Geschlechtergerechte Sprache im Duden - „So etwas kann man nicht verordnen“

Der Duden verabschiedet sich vom „generischen Maskulinum“. Eine auf den ersten Blick unscheinbare Änderung, die zu großen Debatten führt. Sabine Krome vom Rat für deutsche Rechtschreibung kritisiert im Interview die Entscheidung des Verlags.

Der Duden verabschiedet sich vom sogenannten „generischen Maskulinum“ / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Jens Nordalm leitete bis August 2020 die Ressorts Salon und Literaturen bei Cicero.

So erreichen Sie Jens Nordalm:

Anzeige

Der Duden gibt neuerdings als Wortbedeutung von „Mieter“ an, es handele sich um eine „männliche Person, die etwas gemietet hat“. Das Wörterbuch verabschiedet damit das sogenannte „generische Maskulinum“, also die Regel oder Gewohnheit, dass die Benutzung des grammatischen Maskulinums, gerade im Plural, keine Festlegung auf ein biologisches Geschlecht bedeutet. Sprachwissenschaftlerinnen und der Rat für deutsche Rechtschreibung haben das jetzt kritisiert. Fragen an die Leiterin von dessen Geschäftsstelle, Dr. Sabine Krome. 

Frau Krome, was kritisieren Sie an den Entscheidungen der Duden-Redaktion?

In orthographischer Hinsicht ist gegen die Duden-Entscheidungen nichts einzuwenden, das sage ich von Seiten des Rechtschreibrats. Vielmehr ist das eine grammatische, eine semantische und auch eine sprachpolitische Frage. Wenn wir etwa Wendungen haben wie „Er geht zum Arzt“ oder „Er geht zum Bäcker“, dann sind bestimmte Berufsgruppen oder Institutionen gemeint und nicht einzelne Personen, männlich oder weiblich. Das zeigt sich auch an Zusammensetzungen, wie zum Beispiel „bürgernah“ oder „Mieterschutz“, da sagt man ja auch nicht „bürgerinnennah“ oder „Mieterinnenschutz“. Weil es eben nicht nur der Schutz von Rechten männlicher Mieter ist. Diese Zusammenhänge sollten im Duden im aktuellen Wortschatz und in den einzelnen Grundeinträgen zu Wörtern abgebildet werden, sonst gibt es hier eine Diskrepanz – eben zwischen der allgemeinen Definition zum Beispiel von „Arzt“ und dann den Wendungen, in denen „Arzt“ institutionell interpretiert wird. Die Definition in den Einzeleinträgen ist bei Duden jetzt klar auf das biologische Geschlecht ausgerichtet. Aber wenn ich sage, ich gehe zum Bäcker, meine ich eben nicht das männliche Exemplar dieser Gattung, sondern die Institution. Und die Berufsgruppe „Arzt“ wird nach den gängigen Konventionen im Sprachgebrauch durch die männliche Form dargestellt.

Also überschreitet die Duden-Redaktion hier ihre Aufgabe der Abbildung einer sich abzeichnenden Sprachentwicklung.

Natürlich ist es ein berechtigtes Anliegen, dass auch Frauen zur Geltung kommen. Das ist jahrhundertelang nicht geschehen. Auch in Deutschland kam das erst im 20. Jahrhundert langsam in Gang. Da liegt noch sehr viel im Argen, es ist aber auch schon viel vorangekommen. Nur kann man so etwas nicht verordnen. Das sind gesellschaftliche Entwicklungen, die sich langsam vollziehen. Und bei Berufsgruppen ist es eben so, dass die noch vor hundert Jahren vorwiegend männlich besetzt waren. Heute würde man selbstverständlich sagen „Lehrerinnen und Lehrer“ – es gibt ja auch deutlich mehr Lehrerinnen als Lehrer, zumindest offenbar in den Grundschulen. In dem Bereich wird also diese gesellschaftliche Entwicklung auch sprachlich nachvollzogen. Aber wenn man dann tatsächlich, wie es der Duden jetzt tut, Wörter wie „Bösewichtin“ oder „Gästin“ aufnimmt – Wörter, die zwar schon einmal im deutschen Wortschatz vorhanden waren, das Grimm‘sche Wörterbuch verzeichnet sie, aber die dann aus dem Sprachgebrauch so gut wie ausgeschieden sind –, ist das nicht mehr ganz nachzuvollziehen. Ein aktuelles Wörterbuch sollte den Anspruch haben, den deutschen Wortschatz auch aktuell abzubilden.

