Franz Beckenbauer verstorben - Seine Majestät verlässt den Platz

Franz Beckenbauer ist im Alter von 78 Jahren verstorben. Der Kaiser begann seine Karriere in einer Zeit, als der Profifußball noch kein halbseidenes Kommerzungeheuer war, und wurde dennoch zum ersten deutschen Popstar seines Sports. Jetzt fachsimpelt er im Himmel.

Franz Beckenbauer ist im Alter von 78 Jahren verstorben / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Sie wird den Bayern nachgesagt, eine gewisse Affinität zur Monarchie. Und so ganz lässt sich das für das flächengrößte Bundesland mit seinen Burgen und Schlössern – rund 5000 sollen zwischen Coburg im Norden und Garmisch-Partenkirchen im Süden bis heute gezählt worden sein – wohl nicht abstreiten. Da mag es nur richtig sein, dass Deutschlands letzter Kaiser nicht etwa Wilhelm II. aus dem Hause Hohenzollern war, dessen Herrschaft am 9. November 1918 endete.

Nein, Deutschlands letzter Kaiser, das war Franz Anton I. aus dem Hause Beckenbauer, der als Lichtgestalt in die Annalen eingehen wird, nachdem er an einem Sonntag – wir schreiben den 7. Januar 2024 – im Stillen gegangen ist. Verstorben im Exil im Salzburger Land, erinnert im gesamten deutschsprachigen Raum und bis nach New York, wo der Kaiser einst gemeinsam mit Pelé, dem O Rei do Futebol, dem König des brasilianischen Fußballs also, bei Cosmos New York die Fußballschuhe schnürte.

Aus Schutt und Asche

Es war eine andere Zeit, in der Franz Beckenbauer in der Giesinger Zugspitzstraße aufwuchs. Am 11. September 1945 wurde er geboren, als große Teile der Stadt noch gezeichnet waren vom Zweiten Weltkrieg; von 73 Luftangriffen zwischen 1940 und 1945 mit über 6600 Toten und einer Bausubstanz, aus der gut zur Hälfte Schutt und Asche geworden war.

Zweikampf zwischen Wilfried Kohlars (1860) und Franz Beckenbauer im Jahr 1968 / dpa

Die Altstadt Münchens wurde gemäß einem Plan von Karl Meitinger schließlich mit traditionellen Baustilen und breiteren Straßen wiederaufgebaut. Eine Neuregelung des Verkehrs fand statt, und am Stadtrand entstanden Trabantensiedlungen. Die Olympischen Sommerspiele von 1972 markierten symbolisch den Abschluss des Wiederaufbaus und lösten einen erneuten Schub in der Stadtentwicklung aus. So weiß es das Haus der Bayerischen Geschichte zu berichten.

Und dazwischen, also zwischen einer Stadt in Schutt und Asche im Jahr 1945 und den Olympischen Spielen im Jahr 1972, machte sich der junge Franz Anton Beckenbauer aus Giesing auf, zum ersten deutschen Popstar seines Sports zu werden. Einer, der nach seiner aktiven Spielerkarriere nichts mehr zu tun haben wollte mit dem Fußball, wie er in einem berühmten frühen Interview einmal sagte. Es kam, das wissen wir heute, ganz anders.

Noch kein Kommerzungeheuer

Seine ersten Erfolge als Spieler des FC Bayern München (Jugendspieler ab 1964) feierte Franz Beckenbauer noch im Stadion an der Schleißheimer Straße, heute die Wieder-Heimat des einst großen Bayern-Konkurrenten TSV 1860 München, der zurzeit, mal wieder, in der 3. Liga gegen den Abstieg kämpft. Damals spielten die beiden Konkurrenten noch in ein und demselben Stadion (wie später auch gemeinsam im Olympiastadion und in der Allianz Arena, bis sich das die Löwen nicht mehr leisten konnten) und Mannschaften aus dem Ausland wurden noch auf dem provinziellen Flughafen München-Riem empfangen. Erst seit 1992 landen Flugzeuge auf dem Franz-Josef-Strauß Flughafen im Erdinger Moos.

