Feministische Ästhetik - Ist das schön?

Der Kampf gegen die Unterdrückung der Frau und gegen Rassismus führt in manchen Fällen zur Obsession für „das Andere“. Menstruationsblut wird ästhetisiert, Exkremente dienen dem Kampf gegen das Patriarchat. Das ist für Sie schwer zu verdauen? Warten Sie ab, bis Sie diesen Text gelesen haben.

Die Menstruationstasse wird für Manche zum Heiligen Gral / dpa
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Autoreninfo

Judith Sevinç Basad ist Journalistin und lebt in Berlin. Sie studierte Philosophie und Germanistik und volontierte im Feuilleton der NZZ. Als freie Autorin schrieb sie u.a. für FAZ, NZZ und Welt. Sie bloggt mit dem Autoren-Kollektiv „Salonkolumnisten“. 

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Die Mehrheit der Deutschen hat eine weiße Hautfarbe. Die Mehrheit der Senegalesen hat eine schwarze Hautfarbe. Und die Mehrheit der Menschen in Japan sieht asiatisch aus. Eigentlich ist das ein ganz harmloser Fakt, mit dem noch weitere harmlose Fakten einhergehen: Etwa, dass (kulturelle) Produkte auf die Mehrheit der Bewohner in einem Land ausgerichtet sind. Das bedeutet: In Deutschland sieht die gesellschaftliche Norm weiß, in Senegal schwarz und in Japan asiatisch aus.

Die feministische und antirassistische Szene macht aber einen Unterschied, was die moralische Bewertung dieser Normen angeht: Japan darf eine kulturelle Norm haben, Senegal darf das auch. Deutschland aber nicht. Wieso nicht? Weil Deutschland „zum Westen“ gehört und die kolonialen Gräuel der Imperialmächte in sich trägt. Allein die Annahme, dass wir in einer weißen Norm lebten, sei bereits Rassismus, so heißt es etwa in dem Buch „Exit Racism“ der Antirassismus-Trainerin Tupoka Ogette. Denn mit diesem Fakt grenze man Schwarze und Menschen mit dunkler Hautfarbe als „die Anderen“ aus. Dafür haben sich die Aktivisten auch ein Wort ausgedacht: das „Othering“.

Das Aufwerten von Stereotypen

„Die Norm“ vs. „die Anderen“ – das hört sich bekannt an. Seitdem Simone de Beauvoir ihren Weltbestseller „Das andere Geschlecht“ veröffentlicht hat, versuchen Feministinnen, Weiblichkeit nicht nur als „das Andere“ zu definieren, das jahrhundertelang vom Patriarchat ausgegrenzt und abgewertet wurde. Die Weiblichkeit muss auch ein politisches Revival erfahren, indem man stereotype Eigenschaften der Frau positiv aufwertet.

Der logische Fehlschluss, den die Bewegung hier begeht, konnte man zu Beauvoirs Zeiten – angesichts der skrupellosen Frauenverachtung –  eher nachvollziehen als heute: Denn indem man sich selbst zu „den Anderen“ zählt, werden genau die Stereotype befeuert, die Frauen seit Jahrhunderten klein gehalten haben. Motto: Der böse Mann ist rational, also feiern wir Emotionalität als die neue Weiblichkeit. Der böse Mann ist stark, also ist Schwäche besser, denn das ist weiblich. Der böse Mann ist selbstbewusst, also steigern wir uns in einen riesigen Minderwertigkeitskomplex hinein.

Das Ekelhafte als etwas Gutes

Beim Abfeiern „des Anderen“ geht es heute aber nicht mehr ausschließlich um Weiblichkeit. Vielmehr ist „das Andere“ zu einer Obsession geworden: Alles, was der Norm oder der Normalität widerspricht, muss im Kampf gegen den kolonialrassistischen und patriarchalen Status Quo bedingungslos als etwas Gutes bejubelt werden. Selbst, wenn es sich dabei um Exkremente, Menstruationsblut und Krankheiten – kurz: um das Ekelhafte handelt.

So machte die taz neulich mit der Nahaufnahme einer blutverschmierten Unterhose auf. Der Titel: „Menstruation ist noch immer ein Tabu. Warum wir endlich offen über sie reden sollten“. Ähnliches veranstaltete kürzlich der Deutschlandfunk, als er ein Sharepic eines blutgetränkten Tampons veröffentlichte. Die Aussage: Die Menstruation sollte nicht mehr als etwas Komisches oder Absonderliches betrachtet werden, sondern „endlich in den Alltag übergehen“. 

