Erholen wie die Kanzlerin

Seit vielen Jahren verbringt Angela Merkel ihrenWinterurlaub im Hotel Schweizerhof in Pontresina.Was sagt das über Ort und Reisende?

Alter Dorfkern mit malerischer Kirche. Engadiner Nusstorte mit heißem Tee. Verschneite Wälder, ein sonniges Tal mit Langlaufloipen und Wanderwegen. Die Ruhe der zweiten Reihe. Willkommen im Klischee? Es gibt viele Gründe, nach Pontresina zu reisen, der „kleinen Schwester von St. Moritz“. Die einen suchen stundenweise Ruhe vor dem Trubel in dem als „Top of the World“ etikettierten Nachbarort, die anderen bevorzugen Pontresina ganz bewusst – so wie unsere Kanzlerin. Der Ort im lang gezogenen Tal des Oberengadin wird urkundlich erstmals im Jahre 1139 erwähnt. Die Kinder Gamertingen schenkten dem Bischof von Chur alles, was ihnen in „pontem Sarasinam“ zu eigen war – für ihrer Eltern Seelenheil. Als erste Oberengadiner Gemeinde entschied sich der Ort 1549 für den reformierten Glauben. Vielleicht ein Grund für eine gewisse Sprödigkeit. Wer mit dem Pferdeschlitten oder zu Fuß ins Roseg-Tal kommt und weiter bis zum Gletscher des Morteratsch aufsteigt, wer entlang der Oberengadiner Seenkette wandert, kann leicht die Worte Hermann Hesses nachempfinden: „Und die wohl schönste, am stärksten auf mich wirkende von diesen Landschaften ist das obere Engadin.“ Es ist die Mischung aus dichten Lärchen- und Kiefernwäldern, aus Schnee und Gletschereis, Bergen und den Alpenseen, die noch immer wirkt. Wer einmal auf 2500 Meter Höhe von der Bergstation Muottas Muragl oberhalb von Pontresina den Blick über das Tal mit seinen mächtig aufragenden Bergen schweifen ließ, fühlt sich an Nietzsche erinnert, wonach hier die Heimat aller „silbernen Farbtöne“ der Natur sei. Das Oberengadin hat etwas Magisches. Nicht nur die internationale Prominenz, auch Künstler und Schriftsteller wurden zu allen Zeiten von der Region angezogen. Heilung suchten hier schon Robert Louis Stevenson, Christian Morgenstern, Robert Musil und Kurt Tucholsky. Hans Christian Andersen schwärmte von dem „herrlichen Bergland“, Hermann Hesse von seiner „wuchtigen, ernsten Schönheit“, Stefan Zweig meldete „restloses Zufriedensein“. Thomas Mann stellte kurz und bündig fest: „Dieses Oberengadin ist der schönste Aufenthalt der Welt.“ Und was zieht Angela Merkel hierher? Vielleicht geht es ihr so wie dem Maler Giovanni Segantini, der in einer Berghütte oberhalb von St. Moritz lebte, seinen Frieden aber erst auf dem Schafberg bei Pontresina fand: einem Ort der Ruhe im „Land der Verheißung“, wie Nietzsche es nannte. Kein glamouröser Ort. Ein pragmatischer Ort. Passt doch.

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