Digitale Patientenakte - Datenspenden für die Gesundheit – und ein großes Geschäft

Ab 2025, so ist es nun beschlossen, soll jeder Patient in Deutschland über eine elektronische Patientenakte verfügen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nennt es einen „Quantensprung“ im Gesundheitssystem. Kritiker sehen das anders.

Gesundheitskarten der Techniker Krankenkasse / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

So erreichen Sie Ralf Hanselle:

Anzeige

Der Rohstoff der Zukunft sind Daten. Daten über Ihr Einkaufsverhalten. Daten über Ihre Sozialkontakte. Daten über Bonität. Über politische Ansichten. Ästhetische Präferenzen. Psychologische Schwachstellen. Und vor allem: Daten über Ihre Gesundheit. Die nämlich ist unmittelbar verbunden mit Ihrem Körper. Und somit bildet der Kurzschluss von Gesundheit und Daten die entscheidende Energie, die es heute gewiss braucht, um die lukrativsten Märkte von Gegenwart und Zukunft zu bewirtschaften: Nanotechnologie, Bioinformatik oder Bioelektronik.

Auch im politischen Raum sind Gesundheitsdaten – nicht zuletzt die zurückliegende Pandemie hat es auf erschreckende Weise zu Tage gefördert – von immenser Wichtigkeit. Wie viel unnütze Maßnahmen könnten in künftigen Krisensituationen vermieden werden, wenn man bei vergleichbaren Szenarien der Vergangenheit sinnvolle Datenpools geschaffen hätte? An nichts hat es schließlich den Behörden und Ministerien für eine effektive politische Steuerung der Corona-Pandemie so sehr gemangelt wie an zuverlässigen Daten.

Im Land des Impf-Weltmeisters

Sensibilisiert für das Problem, scheint nun also das geeignete Zeitfenster zur Einführung der sogenannten elektronischen Patientenakte offen zu sein. Müde vom zurückliegenden Blindflug durch die Pandemie, sind viele Bürger mittlerweile bereit dazu, neben Blut- oder gar Organspenden künftig auch kleine Datenspenden abzugeben. Und das selbst dann, wenn berechtigte Datenschutzbedenken dagegenstehen sollten. 

Denn was würde man mittlerweile nicht alles (auf-)geben wollen, wenn damit nur endlich sichergestellt wäre, dass es nie wieder zu sinnlosen Schulschließungen oder zu zweifelhaften Lockdown-Maßnahmen kommt? Und hatte nicht sogar Christian Lindner, eigentlich Bundesvorsitzender einer bürgerrechtsbewegten Partei, bereits im ersten Jahr der Pandemie im Deutschen Bundestag gelästert, dass man eine Pandemie des 21. Jahrhunderts nicht mit Instrumenten aus dem Mittelalter bekämpfen werde?

Staaten wie Israel haben es schließlich vorgemacht: Im Land des einstigen Impf-Weltmeisters schien man zu jedem Zeitpunkt der Pandemie über eine optimale Datengrundlage zu verfügen, um bereits zur rechten Zeit über Sinn und Unsinn politischer Maßnahmen entscheiden zu können. Die Basis hierfür war unter anderem ein bereits in den 1990er Jahren begonnenes Digitalisierungsprojekt im Gesundheitswesen, das es heute nahezu jedem Israeli ermöglicht, eine zumindest aus technischer Sicht funktionsfähige elektronische Patientenakte (ePA) zu nutzen. Die Tatsache, dass Israel zunächst zum gelobten Land der Impfkampagne werden konnte, hatte gewiss auch mit diesen optimalen Monitoring-Bedingungen zu tun.

Gesundheitsdaten für die Forschung

Wohlan also, die Zeit ist günstig! Das hat sich gewiss auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gedacht, als er ab Sommer dieses Jahres mit vereinten Kräften für das sogenannte Digitalgesetz die Trommel zu schlagen begann. Am 30. August wurde der Entwurf durchs Kabinett gebracht, am Donnerstag hat er in 2. und 3. Lesung den Bundestag passiert

Ab 2025, so ist es nun beschlossen, soll jeder Patient in Deutschland über eine elektronische Patientenakte verfügen – vorausgesetzt, er widerspricht nicht aktiv bei seiner Krankenkasse. Und auch die sogenannten rosa Zettel sollen dann künftig der Vergangenheit angehören: Rezepte nämlich sollen in den Apotheken bereits ab dem kommenden Jahr vor allem digital eingereicht werden.

