Freistaat Flaschenhals - „ Treppenwitz der Geschichte “

Kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entstand auf deutschem Boden der Freistaat Flaschenhals. Vor 100 Jahren wurde er von marokkanischen Hilfstruppen der Franzosen besetzt.

Die Stadt Lorch, am westlichsten Zipfel Hessens gelegen, war Teil des Freistaats / Markus Hintzen
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Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Zwei Kreise mit einem Radius von 30 Kilometern können sich nur dann überschneiden, wenn ihre Mittelpunkte weniger als 60 Kilometer voneinander entfernt sind. Liegen ihre Zentren weiter auseinander, wie es bei Koblenz und Mainz um einige Kilometer der Fall ist, bleibt ein Zwischenraum. Immer. Die kleine Algebra gilt auch für den ruhmreichen französischen Militärstrategen und Oberbefehlshaber Ferdinand Foch, der quasi aus Versehen wenige Wochen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs mitten in Deutschland einen Kleinstaat schuf. Umzingelt von den Truppen der Siegermächte Frankreich und USA, isoliert vom Rest des Landes, eigentlich gar nicht überlebensfähig, behauptete er sich doch vier Jahre lang mit Tatkraft, Cleverness, Selbstbewusstsein und einer kräftigen Portion Aufsässigkeit gegenüber Besatzern und Bedingungen, die keiner der Akteure ernsthaft angestrebt hatte.

Die Rede ist vom „Freistaat Flaschenhals“, entstanden als Nebenprodukt des Waffenstillstands vom 11. November 1918, in dem die Deutschen ihre Niederlage anerkennen und die Besetzung ihres Landes bis zum Rhein und sogar darüber hinaus akzeptieren mussten.

Die Geburt des Flaschenhalses

In einem Salonwagen mitten in einem Wald nahe Compiègne in Nordfrankreich ist auf Betreiben jenes französischen Marschalls Foch ein staatliches Kuriosum entstanden, das sich wenige Wochen später dann vom Rhein zwischen Lorch und Kaub in einem schmalen Streifen nordöstlich den Taunus hinauf bis nach Limburg erstrecken sollte. Historiker rätseln bis heute, was der alte Fuchs Foch sich dabei dachte, als er eine Landkarte und einen Zirkel nahm und um Köln, um Koblenz und um Mainz herum jeweils einen Dreiviertelkreis mit einem Radius von 30 Kilometern zog. 

Fochs Ziel war klar: Briten, Amerikaner und vor allem Franzosen sollten zur Sicherung ihrer Interessen nicht nur linksrheinisches Territorium des Deutschen Reiches kontrollieren, sondern auch jeweils einen Brückenkopf am rechten Rheinufer. Etwaige Überfälle des einstigen Kriegsgegners wollte er so verhindern. Die anderen Alliierten, auch Italien, sahen zwar die Notwendigkeit einer solchen zusätzlichen Demütigung der Deutschen nicht unbedingt ein, doch wollten sie Paris nicht wegen einer vermeintlichen Quisquilie einiger Hektar Land in der Provinz von Hessen-Nassau in die Parade fahren, nicht ihre Einigkeit gegenüber Berlin aufs Spiel setzen. 

Personalausweis und Familienfotos von Edmund Pnischeck: Er war politisches Oberhaupt der Enklave

Für die Briten in Köln war der Plan geografisch kein Problem, aber zwischen den Kreisen um Koblenz und Mainz herum blieb zwischen der amerikanischen und der französischen Zone ein schmales, sich in der Mitte bis auf 800 Meter verjüngendes, insgesamt aber mehr als 40 Kilometer langes „neutrales“ Gebilde übrig, das tatsächlich mit dem Rhein als Ausgangspunkt die Form eines Flaschenhalses aufwies und niemandem gehörte. Nicht den Siegermächten links und rechts, de facto aber auch nicht der Provinz Hessen-Nassau, denn zu ihr blieb nur ein unwegsamer Zugang über Taunushänge und Stock und Stein am oberen Ende der Minirepublik. 

Warum Zirkel statt Lineal?