Fußballweltmeister 1974 / dpa

Ja, es war eine andere Zeit damals. Und anders war auch der Fußball, als Franz Beckenbauer begann, ihn für Jahrzehnte zu prägen. Der deutsche Profifußball, er war noch nicht das Kommerzungeheuer von heute, der Sport selbst noch einer, der weitgehend dem Proletariat gehörte. Bier und Bratwurst im Stadion gab es damals schon, aber die großen Werbeverträge, die gab es noch nicht; noch keine großen Retortenvereine. Außerdem hatte Deutschland zwei Nationalmannschaften: die der Bundesrepublik und die der DDR. Und es gab noch internationale Gegner, die es heute nicht mehr gibt: Jugoslawien zum Beispiel.

„Zwei Kaiser trafen sich in der Hofburg“

Am 14. Juni 1969 fand das DFB-Pokalfinale im Frankfurter Waldstadion statt. Schalke 04 spielte gegen den FC Bayern München. Die Mannschaft aus der bayerischen Landeshauptstadt wurde vom Publikum ordentlich ausgepfiffen. Vor allem wegen Kapitän Beckenbauer, dessen Fußballtechnik so perfekt war, dass sein Spiel geradezu arrogant wirkte. Der FC Bayern konnte dieses Duell mit 2:1 für sich entscheiden, und Franz Beckenbauer wurde zum Fußballstar. Den Spitznamen „Kaiser“, so ist zu lesen, erhielt er zwei Jahre später, als er in der Wiener Hofburg neben einer Büste von Kaiser Franz Joseph von Österereich fotografiert wurde und das Fußballmagazin Kicker titelte: „Zwei Kaiser trafen sich in der Hofburg“.

Im Wandel der Zeit: Franz Beckenbauer / dpa

Drei Jahre später führte der Kaiser die deutsche Nationalmannschaft dann als Kapitän zum Weltmeistertitel, nachdem er zwei Jahre zuvor bereits Europameister geworden war. Franz Beckenbauer wurde als Spieler fünf Mal Deutscher Meister, vier Mal Deutscher Pokalsieger, ein Mal Weltpokalsieger. Er gewann drei Mal den Europapokal der Landesmeister (Vorläufer der Champions League), wurde vier Mal zum Fußballer des Jahres und zwei Mal zum Weltfußballer des Jahres (Ballon d'Or) gekürt. Außerdem wurde er drei Mal Soccer Bowl Champion in New York mit Cosmos. 
 

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Und Franz Beckenbauer war einer der ersten deutschen Profifußballer überhaupt, die sich ein Zubrot mit Werbung verdienten. Fast so legendär wie sein Spiel sind seine Werbeauftritte, etwa für Knorr: „Kraft in den Teller, Knorr auf den Tisch“. Zudem verkaufte er Platten als Schlagersänger und stand in der Hitparade damit sogar einmal vor den Beatles: „Gute Freunde kann niemand trennen, gute Freunde sind nie allein“. Sport, Werbung, Hitparade, Frauen und eine Boulevardpresse, die einmal ausrechnete, dass der Kaiser seine Frau alle elf Jahre wechselte: Franz Beckenbauer war der erste deutsche Fußball-Popstar, den sich junge Leute als Poster übers Bett hängten.

Ein Märchen wird zum Albtraum

Nach dem Ende seiner Fußballerkarriere beim Hamburger HSV im Jahr 1983 kehrte er, anders als viele Jahre zuvor angekündigt, dem Fußball dann aber keineswegs den Rücken. Als Trainer der deutschen Nationalmannschaft gewann er im Jahr 1990 den Weltmeistertitel. Schon wieder. Er feierte mehrfach die Deutsche Meisterschaft mit dem FC Bayern München, als Trainer und Präsident, später als Ehrenpräsident, und einmal den Sieg der Champions League. Davor war er noch wenige Jahre technischer Direktor, Trainer und technischer Leiter bei Olympique Marseille und wurde einmal französischer Meister.

