Elon Musk kauft Twitter - Stürmchen im Wasserglas

Seit bekannt wurde, dass der Tech-Milliardär Elon Musk Twitter kaufen will, herrscht in dem sozialen Netzwerk helle Aufregung. Worüber sich die üblichen Verdächtigen – angeführt vom ÖRR-Chefwitzler Jan Böhmermann – konkret aufregen, erschließt sich kaum. Denn Twitter hat jemanden wie Musk, der weiß, wie man im Internet Geld verdient, eigentlich dringend nötig.

Leeres Versprechen: Jan Böhmermann wird seinen Twitter-Account sowieso nicht stilllegen / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Hä? Wieso gehört am Ende alles immer reichen Wichsern, die machen können was sie wollen?“, twitterte diese Woche ÖRR-Chefwitzler Jan Böhmermann, der offenkundig nicht besonders glücklich ist damit, dass der Tech-Milliardär Elon Musk Twitter für die stolze Summe von rund 44 Milliarden US-Dollar kaufen will. Böhmermanns 88-Zeichen-Kurzerguss sei hier exemplarisch genannt für unzählige Tweets der üblichen Verdächtigen, die sich – weshalb auch immer – sogar zu fürchten scheinen, dass Musk seine Ankündigung wahrmachen und Twitter als „globale Plattform für Redefreiheit“ etablieren könnte. Sogar Forderungen wurden laut, wonach der öffentlich-rechtliche Rundfunk oder am besten gleich die ganze Europäische Union einen Twitter-Klon bauen oder Twitter kaufen sollte.

Das ist aus zwei Gründen interessant bis lustig. Erstens: Mit vor allem Gettr gibt es bereits eine Alternative zu Twitter, wobei die Plattform leider den großen Nachteil hat, dass ihre Wurzeln irgendwo in der rechten bis ganz rechten Sphäre des US-Politikuniversums liegen. Und sie sich – meine Prognose – ohnehin nie etablieren wird, ebensowenig wie Twitter-Klone aus dem linksgrünen Universum, weil es Twitter halt schon gibt. Und zweitens: Es scheint im halbwegs woken Juste Milieu tatsächlich so zu sein, dass man soziale Netzwerke lieber dem Staat beziehungsweise dem Einfluss des Staates überlassen würde, als sie in den Händen eines Mannes zu wissen, der nicht nur Ahnung vom Internet hat, sondern auch über die Fähigkeiten verfügt, seine Projekte ambitioniert anzupacken. Überließe man so etwas mit Blick auf Twitter etwa Brüssel, könnten wir bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf ein ordentliches Ergebnis warten.

Mehr Turboliberale bitte

Ich jedenfalls sehe die Twitter-Übernahme durch Elon Musk weniger dramatisch. Und räume zudem gerne ein, dass ich mich im Zweifel schon deshalb eher darüber freue, weil die Fröhlichkeit meines Social-Media-Ichs zunimmt, wenn sich Nutzer wie Jan Böhmermann, Timo Dzienus von der Grünen Jugend, CDU-Linksaußen Ruprecht Polenz oder Filmemacher und Blockwart-Kapitän Mario Sixtus furchtbar darüber aufregen (siehe eingebettete Tweets). Ich weiß, ich weiß. Aber auch deshalb, weil ich es – losgelöst von meinen niederen Twitter-Instinkten – als journalistischer Beobachter durchaus spannend finde, was einer wie Elon Musk aus einer Plattform machen wird, die sich in den vergangenen Jahren nur in Nuancen weiterentwickelt hat.

Viel schlechter jedenfalls kann es nicht mehr werden. Schon der hypersensiblen und immer so komisch dauererregten Atmosphäre wegen, die aus Twitter auch ein asoziales Medium macht, weil viele Leute lieber sanktionieren als diskutieren. Auch aus dieser Warte scheint mir die Vision eines Netzwerks, das bester Garant für Redefreiheit sein könnte, ziemlich attraktiv. Obgleich ich zugebe, dass ich derzeit nicht richtig weiß, wie das bei all den Dauerempörten da draußen gelingen soll. Aber sei's drum. Denn gleichzeitig stünden die Chancen dann gar nicht so schlecht, dass Donald Trump zurückkehrt auf Twitter, was zumindest vom Entertainment-Faktor her wieder eine gewisse Würze reinbringen würde. Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt jedenfalls ist bereits zurück auf Twitter, und das kann ich nur begrüßen, weil wir dort im Zweifel – um es mit den Worten meiner geschätzten Welt-Kollegin Anna Schneider zu sagen – eher mehr als weniger „Turboliberale“ bräuchten, die angstfrei gegen den woken Zeitgeist bürsten.

Hunderte Millionen Nutzer, aber kein Geschäftsmodell

Gleichwohl mache ich mir keine Illusionen: Selbst ein Elon Musk dürfte sich Twitter nicht nur aus humanitären Gründen einverleibt haben, sondern auch, um damit endlich Geld zu verdienen. Schon deshalb, weil er die Übernahme nicht aus der Portokasse stemmt, sondern mit der Hilfe von Investoren, die früher oder später dafür freilich einen Obolus haben wollen. Doch mit dem Geldverdienen tut sich Twitter schon immer schwer. Da liegt der Teufel schon im Business Plan. Jedenfalls kassiert Twitter auf zwei Arten: mit Werbung, die als gekennzeichnete Tweets in die Timeline wandern, und mit Datenlizenzierung, wobei Ersteres den deutlich größeren Batzen ausmacht, nämlich etwa 90 Prozent des Gesamtumsatzes.

