Grünes-Gewölbe-Prozess - Wo übernachteten die Remmos in Dresden?

Am Dienstag geht die Beweisaufnahme im Dresdner Hochsicherheitstrakt in die Zielgrade. Für Überraschung sorgte, dass fünf der angeklagten Remmos, die sich zuvor noch als Justizopfer gegeben hatten, Geständnisse abgelegt haben. Vier von ihnen aufgrund eines Deals.

Ein Angeklagter im Prozess um den Jahrhundertraub im Grünen Gewölbe in der sächsischen Landeshauptstadt / picture alliance
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Autoreninfo

Dr. Butz Peters ist Publizist und Rechtsanwalt in Dresden. Er ist einer der führenden deutschen Experten zur Geschichte der RAF und hat mehrere Bestseller zum Thema Innere Sicherheit geschrieben.

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„Remmo-Bingo“: So nennen Prozessbeobachter die überschaubare Variation der Antworten auf die Fragen, mit denen Gericht und Staatsanwaltschaft die „Glaubhaftigkeit“ der Geständnisse der Angeklagten überprüfen wollen. Einen „Bingo“-Punkt bekommt, wer in den Zuschauerreihen als erstes zutreffend tuschelt, welche der vier Standartantworten seitens des Verteidigers nun dieses Mal geäußert werden, um zu begründen, dass er inhaltlich nichts oder so gut wie nichts Neues hinzufügen kann.

Antwort A: Keine Erinnerung mehr. B: Keine Wahrnehmung – von dem nachgefragten Aspekt hat mein Mandant nichts mitbekommen. C: Keine Aussage, weil sie zu einer Drittbelastung führen könnte. Oder D: Was Rabieh Remo (der als erster aussagte und Nachfragen beantwortete) erklärt hat, stimmt. Mehr kann mein Mandant nicht sagen.

Das Prozedere ist mühsam

Gewiss eine Überspitzung, gewiss auch leicht perfide. Aber am Kern ist etwas dran: Das Prozedere ist mühsam. Kostet viel Zeit. Gericht oder Staatsanwaltschaft tragen ihren Frage-„Block“ vor: Rund ein Dutzend Fragen von einer Art „Sammelliste“. Der Angeklagte und seine beiden Verteidiger ziehen sich zurück. Besprechen sich dreißig, vierzig Minuten lang – und dann referieren die Anwälte für ihren Mandanten. A, B, C, D oder, das ist die Ausnahme, etwas Erhebliches, das über das vorliegende Geständnis hinausgeht.

Dabei fällt dem Beobachter die Vorstellung schwer, dass auf diese Weise die Glaubhaftigkeit der erfolgten Deal-Geständnisse tatsächlich überprüft werden kann. Denn die Antworten der Verteidiger (für ihre Mandanten) sind passgenau, die Anwälte der Remmos nun eben Profis. Unvorstellbar, dass einer von ihnen etwas sagt, wodurch er das, was ein Kollege zuvor für seinen Mandanten erklärt hat, in Richtung Unglaubwürdigkeit rückt. Seit vier Verhandlungstagen läuft nun schon dieses zeitaufwändige Prozedere. Noch einen wird es mindestens dauern. Nach kalendarischer Zeitrechnung sind das insgesamt sechs Wochen.

Teil drei des Deals

Das ist Teil drei des Deals, den Strafkammer, Staatsanwaltschaft und vier Angeklagte im Januar abgeschlossen haben. Erledigt ist Teil eins: Die Rückgabe eines Teils der Beute. 18 von 21 gestohlenen Schmuckstücken sind wieder da. Nicht wenige beschädigt – zerrissen, zerschlagen, zerbeult. Der Freistaat beziffert den Schaden der demolierten und fehlenden Kunst mit 88 Millionen Euro. Ebenso erledigt ist Teil zwei: Die Geständnisse der vier Angeklagten, die sich auf den Deal eingelassen haben, liegen vor. Quintessenz: Sie räumten ein, als Mittäter am Einbruch beteiligt gewesen zu sein. So kann kein Zweifel daran bestehen, dass sie wegen des Juwelendiebstahls und der Brandstiftung in einer Tiefgarage verurteilt werden. Und ein fünfter Remmo hat zugegeben, in Kenntnis der Tatumstände, Äxte und anderes für den Einbruch besorgt zu haben. Strafrechtlich ist das Beihilfe.

Nun also, im Dresdner Hochsicherheitstrakt, der dritte Teil: die Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Geständnisse. Nach dem „Deal“ müssen die Angeklagten Auskunft über die Tatvorbereitungen, das Tatgeschehen und das Nachtatgeschehen geben – aber, das haben sich die Anwälte ausbedungen, nicht, wenn dies zu einer „Drittbelastung“ führen könnte. Also keine Angaben zu möglichen Mittätern, Gehilfen, Helfershelfern, Mitwissern, Beuteverwertern und Hehlern. 