Über viele Jahre war er gerne gesehener Gast in den Talkshows, die Lichtgestalt eben, der Kaiser des deutschen Fußballs. Als Funktionär holte er zudem die Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006 nach Deutschland, bei der er einen großen Teil der Spiele live im Stadion verfolgte, indem er mit dem Helikopter querbeet durchs Land flog, um vor Ort dabei zu sein. Franz Beckenbauer war der große Macher hinter dem „Sommermärchen“ im Jahr 2006, das später dann auch zum Albtraum wurde.

Schlagzeilen über die „gekaufte WM“ und schwarze Kassen schadeten dem Ansehen des Kaisers, während Prominente die Gunst der Stunde nutzten, um sich als moralische Instanz zu inszenieren. Dass er, Franz Beckenbauer, in der Folge nicht mehr als moralische Instanz wahrgenommen wurde, so berichten es Weggefährten, habe ihm schwer zu schaffen gemacht. 

Dabei, und auch das gehört zur Wahrheit dazu, hätte man wissen können, ja, wissen müssen, dass es bei einem korrupten Haufen wie der FIFA nie mit rechten Dingen zugeht, ja, zugehen kann. Hinzu kam für Beckenbauer ein privater Schicksalsschlag: Im Jahr 2015 verstarb sein Sohn Stephan mit 46 Jahren an einem Gehirntumor. Der Bild sagte Beckenbauer damals: „Ich weiß nicht, ob man den Tod seines Kindes jemals verarbeiten kann. Wahrscheinlich nicht“.

Franz Beckenbauer im Jahr 2022 auf der Tribüne der TSG Hoffenheim / dpa

In den letzten Jahren des Kaisers sind die öffentlichen Auftritte eines Franz Beckenbauer dann rarer geworden. Aus gesundheitlichen Gründen zog er sich in sein Salzburger Privatleben zurück. „Wenn ich jetzt sagen würde, es geht ihm gut, dann würde ich lügen, und ich lüge ungern. Es geht ihm nicht gut. Es ist ein ständiges Auf und Ab“, sagt etwa sein Bruder Walter in der ARD-Dokumentation „Beckenbauer“, die am Montag im „Mittagsmagazin“ noch als aktuelles Bio-Pic angekündigt und am Abend dann zum Nachruf wurde. Von mehreren Bypässen, einem Augeninfarkt und einer einsetzenden Demenz war zu lesen.

Der Kaiser und der König

An einem Sonntag – wir schreiben den 7. Januar 2024 – hat die große Majestät des deutschen Fußballs, der Kaiser, den Platz endgültig verlassen, um seine letzte Reise anzutreten. Mit 78 Jahren. Eigentlich zu früh für einen, der Spitzensportler war. Ein tröstlicher Gedanke aber drängt sich auf. Irgendwo da oben, im Himmel, sitzen sie jetzt wieder zusammen, der Kaiser des deutschen Fußballs und der König des brasilianischen, Pelé. Beckenbauer und Pelé, Diego Maradona noch dazu, können jetzt wieder gemeinsam fachsimpeln über den Fußball.

Darüber etwa, wohin sich dieser entwickelt hat in den vergangenen Jahrzehnten, und was dieses halbseidene Kommerzungeheuer von heute eigentlich noch zu tun hat mit dem ehrlichen Proletariersport von damals. Und auch Gerd Müller, der Bomber der Nation, der Deutschland unter Kapitän Beckenbauer einst zum Weltmeistertitel schoss, wird sich gewiss freuen über ein Wiedersehen mit dem Franz im Himmel. Gute Freunde kann niemand trennen.

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