Finnland Spitzenreiter im „World Happiness Report“ - Glück und Autoritätsglaube

Im „Weltglücksreport“ wird Finnland zum siebten Mal in Folge zum glücklichsten Land gekürt. Das deckt sich ganz und gar nicht mit der Lebensrealität der Finnen. Warum geben die meisten deutschen Medien die Nachricht dennoch unkritisch wieder?

Manchmal stimmen Klischees einfach: Das Leben in Finnland ähnelt oft wirklich den Filmen von Aki Kaurismäki („Das Leben der Bohème“ von 1991) / dpa
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Jens Mattern (Foto Ralph Weber) berichtet als freier Journalist für deutsche Medien aus Polen.

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Welch ein Erfolg! Erneut ist Finnland, zum siebten Mal in Folge, im Rahmen des „World Happiness Reports“ zum glücklichsten Land der Welt gekürt worden. Der Bericht, der seit 2012 jährlich vom „Sustainable Solutions Network“, einer Unterorganisation der Vereinten Nationen, veröffentlicht wird, hat Kriterien wie Gesundheit, Lebenserwartung, Wirtschaftsleistung, soziale Beziehungen, Korruption usw. zur Grundlage. Via Umfragen werden auch Emotionen wie Freude und Traurigkeit ermittelt.  

Mit involviert sind zudem Gallup, eines der weltweit führenden Meinungsforschungsinstitute, das „Wellbeing Research Centre“ der Universität Oxford sowie die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Illustre Namen also, die den Lesern Autorität kommunizieren. Zwei Fragen kommen hier auf: Stimmt das mit dem Glück der Finnen wirklich? Und: Hinterfragt eigentlich jemand das Ergebnis?

In Finnland hinterließ die siebte „Krönung“ in Folge keinen großen Eindruck, zumindest nicht in den Portalen der wichtigsten Medien. Die auflagenstärkste Zeitung Helsingin Sanomat reflektierte nach dem Ranking im vergangenen Jahr jedoch nachdenklich: „Wir sind die glücklichste Nation, doch warum fühlt es sich nicht so an?“  

Ja, warum nicht? Vor allem im Herbst und Winter fühlt sich Finnland nicht wirklich fröhlich an, wenn es nach der Mittagszeit bereits dunkelt, wenn die schweigenden Menschen im öffentlichen Nahverkehr nach kaltem Zigarettenrauch und Alkohol riechen und ein Lächeln amtlich verboten scheint. Stimmungsszenarien dieser Art waren das Finnlandbild, welches der auch im restlichen Europa bekannte Regisseur Aki Kaurismäki mit seinen Filmen vermittelte.  

Finnland hat die meisten psychischen Störungen in der EU

Und dieses unschöne Bild kann mit Fakten gerahmt werden. Die „Finnische Psychologie-Vereinigung“ teilte auf Anfrage mit, dass Finnland das „höchste geschätzte Vorkommen von psychischen Störungen innerhalb der EU hat, von bis zu 20 Prozent“. Diese psychischen Probleme seien im vergangenen Jahr Hauptgrund für lange Krankmeldungen gewesen, vor allem bei Frauen unter 35 gebe es ein Anwachsen von Angststörungen.  

Aus anderen Quellen ist zu erfahren, dass der Verbrauch von Psychopharmaka hoch sei, jedoch von Schweden und Norwegen übertroffen werde, zwei Ländern, die ebenso weit oben im offiziellen Ranking des Glücks stehen. Glück und Suchtkrankheiten scheinen kaum miteinander vereinbar; die meisten Drogentoten pro Kopf innerhalb der EU waren jedoch vor zwei Jahren in Finnland zu beklagen.  

Als weiteres finnisches Sorgenfeld gilt die stark verbreitete Einsamkeit; das Rote Kreuz schlägt hierzu immer wieder Alarm. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung habe sich in letzter Zeit einsam gefühlt, die Kosten dieses Leidens werden auf die unglaubliche Summe von 15 Milliarden Euro jährlich taxiert, wobei neben Gesundheitsschäden auch die Kriminalität vom finnischen Statistikzentrum einkalkuliert wird. 

Da die eher introvertierten Finnen ihren Freundeskreis selten öffnen, verharren Zugezogene in Isolation, dies sind zumeist junge Menschen. Betroffen von Einsamkeit sind auch die Alten, welche durch die Landflucht der jungen Bevölkerung in der Provinz verbleiben. Nach Italien hat Finnland die am meisten überalterte Gesellschaft mit über 23 Prozent an Menschen, die älter als 65 Jahre alt sind. Abschließend erwähnt seien eine niedrige Geburtenrate sowie eine hohe Scheidungsrate.  