 

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Dieses – Antwortvariante C – kombiniert mit den Varianten A und B (keine Erinnerung mehr/nichts davon mitbekommen) – sind die Gründe, warum es keine Antworten auf viele der bohrenden Fragen gibt, die der mittlerweile bekannt gewordene Sachverhalt aufwirft. Etwa: Wer hat die beiden Tatfahrzeuge, beides PS-Raketen, einen Audi Avant 6 und einen Mercedes E 500 beschafft? Wo wurden für sie die Doubletten-Kennzeichen hergestellt?

Wer hat die beiden Fahrzeuge mit einer anderen Farbe versehen – „umfoliert“? Wer hat den Mercedes, mit dem die Täter als Fake-Taxi aus Dresden geflohen sind, auf einem Sicherstellungsgelände der Polizei in Berlin in Brand gesteckt, um Spuren zu verwischen – einen Monat nach der Tat: ausgerechnet in der Nacht von Heiligabend zum ersten Weihnachtsfeiertag 2019? Erahnen lässt dieses Abfackeln, wie weit der Arm des Remmo-Clans in Berlin reicht. Ein Teil des Einbruchskommandos übernachtete, wie Rabieh Remo berichtet, nach Tatvorbereitungen am Grünen Gewölbe in Dresden. Wo? Antwort seines Verteidigers: Variante C. Keine Drittbelastung.

Und dann noch die drei großen Fragen, die am Ende der Chronologie des Jahrhundertdiebstahls stehen: Wo war die Beute versteckt – drei Jahre lang? Was ist mit dem noch fehlenden Teil der Beute geschehen? Wie und von wem wurde von den Remmos die Rückgabe des Schmucks organisiert? 

Die Spitze eines Eisbergs

Fazit in der Gesamtschau: Der Grüne-Gewölbe-Prozess macht die Spitze eines Eisbergs sichtbar. Sichtbar wurde aber auch, dass in die Tat, ihre Vor- und Nachbereitung, weit über über ein Dutzend Eingeweihte, Mitwisser und Helfershelfer involviert waren – bis hin zum Quartiergeber in Dresden. Bis heute sind sie alle unbekannt. Die Chance, ihnen auf die Spur zu kommen, geht gegen Null. Die Remmos haben sich in dem Deal ausbedungen, zu ihnen nichts sagen zu müssen. Keine Drittbelastung. Nun eben: Antwort C. Das Schweigen der Remmos.

Deutlich wurde, vor allem durch die Geständnisse, die Struktur des Einbruchskommandos: Für die Tat gab es eine Kernmannschaft – eine Art Nukleus für den Jahrhundertdiebstahl: Bestehend aus zwei bislang unbekannten Tätern – als X und Y werden sie in dem Verfahren bezeichnet – sowie Wissam Remmo. Er war bereits bei dem Einbruchskommando dabei, das 2017 die 3,3 Millionen teure Goldmünze aus dem Bode-Museum in Berlin stahl. Folgt man den Geständnissen der Angeklagten in Dresden, hatten X und Y die Schlüsselrollen bei dem Dresdner Bruch: Sie finanzierten die Tatvorbereitungen, saßen am Steuer der beiden Autos, die von Berlin nach Dresden fuhren. Einer von ihnen stieg mit ins Grüne Gewölbe ein und holte den Schmuck aus den Vitrinen. Der andere stand vor dem Einstiegsfenster, sicherte den schnellen Abtransport. 

Moralisches Fiasko

Nach vierzehn Monaten Grüne-Gewölbe-Prozess naht nun das Ende. Die Strafkammer plant, das Urteil bis Ende des Monats zu sprechen. Klar ist der Strafkorridor für die vier am Deal beteiligten Angeklagten: Zwischen fünf Jahren und neun Monaten und sechs Jahren und neun Monaten. Auch Teil des Deals: Mit der Verkündung des Urteils hebt die Kammer die Untersuchungshaftbefehle auf. So werden an diesem Tag voraussichtlich vier Angeklagte auf freien Fuß kommen. Noch in diesem März. Die Entscheidung über die Revision durch den Bundesgerichtshof kann dauern. Zwei Jahre oder noch mehr.

So mancher Bürger wird das angesichts des beträchtlichen Schadens als moralisches Fiasko empfinden; den Strafrabatt als deutlich überhöht. Aber dafür können wir nun bald wieder die sächsischen „Kronjuwelen“ im Grünen Gewölbe sehen. Fast vollständig.

 

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