziehung beim Tippen beiseitelegen? Soviel Aufregung wegen Hashtags, die eine Spaltung fordern? 

Gefährdung der Meinungsfreiheit

Wenn dem so wäre, dann könnte ich aufhören zu schreiben und der Vorwurf gegen mich, ich verwechsle die Welt von Twitter mit der realen Welt, wäre belegt. So ist es aber nicht. Bis vor kurzem handelte sich der Streit um das Thema Geschlecht tatsächlich um ein reines Phänomen in den sozialen Netzwerken – und fand daher lange wenig Beachtung in der breiten Öffentlichkeit und im Regenbogen. Ein Gesetzesvorhaben mit dem Titel „Selbstbestimmungsgesetz“ kannte so gut wie niemand. Dies hat sich geändert. 

Immer mehr Menschen realisieren, dass Gesetze verabschiedet werden sollen, die nach ihrer und meiner Auffassung die Rechte der Frauen faktisch beenden und durch die Aufgabe des biologischen Geschlechts die Homosexualität umdefinieren mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Die Meinungsfreiheit sehen nicht wenige zusätzlich akut gefährdet.
 

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Freilich, Befürworter argumentieren, dass das alles nicht stimme, und beklagen ihrerseits den Hass, die Hetze, das Verbreiten von Falschmeldungen sowie ein neues Bedrohungspotential gegen sexuelle Minderheiten. Die Stimmung ist mittlerweile so aufgeheizt, dass selbst die Ankündigung von  (harmlosen) Vorträgen im Vorfeld für Ärger sorgt und zu Gegendemonstrationen  in den sozialen Netzwerken aufgerufen wird. 

Kritikerinnen und Kritiker bemängeln, dass es eine echte Debatte bisher nicht gibt. Dies ist nun vorbei. „No Debate“ ist zu Ende und die Debatten rund um die Themen Queer, Geschlecht und Selbstbestimmungsgesetz werden geführt. Immer mehr Menschen schreiben über ihre massiven Bedenken gegenüber dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz und anderen Vorhaben der Regierung. Neue Organisationen gründen sich, Vorträge werden gehalten, Politikerinnen und Politiker angeschrieben – und der Regenbogen sieht sich in einer Debatte wieder, die am Ende tatsächlich zur Spaltung führen könnte. 

Bloß nicht einschüchtern lassen

Derweil erlebt die Frauenrechtsbewegung ein Comeback. In den USA und in Großbritannien wird außerdem zu einer Reaktivierung der Schwulen- und Lesbenbewegung aufgerufen. Ich erhalte Nachrichten und Telefonanrufe, wie wichtig und richtig Just Gay sei und das, wofür unsere Organisation steht. Auch werde ich gebeten, weiterhin meine Meinung zu sagen und mich nicht einschüchtern zu lassen. In Gesprächen fällt der Begriff „Queere Politik“ häufiger im negativen Sinne. Vorwürfe der Selbstzensur und Kritik daran, eine vermeintlich richtige Meinung vertreten zu müssen, um sich nicht ins Abseits zu schießen, werden lauter. 

Auch Außenstehende fangen an, Fragen zu stellen, und bekommen mit, dass im Regenbogen etwas nicht mehr stimmt. Meinungsverschiedenheiten gab es in der Community immer schon, auch  verschiedene Gruppierungen. Neu sind allerdings die offene Auseinandersetzung und die gegenseitigen Vorwürfe, die im Zuge dessen erhoben werden. Die Diskussionen werden in einer Härte geführt, die befremdlich ist. Wenige Jahre nach der „Ehe für alle“ befindet sich der Regenbogen am Scheideweg. Wie konnte es soweit kommen? 

Geblockt, gemeldet, gesperrt

Zeiten ändern sich. Aus „LGBTs“ ist „Queer“ geworden und aus CSD „Prides“. Den Regenbogen beschäftigt nicht eine Diskussion, sondern gleich mehrere, und ein misslungener Tweet kann hohe Wellen schlagen. Weitere Debatten über Cancel Culture und die grundsätzliche Polarisierung der Auseinandersetzung verschärfen den Konflikt.