Wege und Straßen oder gar Bahnlinien direkt in den Taunus hinauf gab es nicht und gibt es bis heute nicht. Dieses seltsame, künstlich erzeugte Land war über Nacht abgeschottet von jeder Infra­struktur, jeder regulären Verbindung mit seiner Umgebung – und seine 17.000 Bewohner mussten im Januar 1919 über Nacht sehen, wo sie bleiben. 

Der Notgeldschein markiert den Verlauf des Freistaats
Flaschenhals rechts des Rheins

Stephanie Zibell, Wiesbadener Historikerin, taucht immer wieder tief in Akten und Archive ein, um der Entstehung des Freistaats Flaschenhals auf den Grund zu gehen. Sie sagt: „Alles schien aus alliierter Sicht nach Plan zu verlaufen, als die Waffen endlich schwiegen, wenn es da nicht dieses kleine ‚Missgeschick‘ gegeben hätte durch die Schaffung eines unbesetzten Gebietes genau in der Mitte zwischen den Brückenköpfen Koblenz und Mainz.“

Ein Lineal anstelle des Zirkels in Fochs Hand wäre damals im Salonwagen hilfreich gewesen, das merkten selbst die Franzosen alsbald, wie Zibell in einem Beitrag schreibt: „Die für die Region um Mainz zuständigen französischen Besatzungstruppen waren entsetzt, als sie feststellten, was für ein strategischer Fehler den Verantwortlichen bei der Einrichtung der Brückenköpfe unterlaufen war. Denn sie vermuteten, dass ihn die Deutschen sofort nutzen würden, um hier ihre Truppen zu konzentrieren, die sie dann gegen die alliierten Soldaten in Koblenz, Mainz und dem übrigen linksrheinischen Gebiet zum Einsatz brächten.“

Spannungen mit Franzosen

Nun, das taten sie nicht. Die Deutschen hatten andere Sorgen, etwa Aufstände allerorten und die Abwicklung der Monarchie. Die Delegation von Staatssekretär Matthias Erzberger ahnte jedoch, welchen Ärger Fochs merkwürdige Grenzlinien allen Parteien einbringen würden: „Ihr Bestehen würde stets neue Reibungen und Unzuträglichkeiten hervorrufen, da eine natürliche Demarkationslinie fehlt. Die Grenzlinien der Brückenköpfe würden dichtbevölkerte Landesteile durchschneiden, in denen eine militärische Absperrung fast unmöglich ist.“

Genau so sollte es kommen. Die Folgen der im Gelände nur schwer erkennbaren Demarkationen, die den Flaschenhals bildeten, waren dramatisch. Kraftwagen durften nur noch mit Sonderausweis der Alliierten die Kontrollstellen passieren. Fast alle Straßen berührten nach kurzer Strecke entweder die amerikanische oder die französische Zone, verliefen sie doch quer zum Taunusanstieg und damit quer zum nördlichen Ende des Freistaats. Zugänglich blieb als nächste Kreisstadt lediglich Limburg, aber die war nur sehr beschwerlich zu erreichen, je nach Witterung und Verkehrsmittel eine Sache von mehreren Tagesreisen. 

Der alte Bahnhof von Lorch: Hier wurde die Kohle aus dem entführten Zug an die Bevölkerung verteilt

Das Verhältnis der Einheimischen zu den französischen Besatzern um sie herum war ohnehin angespannt. Der Steuermann Anton Brien aus Caub (bis 1933 mit „C“) wurde bei Niederheimbach gegenüber von Lorch, als er am 24. April 1919 auf dem leeren Schraubendampfer Confiance den Rhein talwärts fuhr, vom westlichen Ufer aus durch einen Gewehrschuss eines marokkanischen Söldners in französischen Diensten schwer verletzt. Angeblich hatte er die Fahrzeit überschritten. Ein Querschläger riss ihm das halbe linke Handgelenk weg und durchschlug dann seinen Bauch. Sein Lotse und Freund Martin Kimpel III. fand ihn, so die Überlieferung, in einer Blutlache neben seinem Steuerstuhl liegend. „Einer der Gauner hat mich angeschossen“, konnte Anton noch sagen, doch der Arzt in seinem Heimatort, zu dem man ihn endlich geschafft hatte, während von der französisch besetzten Rheinseite weiter auf Schiffe gefeuert wurde, vermochte ihn nicht mehr zu retten. 