 

Mehr zum Thema:

 

Ein Raunen dürfte da viele in Deutschland erfasst haben: Endlich wird wahr, was in Ländern wie Schweden seit langem gang und gäbe ist: Sämtliche Informationen, die die eigene Gesundheit betreffen könnten, werden als einheitlicher Datensatz abgelegt und gespeichert. Egal ob Laborbefunde, Vorerkrankungen, Röntgenbilder oder die Telefonnummern von Angehörigen. Selbst Diagnosen – auch natürlich die fragwürdigen und umstrittenen – sind fortan für all jene im Gesundheitssystem abrufbar, die sich unter Einhaltung strenger Identifikationsregeln über Apps der Kassen Zugang verschaffen können. 

Hinzu kommt, und das dürfte für Wissenschaft wie Gesundheitsindustrie noch weit interessanter sein, das sogenannte Gesundheitsdatennutzungsgesetz, mit dem Gesundheitsdaten künftig für die Forschung erschlossen werden können. Mit einer noch zu schaffenden Infrastruktur sollen dann Gesundheitsdaten für gemeinwohlorientierte Zwecke ausgewertet werden können.

Angriffe auf Patientendaten

Solidarität also auch in Sachen Datenspende. Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sind die nun durchs Parlament gegangenen Gesetze denn auch der „Quantensprung“ im Gesundheitssystem. Kritiker sehen das durchaus anders. Datenschützer und Sicherheitsforscher fordern seit längerer Zeit bereits Korrekturen und weisen auf mögliche Sicherheitslücken hin. Vom Chaos Computer Club etwa heißt es: „Doch wer hochsensible Gesundheitsdaten massenhaft speichert, muss einerseits die Privatsphäre der Betroffenen wahren und andererseits zwingend IT-Sicherheit sicherstellen.

Ob das wirklich möglich ist? 2020 bereits hat ein medienwirksam durchgeführter Hack auf die Gesundheitsdaten von 40.000 psychisch kranken Patienten in Finnland gezeigt, dass man das Intimste, was man über einen Menschen zu wissen imstande ist, niemals endgültig und für immer wird schützen können. Weitere Angriffe auf Patientendaten in deutschen Kliniken haben diese Befürchtung seither bestätigt.

Eine Vielzahl bürokratischer Aufgaben

Auch kritische Mediziner haben daher Zweifel. Für sie spielt aber noch ein anderer Aspekt eine Rolle: „Die praktische Umsetzbarkeit des ePA-Projekts im faktischen Medizinbetrieb ist im Rahmen des Gesetzes in keinerlei Weise von der Zeit her und im Hinblick auf die Auswirkungen der ärztlichen Versorgung gewürdigt und geprüft worden“, heißt es etwa von Seiten des Essener Berufsverbandes Freie Ärzteschaft. Und bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KBV) klagt man schon jetzt lautstark über ein „Übermaß an Bürokratie und schlecht gemachter Digitalisierung“. 

So förderte eine jüngst publizierte Umfrage unter 32.000 KBV-Mitgliedern Erschreckendes zutage: Über 90 Prozent der Befragten beklagten eine Vielzahl bürokratischer Aufgaben. Und folgt man der Freien Ärzteschaft, dann wird auch die ePA nichts an dieser Situation ändern:  „Selbst wenn tatsächlich irgendwann alle Patienten eine solche elektronische Patientenakte hätten, gibt es keine Zeitersparnisse auf Seiten der Ärzteschaft, die den hiermit verbundenen Verwaltungsaufwand und die weiter damit verbundenen Kosten rechtfertigen würden“, heißt es vonseiten des Berufsverbandes.

Ein lohnendes Geschäftsmodell

Doch was stören handfeste Zweifel, solange sich das Wort „Digitalisierung“ so wunderbar auf Zukunft reimt? Im Bereich Medizintechnik und Biotechnologie kann die Digitalisierung von Patientendaten daher gar nicht schnell genug vonstattengehen: Einer Lobby-Publikation mit dem Titel „Standortfaktor Gesundheitsdaten“, für die jüngst Vertreter von über 100 Unternehmen in Bereich Pharma, Medizin- und Biotechnologie befragt wurden, zeigte, dass der Wert digitaler Gesundheitsdaten für Wirtschaft und Forschung immens zu sein scheint: Der Zugang zu Gesundheitsdaten, heißt es da, sei ein kritischer Standortfaktor mit hohem Handlungsbedarf. 

Basis für eine erfolgreiche Gesundheitswirtschaft und insgesamt verbesserte Versorgung müsse daher eine stärker digital hinterlegte Patientenversorgung auf Basis strukturierter und interoperabler Daten sein. Neben – und in weiten Teilen gewiss auch statt – Gesundheit geht es um ein lohnendes Geschäftsmodell. Und seit dem heutigen Donnerstag steht also fest: Regierung wie Parlament haben den Markt immens verbreitert.

Anzeige