„Guck mal, ist das nicht wunderschön?“

Nun fragt man sich als Frau, wie die Regelblutung denn bitte noch mehr in den Alltag übergehen soll. Etwa, indem man am Arbeitsplatz mit Tampons um sich wirft und vor seinen Arbeitskollegen eine Assoziation zur eigenen Vagina herstellt? Oder indem man Menstruationsblut nicht mehr mit Bauchkrämpfen und Übelkeit, sondern mit einem fancy Feminismus in Verbindung bringt? Fakt ist doch: Jede Frau wirft blutgetränkte Tampons lieber schnell weg, als sie auf ein Sharepic zu packen. 

Doch der Wille, sich von der Norm abzugrenzen, ist stärker als jede Vernunft. Das Menstruationsblut muss als Inbegriff des feministischen „Anderen“ gelten und bei jeder Gelegenheit präsentiert werden. So erzählte eine Mitarbeiterin des Berliner Start-Ups „Einhorn“ neulich dem feministischen Magazin Edition F, wie sie ihre Menstruationstasse wechselte und sich „beim Anblick des mit dunkelrotem Blut gefüllten Cups so stolz und stark“ fühlte, dass sie die Tasse wie den heiligen Gral aus dem Badezimmer trug und mit den Worten „Guck mal, ist das nicht wunderschön?“ ihrem Freund unter die Nase hielt.

Sehnsucht nach dem Abnormen

Besonders abstrus wird es aber, wenn selbst Beschreibungen von Exkrementen oder Erkrankungen im Intimbereich als innovativ-feministischer Tabubruch bejubelt werden. Die linke Autorin Hengameh Yaghoobifarah, die seit kurzem Werbung für das KaDeWe macht, schrieb etwa neulich im Missy Magazin eine ausführliche Kolumne über ihre Hämorriden, während der von ZDF und Funk betriebene YouTube-Kanal AufKlo mit dem Thema Fäkalien einen Kampf gegen das Patriarchat führt. Hier findet man Beiträge über künstliche Darmausgänge, junge Frauen, die sich die Gebärmutter entfernen lassen und Videos über das „Tabuthema: Kacken, Scheißen, Stuhlgang“. Es scheint eine regelrechte Sehnsucht nach dem Abnormen zu geben.

Das Ausstellen von Exkrementen ist eigentlich unter dem Begriff „Abject Art“ bekannt. Eine Kunst des Ekelhaften also, die mit Körperflüssigkeiten, Haaren, Menstruationsblut oder verdorbenem Essen arbeitet. Eines der bekanntesten Werke dieser Kunstgattung ist der „Piss Christ“: Der Künstler Andres Serrano befestigte Mitte der 80er in einem Gefäß ein Kruzifix, das der dann mit seinem eigenen Urin auffüllte. Die Message dahinter ist klar: Nicht nur der sublime Kunstbegriff wird hier infrage gestellt, sondern auch eine von Puritanern geprägte Gesellschaft, die sich Frauen zurück an Herd und Homosexuelle ins Gefängnis wünscht. Der „Piss Christ“ hat also in seinem Kontext seine Berechtigung, ja er hat in seiner Radikalität sogar Stil. 

„Der Dildo unterhält eine Nähe zum Tod“

Die Feministinnen eher nicht. Denn im Abgrenzungswahn zur bösen Norm wird nicht nur das Ekelhafte, sondern werden auch folgende Sätze als progressiv gefeiert: „Der Dildo ist das Unreine, das Abjekte, insofern er ein nicht-organisches Objekt ist. Der Dildo unterhält eine Nähe zum Tod, zur Maschine, zur Scheiße. Der Dildo geht dem Penis voraus“, schrieb etwa der transsexuellen Queer-Theoretiker Paul Preciado.

Vor ein paar Jahren wurde indes an der Humboldt Universität Berlin ein Tutorium angeboten, in dem das Buch „Terrorist Assemblages: Homonationalism in Queer Times“ von Jasbir Puaranalysiert gelesen werden sollte. Dort ist von einer „penetrativen Energie“ des Selbstmordattentäters die Rede, die „Metallsplitter und zerrissenes Fleisch hinaus in den Äther“ senden würde. „Das Echo ist eine queere Zeitlichkeit und es verursacht Wellen der Zukunft, die in die Gegenwart brechen“, heißt es dort weiter. Keine Pointe.

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