Das Magazin - Er kehrte nie zurück

Isabelle Huppert brilliert als abhängige Gattin in Patrice Chéreaus Ehe-Drama «Gabrielle»

«Er wollte die Reichen und Mächtigen zeigen, den «unversöhnlichen, erdrückenden Luxus des frühen 20. Jahrhunderts spüren, wie ein Grab, das der Mann gegraben hat, um jemanden leben­dig zu begraben – seine Frau». So erklärte es der Regisseur Patrice Chéreau. Joseph Conrad, dessen Erzählung Chéreau für seinen Film bearbeitet hat, wollte dagegen «die Wahrheit über das bestialische Bürgertum enthüllen».

Wer den neu auf DVD erschienenen Film «Gabrielle. Liebe meines Lebens» sieht und das Buch «Gabrielle oder Die Rückkehr» liest, begreift den Unterschied. Im Film steht die Frau im Zentrum, in Conrads Geschichte dagegen der Mann. Am Anfang ist er auf dem Heimweg vom Bahnhof. Inmitten der Menschenmenge läuft er «durch den Regen, mit der friedlichen Gelassenheit eines erfolgreichen und arroganten Menschen, der seiner selbst sehr sicher ist – eines Mannes mit viel Geld und vielen Freunden».

Joseph Conrad wählt einen auktorialen Erzähler, um den Protagonisten zu zeichnen: Herkunft, Ideale, gesellschaftliche Stellung, die fünf Jahre zurückliegende Eheschließung. «Alle seine Bekannten hatten damals gesagt, er sei sehr verliebt; und er selbst hat­te das Gleiche gesagt, einfach, weil es nur recht und billig ist, daß ein Mann sich im Leben einmal verliebt.» Zehn Seiten braucht Conrad für das Portrait eines ebenso begüterten wie beschränkten, eines gewöhnlichen Herrn aus den besseren Kreisen, der sich ohne Fehl und Tadel wähnt. Und der seine Frau zu seinem Besitzstand zählt.

Patrice Chéreau dagegen lässt eben diesen Mann – Pascal Greggory gibt ihm Gesicht und Gestalt – als Ich-Erzähler dieses Ehedramas wirken. Damit macht er ihn zum ungeschickt Handelnden und Behandelten, vor allem aber zum aktiven Verlierer, der für das Verbrechen an seiner Frau bestraft wird. Er erzählt von sich, von seiner untadeligen Gattin, ihrer beider Rolle in der Gesell­schaft, vom guten Leben, das sie führen. Dann findet er zu Hause einen Brief vor, der mit einem Schlag alles zur Illusion macht. Gabrielle hat ihn verlassen. Bevor er jedoch recht weiß, wie ihm geschieht, kommt sie zurück.

Isabelle Huppert als Gabrielle betritt schwarz verschleiert die Szene, die ihr von diesem Augenblick an allein gehört – auch wenn ihr Partner all seine Schauspielkunst aufbietet, um den Gefühlswallungen Ausdruck zu geben. Auf seine ausladenden Bewegungen antwortet sie mit minimalen Gesten, kühl und klug. Auch als abhän­gige Gattin ist diese Schauspielerin souverän (zu Recht erhielt sie in Venedig für diese Rolle einen Spezialpreis). Sie sagt die furchtbarsten Sätze voller Entschiedenheit: «Der Gedanke an Ihr Sperma in meinem Körper ist mir unerträglich.»

Natürlich stammt dieser Satz nicht von Joseph Conrad. Chéreau hat aus der Vorlage ein sexuell aufgeladenes Psychodrama gemacht. Wenn die Frau trotz ihrer Aversion dem Ehemann am Ende ihren Körper anbietet, dann ist das ein Bild für ihre Stärke – und seine Demütigung. Sie besiegt die Leidenschaft, die er gerade erst entdeckt. Isabelle Huppert lässt ihre Hand in der Luft schweben, sie könnte den auf ihr liegenden Mann berühren, durch eine Ges­te beruhigen, ihm Mut machen. Aber dann fällt die Hand auf die Decke. Sie hat kein Erbarmen. Gegen alle Absicht bekommt man in diesem Augenblick Mitleid mit dem bornierten Herrn.

Von Chéreaus Film bleibt vor allem Isabelle Hupperts Gesicht in Erinnerung; vor dessen Kälte flieht am Ende verzweifelt der Mann: «Er kehrte nie zurück.» Wie die Frau in Joseph Conrads meisterhafter Erzählung aussehen könnte, darüber denkt man bei der Lektüre keinen Augenblick nach. Sie habe einen Fehler gemacht, und dieser Brief sei beides, Anfang und Ende, erklärt die zurückgekehrte Gabrielle. Der Mann wollte seine Frau nie verstehen und wird nun dazu gezwungen. Weil er plötzlich ahnt, wie die Liebe, wie ein anderes Leben aussehen könnte, flieht er. Sie ist bereit zu leben wie zuvor. Am Ende steht ein Missverständnis zwischen den beiden, das die Unmöglichkeit zementiert.

Der Film führt ein moder­nes Ehedrama vor. In den Kostümen von 1912 agieren triebgesteuerte Menschen. Bei Joseph Conrad sitzt der Schrecken allerdings noch tiefer, weil die Geschichte ganz ohne die ausdrückliche Frage nach dem Trieb auskommt – und doch vor allem von eben diesem gesteuert wird. Hier gibt es kein Mitleid. Und auch hier lautet der letzte Satz: «Er kehrte nie zurück.»    


Gabrielle. Liebe meines Lebens
Frankreich 2005, 86 Min.
Regie: Patrice Chéreau
Mit Isabelle Huppert, Pascal Greggory, Claudia Coli u. a.
Concorde Entertainment, 13,95 €

Joseph Conrad
Gabrielle oder Die Rückkehr
Aus dem Englischen von Sophie Zeitz.
dtv, München 2006. 96 S., 6,50 €

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