Finnische Medien kehren die Probleme nicht unter den Teppich

Den vielzähligen Happiness-Rechercheuren machen es die Finnen eigentlich leicht – die Probleme werden nicht unter den Teppich gekehrt. Themen wie Süchte oder psychische Probleme behandeln die Medien des Landes in regelmäßiger Folge und ohne Weichzeichner. Auch die Regierung ist nicht untätig, auf das Problem des Schulmobbings reagierte sie mit dem Programm „KiVa“, einem Anti-Mobbing-Konzept für Schulen, das mittlerweile in anderen Ländern aufgegriffen wurde.  

Aufgegriffen hat übrigens die rechte Partei „Basisfinnen“ die unzufriedene Stimmungslage in Finnland und konnte so im vergangenen April zur zweitstärksten Partei heranwachsen, die heute mit der bürgerlichen Partei die Regierung bildet – obwohl einige Mitglieder durch rechtsextreme Äußerungen und Verschwörungstheorien aufgefallen sind.  

 

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Doch wieso nun bekommt Finnland diese hohe Bewertung im Ranking? Parameter wie eine relativ gute Gesundheitsversorgung und geringe Korruption klingen erstmal einleuchtend. Auch das gute Schulsystem, belegt durch entsprechende Pisa-Studien, ist ein Argument.  

Aber die Befindlichkeit? Wer Finnen nun nach ihrem Zustand befragt, wird kaum ein Jammern zu hören bekommen.  Dies liegt vor allem an der finnischen Nationaleigenschaft, dem „Sisu“, einer inneren Einstellung, die man mit „klaglose Beharrlichkeit“ übersetzen könnte. Aufgrund dieser Haltung gelten die psychischen Probleme übrigens noch schlimmer als in der Statistik, da es eine Scheu gibt, seine „Schwäche“ einzugestehen.  

Die Behauptung, Finnland sei das glücklichste Land der Welt, ist Humbug

Dass dieser Glücks-Mythos zu Geld gemacht wird, kann man den Finnen kaum verdenken – mittlerweile existiert ein „Finnish Happiness Institute“, wo in Webinaren für vierstellige Beträge das Geheimnis des Glücks gecoacht wird. Nachdenklich stimmt jedoch der Hype, der um das nordeuropäische Land in den deutschen Medien veranstaltet wird. „Finnland im Glücksrausch“, so die Reaktion der Deutschen Welle in diesem Jahr.  

Bald werden, wie in den vorigen Jahren, bunte Hintergrundgeschichten in Zeitungen und TV-Berichten folgen, mit Aufnahmen von launigen Saunagängern, glasklaren Seen in der Mitternachtssonne und einer Fahrt mit dem Rentierschlitten durch den Pulverschnee. Seriösere Publikationen greifen lieber zum Experten-Interview, um der anspruchsvollen Leserschaft einen vertieften Einblick in das finnische Wohlbefinden zu vermitteln. Es wird nur „warum“ gefragt, keinesfalls „ob“.

Und so fehlt der Ausruf des kleinen Kindes aus Andersens Märchen, der Parabel auf die Leichtgläubigkeit und unkritische Akzeptanz von Autoritäten: „Der Kaiser hat ja gar nichts an!“ Sprich, die Behauptung, Finnland sei das glücklichste Land der Welt, ist falsch, ist Humbug.  

Was sind die Gründe für die meisten deutschen Medien, nicht zu hinterfragen? Ist die Verlockung einfach zu groß, eine bunte Geschichte zu publizieren, neben all den unerfreulichen Bad News? Oder wirkt der Respekt vor den Autoritäten UN, WHO, Oxford? Schließlich wurde die Studie mit großem Aufwand betrieben.  

Die Frage lässt sich nicht leicht beantworten. Für die wachsende Zahl derjenigen, die dem sogenannten Mainstream-Diskurs mit Abwehr begegnen, kann eine solche Berichterstattung ein Beleg dafür sein, dass globalen Organisationen, Medien, Regierungen nicht zu trauen sei.  

Ob nun Finnland die glücklichste Nation auf dem Globus ist oder nicht, scheint angesichts der weltweiten Krisen nicht wirklich essentiell zu sein. Doch die kritiklose Akzeptanz einer solchen Aussage, gegen die so viele Fakten sprechen, gibt zu denken. 

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