Deutsche Nahostpolitik - Planlos, naiv, weltfremd

Außenminister Heiko Maas ist auf dem Weg in die Türkei und versucht zu retten, was zu retten ist. Ist es Weltfremdheit? Ist es Naivität? Oder einfach nur Leichtfertigkeit? Die deutsche Nahostpolitik unterbietet sich derzeit selbst – und das ist, schaut man auf die letzten Jahre, gar nicht so einfach.

Außenminister Heiko Maas auf dem Weg in die Türkei / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Seit einiger Zeit nun waltet das saarländische Meisterduo Heiko Maas und Annegret Kamp-Karrenbauer. Seit der Horizont der deutschen Nahostpolitik ungefähr von Saarlouis nach Völklingen reicht, hat sich Deutschland endgültig in eine Art diplomatische Parallelwelt katapultiert.

Dabei muss man gerechter Weise sagen, dass die eigentliche Misere im Auswärtigen Amt begann. Und zur Wahrheit gehört auch, dass die Probleme sehr viel älter sind als die Amtszeit von Heiko Maas. Der ehemalige stellvertretende Ministerpräsident des Saarlandes steht lediglich in einer Kontinuität aus Desinteresse, Verantwortungslosigkeit und Blauäugigkeit, die die deutsche Nahostpolitik im Grunde seit Ende des 19. Jahrhunderts kennzeichnet. Die allerdings verkörpert der Saarländer sehr eindrucksvoll.

Ein Diplomatendarsteller

Im August charakterisierte der Spiegel Heiko Maas als „Mann ohne Leidenschaften“ und als „politisches Leichtgewicht“. Harte Worte, doch mit Blick auf den derzeitigen Außenminister geradezu gnädig. Heiko Maas, nach drei verlorenen Landtagswahlen im Saarland 2013 zum Justizminister auserkoren und 2018 durch die Wechselfälle des Politlebens irgendwie am Werderschen Markt gelandet, gibt sich zwar betont staatsmännisch, Hornbrille und Slim-fit-Anzug inklusive, wirkt aber gerade deshalb eine wenig wie ein Diplomatendarsteller.

Das alles wäre vermutlich zu verkraften, wenn der Neudiplomat sich in festgefügten und etablierten Strukturen bewegen könnte. Das aber genau ist nicht der Fall. Und so offenbart der Novize Maas gnadenlos die Schwächen der deutschen Nahostpolitik der letzten Jahrzehnte.

Verspätete deutsche Machtpolitik

Deren Defizite – Ehre wem Ehre gebührt – liegen zunächst in einer glücklichen Fügung: der geografisch und historisch bedingten kolonialen Abstinenz Deutschlands im Nahen Osten. Während England und Frankreich sich spätestens seit dem diplomatischen Ringen um den Bau des Suezkanals ab den 1850er Jahren um Einfluss in dem arabischen Bereich des bröckelnden Osmanischen Reiches bemühten, war Deutschland mit sich selbst beschäftigt. Dazu passte, dass die deutsche Orientalistik sich vor allem mit dem arabischen Altertum, arabischer Lyrik und Theologie befasste, weniger mit handfesten ökonomischen oder politische Fragen.

Für diese begann man sich in Deutschland erst vor dem Hintergrund der Konflikte mit England und Frankreich zu interessieren. Ausdruck dieser Machtpolitik war die deutsche Unterstützung der berühmten Bagdadbahn oder die abenteuerlichen Operationen des Hauptmanns Fritz Klein, des deutschen „Lawrence of Arabia“. Damit endete auf lange Zeit auch schon das, was man deutsche Nahostpolitik nennen könnte.

Ohne Interessen kein Konzept

Diese passive Haltung hatte sich spätestens 1990 vor dem Hintergrund von Mauerfall und zweitem Golfkrieg erledigt. Dass man dennoch nie eine Linie gefunden hat, neben besagten politkulturellen Traditionen, auch damit zu tun, dass man sich in Deutschland extrem schwer tut, deutlich eigene nationale Interessen zu formulieren. Wer jedoch keine Interessen hat, hat auch kein Konzept.

Also versucht man aus der Not eine Tugend zu machen und flieht – sehr deutsch – ins allgemeine Moralisieren. Wer aber moralisiert, versucht es allen recht zu machen. Das jedoch muss schiefgehen, da man es nicht allen recht machen kann. Entsprechend stolpert die deutsche Außenpolitik durch die Region, verprellt dabei regelmäßig Israel, Deutschlands wichtigsten Partner in der Region, kuschelt mit Diktatoren und totalitären Regimen und drückt sich immer dann, wenn es ernst wird.

Es gibt sehr wohl deutsche Interessen

Dazu passt, dass man die Hisbollah, die von Teheran gesteuert die Region seit Jahrzehnten destabilisiert, tapfer ignoriert. Ihre Einstufung als Terrororganisation wird wohl noch Jahrzehnte dauern. Auch Kritik an dem israelfeindlichen Gebaren des Uno-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) unterbleibt geflissentlich. Lieber trägt man den antiisraelischen Kurs von UN-Entschließungen mit und brüskiert seine Partner. Mitunter kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Trump und Netanjahu für deutsche Diplomaten der Vorwand sind, endlich mal zu sagen, was man wirklich denkt.

Die eigenwillige Initiative der deutschen Verteidigungsministerin für eine Schutzzone in Nordysrien war außenpolitisch dilettantisch, bündnispolitisch unüberlegt und vorschnell. Dass aber überhaupt ein konzeptionelles Vakuum entstehen konnte, liegt an der planlosen Nahostpolitik des Außenministeriums. Dabei macht schon die Flüchtlingsproblematik deutlich, dass es sehr wohl deutsche Interessen in der Region gibt, die es zu vertreten gäbe.

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