Alkohol als Reservewährung

Anton Brien war nicht das erste Opfer dieser Geschichte und sicherlich auch nicht das letzte. Wenigstens erhielt seine Witwe Franziska auf Antrag in Wiesbaden eine Rente. Und trotzdem lässt sich heute, mit dem Abstand von gut 100 Jahren, sagen: Es hätte noch schlimmer kommen können, dort an der Nordwestgrenze des Rheingaus, mittlerweile Unesco-Welterbe. Blutige Auseinandersetzungen scheinen, trotz jederzeit drohender Meinungsverschiedenheiten über den Grenzverlauf, mitunter mit vorgehaltener Waffe ausgetragen, die Ausnahme geblieben zu sein. 

In der Regel beließen es die einstigen Kriegsgegner bei gegenseitigen Schmähungen, etwa wenn die Deutschen die Hosen herunterließen (an die Adresse der Franzosen, die mit Scheinwerfern vom anderen Ufer vergebens illegale Warenlieferungen per Schiff unterbinden wollten). Oder wenn 40 eigens aus Mainz angereiste französische Soldaten das Blücher-Denkmal von Kaub anpinkelten. Diese ungehörige späte Rache für den Rheinübergang des preußischen Generalfeldmarschalls Blücher am 1. Januar 1814 wurde in den Hauptstadtblättern tagelang entrüstet kommentiert und karikiert. 

 

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Den Einheimischen half in der Zeit der Isolation der wertvolle, zugleich aber auch einzige Schatz, über den sie im Flaschenhals in ausreichender Menge verfügten: Wein und Schnaps, ergänzt durch ein wenig Rindvieh an den Taunus­hängen. Mit edlen Alkoholika besaß die Enklave eine Währung, die nach dem Krieg besonders begehrt war und für die sie jederzeit willige Abnehmer fand. Dank dieser „Rebendeckung“ funktionierte sogar ihr Notgeld besser als anderswo. Dessen Druck und Ausgabe war wie überall in Deutschland notwendig geworden, weil der Staat die Münzen eingezogen und für Kriegszwecke eingeschmolzen hatte.

Findige Flaschenhalser

„Die Stadtkassen handelten dann quasi als Zentralbank“, erklärt Ulrich Rousseaux, Leiter des Geldmuseums der Deutschen Bundesbank, „aber wie jedes Papiergeld funktioniert auch Notgeld nur auf Vertrauensbasis. Solange die Menschen glauben, für die Scheine beim Bäcker oder Metzger einen fairen Gegenwert zu erhalten, akzeptieren sie es ohne zu zögern.“ Bei Sammlern ist Flaschenhals-Notgeld wegen seiner originellen Gestaltung bis heute beliebt. Und wegen seiner Losungen wie „Nirgends ist es schöner als in dem Freistaat Flaschenhals“.

Den Menschen fehlten Kartoffeln, Kohlen, Getreide, aber dieses Manko wussten sie auszugleichen. Und sie hatten, unausgesprochen, die Amerikaner auf ihrer Seite, deren Verhältnis zu den besiegten Deutschen von einer gewissen gutmütigen Gelassenheit geprägt war. US-General Henry Tureman Allen residierte 50 Kilometer nördlich von Lorch im Coblenzer Hof, Zentrum seines Brückenkopfs, und bemühte sich um ein gutes Auskommen mit der deutschen Bevölkerung. Vier Jahre lang bremste er überhartes Vorgehen der Verbündeten und deren Expansionsversuche in den von ihnen selbst aus Versehen geschaffenen Freistaat hinein. 