Der Streit entzündet sich bereits an den Fragen, was eigentlich die Definition von „Queer“ ist und wer darunter fällt. Der Vorwurf von schwulen Männern, freilich nicht von allen, lautet, dass durch queere Politik die Türe aufgestoßen worden ist für alle und wir damit unsere Schutzräume und unsere Infrastruktur verlieren. Diese sind aber auch heute noch sehr wichtig und müssen erhalten bleiben.

 

 

In den sozialen Medien wird geblockt, gemeldet, gesperrt, gestritten – und nicht wenige gestehen sich ein, dass es so nicht weitergehen kann. Kern des Streits ist die Neudefinition von Geschlecht und die damit einhergehende Umdefinierung von Homosexualität. Das Geschlecht des Mannes ist laut Ansicht der Genderbefürworter eine Identität, vollkommen unabhängig vom biologischen Geschlecht. Es zählt ausschließlich die Selbstidentifikation oder Selbstwahrnehmung (Gender). Sex wird durch Gender ersetzt. Und es wird erwartet, dass das andere – wie ich – einfach so akzeptieren. 

Ich und wir schwule Männer von Just Gay befürworten diese Definition aber nicht. Ich bin tolerant gegenüber den Vertretern von Gender und respektiere ihre Perspektive auf die Welt. Ich erwarte aber gleichzeitig Toleranz gegenüber meiner Definition von Homosexualität, die folgendermaßen lautet: schwuler Mann = homosexuell = „same sex attracted“. Das bedeutet, ein schwuler Mann ist eine erwachsene Person männlichen Geschlechts, gleichgeschlechtlich liebend und begehrend. Grundlage hierfür ist das biologische Geschlecht (Sex) des Mannes sowie die angeborene sexuelle Orientierung; seine Homosexualität. 

Gender not Sex

Nun kommt ein weiteres Problem hinzu. Gender wird mir und anderen aufgezwungen. Seit Monaten ist zu lesen, dass das Geschlecht bei der Geburt „zugewiesen“ wurde. Ich soll CIS sein, eine gesellschaftliche Rolle, ein soziales Konstrukt. Homosexualität sei eine sexuelle Identität und Schwulsein nur ein Gefühl, heißt es. 

Weiteres Problem und eine Ursache dafür, dass sich schwule Männer vom Regenbogen distanzieren, ist die „Rolle“ queerer Vereine, Organisationen, Medien und Individuen. Diese haben sich dem Thema der Genderidentität verschrieben und sind wesentlich an der Umsetzung beteiligt. Das wäre an sich noch nicht das Problem. Das Problem ist aber die Art und Weise, geprägt von Vehemenz und Ausschließlichkeit. Es soll der Grundsatz gelten, Gender not Sex, und alle haben das so zu akzeptieren und widerspruchslos hinzunehmen. 

In der Konsequenz ergibt sich etwa die Situation, dass heterosexuelle Frauen sich selbst als schwuler Mann identifizieren können. Von uns wird darüber hinaus verlangt, dass wir die Selbstidentität als unsere Realität anerkennen. Ich sage: Nein. Das ist Homophobie. Zusätzlich erleben wir die Entwicklung, dass durch das Label „Queer“ Schutzräume obsolet werden, weil sich jede und jeder durch die Selbstidentität Zugang zu ihnen verschaffen kann. 

Kurzum: Queere Organisationen verfolgen eine Politik zur Durchsetzung von Gender als Geschlechtsdefinition. Diese ist aber nicht unsere Definition von Geschlecht, und wir erkennen diese für uns persönlich auch nicht an. Dies wird aber nicht respektiert. Es wird der Versuch unternommen, dies als allgemeingültig zu erklären. Wer dem nicht folgt, der muss mit Verunglimpfung, Ausgrenzung und Beleidigungen rechnen. Über Konsequenzen und Risiken wird konsequent geschwiegen und nicht geschrieben. Eine offene Debatte wird nicht zugelassen. Es wird erwartet, dass alle widerstandslos der queeren Agenda folgen. So funktioniert das aber nicht. Zumal ich und auch viele andere immer betonen, dass wir Teil des Regenbogens sind – aber eben mit eigenen Bedürfnissen und Ansichten.