Was bedeutet all dies für die anderen, diversen Geschlechtsidentitäten – neben männlich und weiblich?

Die dritten Geschlechtsidentitäten, die ja auch viele verschiedene sind, würden in der Tat dadurch ausgeblendet. Eigentlich sind geschlechtsneutrale Formulierungen eine ganz gute Alternative, Personen mit anderen Geschlechtsidentitäten auch mit zu meinen und einzubeziehen.

Halten Sie es für aussichtsreich, mit diesem Argument das generische Maskulinum zu retten?

Das, was der Duden jetzt vorschreibt, ist ja noch gar nicht verankert in der Sprachgemeinschaft. Das entspricht so nicht der Sprachwirklichkeit. „Der Arzt“ ist nicht nur eine männliche Person.
Und es wird sich eben zeigen, ob sich diese Darstellungsweise durchsetzt.

Haben Sie als Rat für deutsche Rechtschreibung mehr Instrumente als diesen Protest gegen die Entscheidungen der Duden-Redaktion?

Das Problem ist, dass das kein Rechtschreibproblem ist. Dafür wären wir zuständig. Aber man fragt sich eben, ob der Sprachgebrauch richtig abgebildet wird. Das kann der Rechtschreibrat nicht entscheiden. Nur die Rechtschreibung ist ja im Deutschen amtlich normiert, die Grammatik nicht und alle anderen Bereiche der deutschen Sprache auch nicht. Da gibt es aber Konventionen der Textinterpretation, die sich zum Beispiel in sprachlichen Wendungen niederschlagen, und diese Konventionen sollten natürlich in allgemeinsprachlichen Wörterbüchern auch aufgegriffen werden. Duden ist der einzige Wörterbuchverlag heute. Und die Menschen brauchen sprachliche Orientierung und möchten sich und ihren Sprach- und Schreibgebrauch dann auch wiederfinden. Das heißt nicht, dass man nicht auch neue Entwicklungen anstoßen kann, aber dieses Normierende und der Versuch, Dinge vorzuschreiben, die sich eigentlich entwickeln müssen, das hat schon bei der Rechtschreibreform nicht geklappt – nach vielfältiger Kritik der Schreibgemeinschaft.

Glauben Sie also, dass diese aktuelle Kritik Wirkung haben könnte?

Man sollte diese Kritik schon zur Kenntnis nehmen. Aber das Problem ist eben, dass es nur den Duden gibt. An dem orientieren sich die Menschen.

Ist das letzte Wort da gesprochen?

Man kann noch nicht sagen, wie sich die Genderthematik sprachlich weiter entwickelt. So etwas führt natürlich auch zu sehr viel Gegenwind. Manche sagen, das Thema ist völlig überbewertet. Das merken wir auch als Geschäftsstelle des Rechtschreibrats. Wir haben eine riesige Sprachberatung und da kommt ganz viel Kritik in diesem Sinne. Die Leute fragen, ob wir keine anderen Probleme haben. Doch: Es gibt zum Beispiel Rechtschreibprobleme, gerade auch in der Schule. Schülerinnen und Schüler möchten sich gar nicht so sehr mit der Genderthematik auseinandersetzen, und die Lehrer auch nicht. Da müssen auch andere Dinge gelernt werden und da verschieben sich ein bisschen die Proportionen, wenn man dieses Thema so in den Vordergrund rückt, wie es im Moment geschieht.

Anzeige