Dessen Bewohner wussten sich zu helfen, etwa indem sie einen Knüppeldamm anlegten, der sachte beladenen Lastwagen, Pferdefuhrwerken und Ochsenkarren wenigstens eine behelfsmäßige Passage bis nach Limburg und zurück ermöglichte. Legendär auch, wie ein im nahen Rüdesheim, also außerhalb des Freistaats aufgehaltener Kohlenzug, dessen Fracht als Reparationsleistung für Italien bestimmt war, von beherzten Eisenbahnern entführt und fröhlich dampfend nach Lorch gefahren wurde, wo die Kohle an die frierende Bevölkerung verteilt wurde. Lokführer, Stellwerker und Bahnhofsvorsteher der zwölf Kilometer langen Strecke hatten sich heimlich abgesprochen. Die Franzosen konnten nur machtlos vom gegenüberliegenden Niederheimbach aus zusehen.

Der erste Präsident des Freistaats

Weiter oben im Taunus, in der Mitte des Freistaats, wo der Flaschenhals am engsten wurde und sich Fuchs und Hase heute ungestörter denn je Gute Nacht sagen, nützten solche Heldentaten freilich wenig. Das Örtchen Zorn war durch seine Lage besonders isoliert, wie der Heimatforscher Wolfgang Höpp in seinem Aufsatz „Ein Treppenwitz der Geschichte“ berichtet: „Die Zorner Bauern mussten deshalb tagsüber mit ihrem Getreide über schlecht bestellte Waldwege in die Mühlen an den Rhein oder nächtens über Schleichwege ins 15 Kilometer entfernte amerikanisch besetzte Dörsdorf fahren. Jedes Mal ein neues Abenteuer und immer ein gefährliches Wagnis. Dieser neue ‚Staat‘ war der französischen Kommandantur schließlich ein riesiger ‚Dorn im Auge‘, wenn nicht sogar ein immenser ‚Balken im Gesicht‘, auch weil sich der ‚Flaschenhals‘ zu einem willkommenen und beliebten Zufluchtsort entwichener deutscher Kriegsgefangener in der Nachkriegszeit entwickelte.“

Mit passivem, aber lange sehr wirksamem Widerstand setzte sich die deutsche Seite gegen alle Versuche der Franzosen, sich das unbesetzte Gebilde doch noch nachträglich unter den Nagel zu reißen, zur Wehr. Und mit Improvisations- und Organisationstalent. Es war die Stunde des Lorcher Bürgermeisters Edmund Pnischeck, zu diesem Zeitpunkt 36 Jahre alt. Am 3. Januar 1919 genehmigte das Oberpräsidium Kassel, so berichtet es Wolfgang Höpp, die Selbstverwaltung der Minirepublik.

Diese aus der Not geborene Maßnahme habe die Bevölkerung der Enklave ermutigt, fortan erst recht gegen die Umklammerung durch die Siegermächte zu rebellieren, allen voran der Bürgermeister von Lorch: „Edmund Anton Pnischeck fasste sich ein Herz und rief am 10. Januar 1919 per Telegramm an die deutsche Waffenstillstandskommission den ‚Freistaat Flaschenhals‘ aus. Pnischeck wurde nun als Vertreter des Limburger Landrats Robert Büchting mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet, um das neu entstandene politische Gebilde einigermaßen verwalten zu können. Pro forma war Pnischeck somit das politische Oberhaupt, der ‚Präsident‘ des ‚Freistaates Flaschenhals‘ und Kopf der Selbstverwaltung.“

Loyalität galt dem Flaschenhals

Pnischecks Schwierigkeiten waren von der ersten Minute an enorm. Kein Schiff durfte mehr zwischen Kaub und Lorch anlegen, kein Zug mehr halten, kein Fernsprecher mehr läuten. Die Besatzer unterbrachen Telefon- und Telegrafenleitungen und unterbanden den Austausch von Briefen und Telegrammen. Pnischeck ließ daraufhin von Limburg her eine provisorische Telegrafenleitung errichten und den Postverkehr neu organisieren. Nicht so genau sah er hin, wenn geschmuggelt wurde, was Tragekörbe, Beine und Überlebenswille hergaben. Unten am Strom verschwanden derweil, dem Blick der Franzosen gegenüber durch zwei Binneninseln entzogen, von den Frachtkähnen zentnerweise Mehl, Getreide und Salz im Tausch gegen andere Naturalien. 