Im Geschäftsjahr 2021 hat Twitter damit einerseits seinen bisherigen Höchstwert mit einem Umsatz von rund 5 Milliarden Dollar erwirtschaftet, andererseits aber einen Verlust von rund 221 Millionen Dollar ausgewiesen. Heißt: Twitter hat zwar Hunderte Millionen Nutzer – wenn auch der Konkurrenzdruck durch Instagram oder Tiktok massiv gestiegen ist –, aber derzeit noch kein solides Geschäftsmodell. Anders formuliert: Einer wie Elon Musk, der mehr als einmal bewiesen hat, dass er weiß, wie sich mit Internet und Technik Geld verdienen lässt, könnte Twitter mit seinen Ideen – welche auch immer das am Ende sein werden – nicht nur in Sachen Nutzererlebnis in die 20er-Jahre dieses Jahrhunderts überführen, sondern auch das langfristige Überleben der Plattform sichern.

Auch der reichste Mann der Welt hat Verpflichtungen

Die allermeisten Medien übrigens – womit ich nicht nur soziale Medien meine, sondern auch Nachrichtenmedien – sind entweder ganz oder mehrheitlich im Besitz einzelner Personen beziehungweise dieser Personen und ihren Geschäftspartnern, die dennoch nicht einfach tun und lassen können, was sie wollen. Die Vorstellung also, die die Böhmermanns dieser Welt zu haben scheinen, dass Musk künftig quasi als autoritärer Alleinherrscher aus dem Elfenbeinturm über Twitter verfügt, ist doch ziemlich absurd. Denn selbst der reichste Mensch der Welt ist nicht frei von Verpflichtungen.

Da wären zum einen die erwähnten Investoren und (noch) die Twitter-Aktionäre, die ihr Stück vom Kuchen haben wollen, was aber nur funktioniert, wenn Musk halbwegs kluge Entscheidungen trifft. Und da wäre zum anderen ein Korrektiv, das sich gleichsam aus den Management-Ebenen darunter und den Twitter-Nutzern selbst zusammensetzt, die sich – BWL-Grundkurs: Angebot und Nachfrage – jederzeit zurückziehen könnten, falls sich Twitter unter Musks Einfluss in eine Richtung entwickeln sollte, die sich als fatal herausstellt. Gleichzeitig fehlt mir bei aller Anstrengung die Fantasie, welche das sein könnte.

Twitter mag zwar eine Plattform sein, über die auch Einfluss auf die Meinungsbildung und die Debattenkultur in den jeweiligen Ländern genommen wird. Aber unterm Strich ist auch Twitter nur eine Plattform unter vielen – und spiegelt, das ist jedenfalls meine Erfahrung der vergangen Twitter-Jahre, maximal einen Ausschnitt der Realität wider. Und ist zumindest in Deutschland eine eher exklusive Runde. Im Übrigen bedeutet echte Redefreiheit ja auch, dass man Twitter sogar auf Twitter kritisieren und Berichte über falsche Entwicklungen bei Twitter auf Twitter verbreiten darf. Nennen Sie mich naiv: Aber das beste Korrektiv für Twitter ist am Ende vielleicht Twitter selbst. Ob die Plattform nun Elon Musk gehört, irgendwelchen halbseidenen Investorengruppen oder meinem Onkel Ernst, scheint mir da eher zweitrangig.

Ein freundlicher Abschiedsbrief an den ÖRR-Chefwitzler

Und damit zurück zu Jan Böhmermann, der seinen 2,5 Millionen Followern – was wirklich eine beträchtliche Zahl ist – diese Woche noch zwei weitere Twitter-Kurzergüsse unter vielen mit auf den Weg gegeben hat. Diese Forderung: „Aufbau einer paneuropäischen öffentlich-rechtlichen Körperschaft zur Substituierung der kritischen Kernfunktionalität von Twitter, damit Bürger*innen, Behörden, Institutionen, Unternehmen und Medien über einen freien öffentlichen Ort des digitalen Austauschs verfügen.“ Und diese Einsicht, verpackt in einen halbgaren Scherz: „Glück im Unglück: Ich bin zu alt für einen neuen Account bei einem neuen Sozialen Netzwerk!“

Selbst beim zuvor auch von ihm ordentlich mit-angeheizten „Musk-Twitter“-Geschimpfe bleibt Böhmermann also beim Lippenbekenntnis. Die Übernahme von Twitter durch Musk: furchtbar, ganz schrecklich! Den eigenen Account wegen Musk stilllegen: Wo kommen wir denn da hin! Also bleibt's beim Stürmchen im Wasserglas, weil am Ende das eigene Ego eben auch die schlimmste Übernahme sticht. Und so wird das auch bei den meisten anderen Groß-Twitterern sein. Schade drum, weil ich am Dienstag ein Versprechen abgegeben habe, natürlich auf Twitter, das ich nur zu gerne einlösen würde. Und zwar dieses: Macht Böhmermann den Twexit, bekommt er von mir einen freundlichen Abschiedsbrief mit ganz viel Lob für so viel Konsequenz. Indianerehrenwort.

 

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