Sprechverbote und Selbstzensur

Ich und andere finden sich gerade in einem toxischen Umfeld wieder. Sprechverbote und Selbstzensur prägen das Bild. Und nur wenige schaffen es, ihre kritischen Ansichten zu offenbaren und Gesicht zu zeigen. Ich bin sehr dankbar, dass ich meine Meinung sagen kann und mir dafür Plattformen geboten werden wie diese. Bis dahin war es aber ein schwieriger Weg, und es galt und nach wie vor, einiges auszuhalten. Deshalb ist es verständlich, dass nicht wenige anonym ihre Ansichten kundtun oder gar nichts sagen. „Es gibt Debatten, da kann man nur verlieren“, sagte mir neulich ein Freund. 

Wir haben mit anderen zusammen jahrzehntelang gekämpft für Gleichberechtigung und Akzeptanz. Kern des Kampfes war, uns nicht verurteilen oder uns vorschreiben zu lassen, welchen erwachsenen Menschen wir begehren und wen nicht. Nun finden wir uns in einer Situation wieder, wo genau das in Teilen wieder geschieht. Diesmal aber nicht von Erzkonservativen oder anderen, noch schlimmeren Leuten, sondern von Teilen der Queeren Bewegung.

Für ein gemeinsames Miteinander

Dass ein gewählter Politiker ein Projekt verwirklichen will und es auf seine Agenda ganz oben setzt, das ist völlig legitim. Nur gehört zu jedem Gesetzesvorhaben, dass auch kritische Stimmen zugelassen werden. Das gilt auch für das von der Ampelregierung geplante Selbstbestimmungsgesetz. Rücktrittsforderungen gegen den Queer-Beauftragten Sven Lehmann (Grüne) werden laut. Ich persönlich und als Vertreter von Just Gay fordere das nicht. Ich empfehle aber Herrn Lehmann, endlich zuzuhören und nicht jede Kritik am Vorhaben als ungerechtfertigt und „transphob“ abzutun. 

Ich bin nicht sicher, ob Herrn Lehmann bewusst ist, wieviel Wut und Enttäuschung er gerade auf sich zieht. Gerne stehen ich und wir für konstruktiven Austausch und eine Zusammenarbeit bereit. Deshalb haben wir auch das Angebot angenommen, am Queeren Aktionsplan mitzuarbeiten. Wir hoffen, dass sich zügig alle Beteiligten an einen Tisch setzen und Lösungen finden. Unabhängig ob schwul oder queer. Wir müssen alle mitnehmen und Wege finden, damit alle Betroffenen berücksichtigt und beteiligt werden. Für ein gemeinsames Miteinander.

Transformation von Sex zu Gender 

Sind ich und andere Kritiker frei von Kritik? Haben die negativen Entwicklungen im Regenbogen ausschließlich andere zu verantworten? Das wäre zu einfach. Ein berechtigter Vorwurf ist die Blindheit der letzten Jahre. Wir haben es nicht können oder sehen wollen. Das Selbstbestimmungsgesetz ist seit Jahren in Arbeit und Verbände haben schlichtweg den Auftrag ihrer Mitglieder erfüllt. Die Transformation von Sex zu Gender ist nicht erst seit kurzer Zeit ersichtlich.Queeren Organisationen pauschal die Schuld daran zu geben, ist aber falsch und unfair. Wir alle haben zu verantworten, was derzeit passiert. Schuld ist daher ein falsches Wort. Entwicklung trifft es eher. 

Grundsätzlich zeigen uns die aktuellen Entwicklungen auf, dass die Rechte von schwulen Männern immer aufs Neue Erkämpft werden müssen. Vielleicht haben wir uns einfach zu sehr ausgeruht auf allen Fortschritten der vergangenen Jahre und Jahrzehnte – und gedacht, es würde jetzt immer so weitergehen.

Alarmsignal für die Community

Ein weiteres Thema ist ein befürchteter Rollback. Die Unterstützung für Queer ist groß. Diesen Eindruck könnte man gewinnen. Aber ist dem wirklich so? Kann es nicht vielleicht sein, dass die Unterstützung für manche nur Mittel zum Zweck ist, um gut dazustehen? Nach meiner Auffassung ist es kritisch zu sehen, wie innerhalb kürzester Zeit ein derartiger Hype in Form von lautstarker Zustimmung entstanden ist. So schnell wie die Unterstützung gekommen ist, so schnell kann diese auch wieder verschwinden. 

