
- Lange Schatten
Heute vor 150 Jahren wurde das Deutsche Reich gegründet. Als Parvenu unter den Monarchien konnte es seine Unsicherheiten und seinen Mangel an Stil nie ganz ablegen. Beim Blick zurück bleiben gemischte Gefühle.
Die Gründung des Deutschen Reiches vor 150 Jahren im Jahr 1871 war ein Paukenschlag, der damals nicht wenige Deutsche in Gefühle nationaler Extase versetzte. Einer der führenden Historiker, Heinrich von Sybel, schrieb damals in einem Brief an einen Kollegen: „Wodurch hat man die Gnade Gottes verdient, so große und mächtige Dinge erleben zu dürfen? Und wie wird man nachher leben? Was zwanzig Jahre der Inhalt allen Wünschens und Strebens gewesen, das ist nun in so unendlich herrlicher Weise erfüllt.“
Im Ausland war der Jubel verhalten, hier dominierten Sorgen vor dem neuen Deutschland, das aus Preußen hervorgegangen war. Wie würde sich dieser neue Staat verhalten? Wie entwickeln? Würde er sich einfügen in das Mächtesystem? „Dies ist die deutsche Revolution, ein größeres Ereignis als die Französische Revolution vor hundert Jahren“, so umschrieb der Führer der damals in der Opposition stehenden britischen Tories, Benjamin Disraeli, in einer Unterhausrede die Tragweite der durch die Reichsgründung ausgelösten Machtverschiebung.