Vier Jahre später war dann Schluss. Am 25. Februar 1923, wenige Tage nach der Ruhrbesetzung und der Abreise von US-General Allen aus Koblenz, marschierten marokkanische Hilfstruppen der französischen Besatzungsmacht entgegen Artikel 43 des Versailler Vertrags auch in den Flaschenhals ein. Edmund Pnischeck wurde in Kaub unter dem Vorwurf der Insubordination, Nichtunterbindung des Schmuggels sowie des Diebstahl eines Kohlenzuges verhaftet, zu 35 Tagen Gefängnis verurteilt und anschließend samt Familie abgeschoben. 

Edmund Pnischeck gelang es, die Not der Bevölkerung zu lindern

Genützt hat es den Besatzern wenig: Reihenweise verweigerten neu ernannte Nachfolger Pnischecks jede Zusammenarbeit und wurden ebenfalls aus dem Freistaat hinausgeworfen. Doch erst die Londoner Konferenz beendete fast eineinhalb Jahre später die rechtsrheinische Besetzung und mit ihr das lokale Regime der Franzosen. Bis die Besatzer vollständig abgezogen waren und am Niederwalddenkmal oberhalb von Rüdesheim eine gigantische Freiheitsfeier begangen wurde, die bereits von neuen, unheilvollen, auf Vergeltung drängenden Tönen durchsetzt war, sollte es sogar noch bis zum 30. Juni 1930 dauern. 

Flaschenhalser Folklore

Edmund Pnischeck blieb der Kommunalpolitik treu, wurde 1946 Bürgermeister von Eltville, nachdem ihn die Lorcher zum Ehrenbürger ernannt hatten. Er starb am 11. April 1954, keine zwei Jahre nach seiner Pensionierung. Seinen Enkel Hans-Walter Pnischeck hat er nicht mehr kennengelernt. Der muss eingedenk der Gewitztheit seiner Vorfahren heute noch grinsen, wenn er Zigarrenkisten mit Bündeln kleiner Lorcher Notgeldscheine, die er vom Dachboden geholt hat, vorzeigt.

Und während der 1961 nach Ferdinand Foch getaufte französische Flugzeugträger soeben asbestverseucht vor der brasilianischen Küste unter weltweitem Protest von Umweltschützern „kontrolliert“ versenkt wurde, lebt am Mittelrhein der Stolz auf den Freistaat Flaschenhals und den Behauptungswillen seiner Frauen und Männer aus Lorch und Kaub, Laufenselden oder Wollmerschied fort. Bei Winzer Peter Josef Bahles etwa, dem ein Stichwort und ein guter Schoppen genügen, um stundenlang von dieser verrückten und irgendwie auch glorreichen Zeit vor 100 Jahren zu erzählen, als sich Großeltern und Eltern nicht unterkriegen ließen von fremden Mächten und schwierigen Umständen.

Hans-Walter Pnischeck hat seinen Großvater, den Bürgermeister von Lorch, nie kennengelernt

Auch deshalb kann man seit bald 30 Jahren von der Freistaat-Flaschenhals-Initiative ausgesuchte Weine erwerben, schmucke Hotelzimmer und Apartments buchen, sich von Heimatkundigen durch die ehemalige Minirepublik führen lassen oder rote und grüne „Reisepässe“ erwerben, die allerlei Vergünstigungen gewähren bis hin zu Vier-Gänge-Menüs mit fachkundiger Weinbegleitung. 

Das mit der „Regierung“ samt „Präsident“ und „Ministern“ lassen die Winzer, Hoteliers und Gastronomen mittlerweile aber lieber bleiben, weil sie nicht in Verdacht geraten wollen, auch nur entfernt etwas mit Reichsbürgern zu tun zu haben. Im Gegenteil: Ihnen, so beteuern sie, gehe es darum, eine Wiederholung jener Entwicklungen zu verhindern, die auch ihrer Heimat in der Vergangenheit so viel Kummer und Unheil gebracht haben.

 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie direkt bei uns kaufen können.

 

 

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