Queere Themen sind derzeit omnipräsent. Und nicht wenige Außenstehende sind einfach nur genervt davon und lehnen diese Omnipräsenz ab. Nur wenige trauen sich zudem, „nein“ zu sagen und queere Politik zu kritisieren. Dies führt zu Frustration und der Druck steigt. Wäre es nicht besser, den Versuch zu unternehmen, alle mitzunehmen? 

Klar ist: Immer öfter ist zu lesen, dass es sich beim CSD nicht mehr um eine Demonstration für die Gleichberechtigung aller Lebensentwürfe handelt, sondern um einen Anlass, Fetische dar- und zur Schau zu stellen. Wer genau hinsieht, der merkt, dass sich der Ton bereits geändert hat. „Lasst unsere Kinder in Ruhe!“, lese ich mittlerweile häufiger. Dieser Satz müsste eigentlich ein Alarmsignal für die Community sein, dass sich der Wind bereits dreht. Mittelfristig kann eine Gemengelage entstehen, die dazu führt, dass die Toleranz schnell wieder vorbei ist – und wir schwule Männer dafür verantwortlich gemacht werden. 

Andere Bedürfnisse und Forderungen

Es gibt somit viele Gründe für eine neue Organisation. Daher haben wir uns entschlossen, einen Verein ins Leben zu rufen. Die Entwicklungen zeigen uns auf, wie wichtig und richtig es ist, sich wieder neu zu organisieren und für unsere Belange als schwule Männer einzutreten. Wir haben andere Bedürfnisse und Forderungen, und diese wollen wir innerhalb der Community und gegenüber der Gesellschaft und der Politik auch vertreten. 

Die Gefahr von Konversionstherapien durch die Hintertür ist zum Beispiel gegeben. Außerdem kommt immer wieder zur Gewalt gegen schwule Männern. Durch die geplanten Gesetze sind wir direkt betroffen, und daher ist es wichtig, eine neue Organisation zu gründen, um uns Gehör zu verschaffen: Wir fordern gegenüber der Politik, dass die Beibehaltung des biologischen Geschlechts als Grundlage für politisches Handeln gilt. Wir fordern gegenüber der Gesellschaft, dass wir ein diskriminierungsfreies Leben führen können. Und wir fordern gegenüber der Regenbogengemeinschaft, dass wir anerkannt und unsere Positionen toleriert werden. 

Wie tolerant die Community ist, das wird sich im realen Leben zeigen. Wir werden an einem CSD mit einem Stand vertreten sein und wir nehmen das Angebot des Bundesministeriums an und bewerben uns zur Teilnahme an der Umsetzung des Queeren Aktionsplans. Unsere Stimmen müssen gehört und berücksichtigt werden. Sex und Gender in gegenseitigem Respekt schließt sich nicht aus. Mehr als dieses Angebot können wir aber nicht machen. Wir hoffen, dass es angenommen wird. 

Wut und Frust auf allen Seiten 

Ist derzeit also alles schlecht in der Welt des Regenbogens? Nein. Erste Gespräche zwischen mir und queeren Organisationen wurden vereinbart. Ein erster Schritt ist getan. Gemeinsam reden und sich austauschen, jenseits von Twitter. Auch, wenn die Art der bisherigen Debattenführung zu verurteilen ist, ist es dennoch gut, dass dies jetzt geschieht. Denn bisher haben die Diskussionen zu all den genannten Themen und mehr nur verbrannte Erde hinterlassen. Wut und Frust auf allen Seiten.

Es ist daher Eile geboten, dass sich endlich die Vernunft durchsetzt und alle Betroffenen gehört und aktiv eingebunden werden. Die Kernfrage ist doch: Was können wir tun, damit alle mitgenommen werden können? Es ist wichtig, darüber zu debattieren, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen und können. Ist es wirklich so schwer, Lösungen zu finden? Derzeit werden die Gräben leider immer tiefer. Doch noch haben wir die Chance, dass es doch anders kommt; dass der Regenbogen nach der „Ehe für alle“ nicht zerfällt.

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