Den Punk hat die Berliner Band nur simuliert - Die braven Ärzte

Am vergangenen Sonntag kündigte die Band „Die Ärzte“ an, ihren alten Song „Elke“ nicht mehr zu spielen, er sei „letztes Jahrtausend“. Seitdem rumort das Netz. Wer jedoch hier ein Einknicken vor der politischen Korrektheit wittert, irrt sich gewaltig. Die Ärzte waren noch nie Rebellen, sondern immer schon Opportunisten des Zeitgeistes.

Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo Gonzalez von der Band „Die Ärzte“. /dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Die Ärzte waren eigentlich schon immer eine Mogelpackung. Schon das Etikett „Punk“ für die Berliner Spaßband war kompletter Unsinn. Als sich die Formation 1982 gründete, war der Punk schon seit Jahren tot. 1978 hatten sich die Sex Pistols aufgelöst. Johnny Rotten höchstselbst hatte die Nase voll, genervt von der Kunstfigur „Rotten“ und der Entwicklung der Bewegung. John Lydon, wie er eigentlich hieß, gründete Public Image Ltd. Der Rest ist Geschichte. Und Anfang der 80er Jahre war Punk nur noch eine ferne Erinnerung. Daran ändern auch ein paar Kellerbands mit Irokesen-Schnitt, gegröltem Gesang und einfachen Riffs nichts, die es damals in jeder deutschen Provinzstadt gab.

Ein bisschen provozieren im Land von Helmut Kohl

Entsprechend klangen die Ärzte auch nie nach Punk. Zumindest machten 1983 die ersten Takte ihrer ersten EP – sie gehörten zum Song „Teenagerliebe“ – nicht wirklich den Eindruck, hier das Vinyl einer harten Punk-Band in den Händen zu halten. Und auch die drei anderen Songs klangen nicht nach The Clash oder den Ramones. Äußerlich gaben sich Farin Urlaub, Bela B. und Sahni zwar alle Mühe, so auszusehen, wie man sich in braven Reihenhäusern einen Punker vorstellt, doch das Adrette, Kommode und Schwiegersohntaugliche dröhnte den „Ärzten“ schon immer aus jeder Naht ihrer schwarzen Klamotten. Da konnten sie sich noch so sehr mit dicken Totenkopfringen und Ketten behängen. Und als Hans Runge („Sahni“) 1985 die Band verließ, um sich intensiver seinem Wirtschaftsstudium widmen zu können, war das keine große Überraschung. Die Ärzte, das war im Grunde wohlfrisierte Bürger-Punk aus Spandau. Darauf gründet ihr Erfolg.

Doch was macht man, wenn man sich das Lable „Punk“ anhaftet, Punk jedoch tot und man selbst nicht Punk ist? Nun ja, man provoziert ein bisschen im Land von Helmut Kohl herum, der, wie es der Zufall so will, sich genau in dem Jahr an die Macht mauschelte, als die Ärzte gegründet wurden. Also formulierte der Abiturient Jan Vetter („Farin Urlaub“) ein paar etwas gewagtere Texte, die mit dem Prädikat „Teenagerhumor“ ganz gut beschrieben sind, aber ausreichten, um die Kleingeister auf die Barrikaden zu bringen, die in diesem Land schon immer den Ton angaben.

So entstand „Claudia“ (Textauszug: „Claudia hat 'nen Schäferhund, und den hat sie nicht ohne Grund, abends springt er in ihr Bett, und dann geht es rund“), „Geschwisterliebe“ („Der große Augenblick ist da, ich liege auf dir und du schreist ja, Du bist so eng das macht mich geil, und morgen nehme ich dein Hinterteil“) oder das „Schlaflied“ („Und es kichert wie verrückt, als es deinen Hals zudrückt, Du schreist, doch du bist allein zu Haus, das Monster sticht dir die Augen aus“).

Lieder auf dem Index

Das alles wurde vorgetragen in dem für die frühen Ärzte typischen, lustig-flotten Pop-Rockabilly oder im ironisch getragenen Balladenton („Schlaflied“). Die Tugendwächter der damaligen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (nunmehr Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz) reagierten dennoch prompt und bescherten den Ärzten den kassenwirksamen Titel der „meistzensierten Band der westlichen Welt“: die drei oben genannten Lieder landete auf dem Index.

Als Reaktion darauf veröffentlichen die Band 1987 die Mini-LP „Ab 18“, auf der unter anderem alle indizierten Lieder versammelt waren und die wohl kalkuliert und publikumswirksam ebenfalls auf dem Index landete. Ein Jahr später folgte das Album „Das ist nicht die ganze Wahrheit…“ auf dem man munter weiter die Provokationsmasche fuhr. Darauf unter anderem das Lied „Elke“, das von einem übergewichtigen Mädchen handelt („Sie hat zentnerschwere Schenkel, sie ist unendlich fett, neulich hab‘ ich sie bestiegen, ohne Sauerstoffgerät“).

Sie waren nie Rebellen

Dass die Ankündigung der Ärzte, „Elke“ nicht mehr auf Konzerten spielen zu wollen, schließlich sei es „fatshaming, misogyn“, solche Wellen schlägt, ist nur vor dem Hintergrund von „Layla“ und der ewigen Cancel-Culture-Debatte zu verstehen. Denn zum einen ist unklar, wie ernst die Aussage auf dem Berliner Konzert wirklich war. Vor allem aber war „Elke“, wie andere Songs auch, immer schon als inszenierter Tabubruch angelegt. Es gehört im gewissen Sinne zur Tradition der Ärzte, Tabus zu brechen, die allenfalls in den Köpfen beamteter Jugendschützer bestehen. Aus diesem Vermarktungstrick bezog die Band, von ihrer eingängigen und konzerttauglichen Musik abgesehen, ihre Strahlkraft. Dass man nun, wo einige Songs diese Funktion nicht mehr erfüllen, sondern womöglich tatsächlich ein Tabu verletzen, diese aus dem Repertoire nimmt, liegt in der Logik der Sache.

Wer diese Logik nicht begreift, hat die Ärzte schon immer als Rebellen missverstanden. Die waren sie aber nie. Im gewissen Sinne waren sie vielmehr immer schon die Anwälte des politisch Korrekten, die es geschickt verstanden, sich entsprechend zu positionieren und dennoch nicht als die Opportunisten dazustehen, die sie schon immer waren. „Elke“ in dem Moment aus dem Programm zu nehmen, in dem der Song tatsächlich provoziert, ist vor diesem Hintergrund kein Wunder, sondern nur konsequent – und im Übrigen kein Verlust.
 

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