Der Sturz des Artisten

Sie waren jung, sie waren wild, und so nannten sie sich auch: Die Malergruppe „Die Jungen Wilden“ eroberte Anfang der achtziger Jahre die Kunstszene, exzentrisch, sinnlich, virtuos.

Salomé war für mich immer die interessanteste Figur der Jungen Wilden. Anfang der achtziger Jahre hatte ich ein Bild von ihm in der Galerie am Moritzplatz gesehen, rief ihn sofort an und besuchte ihn in seinem Atelier. Dort hing er hoch unter der Decke am Trapez und turnte darin herum wie ein Zirkus-akrobat. Seine Körperkraft und seine Vitalität waren beeindruckend, die ganze Artistik seiner Bewegungen – und diese Leichtigkeit fand ich auch in seiner Malerei wieder. Er lebte, was er malte, und er war der Begabteste der Bewegung. Das Neue und Aufsehenerregende daran war, dass sich erstmals wieder eine neue figurative Malerei dem diktierten Weltstil der Abstraktion und des Minimalismus widersetzte. In Deutschland war die Abstraktion ohnehin verbindlich gewesen, denn sie passte in die Verdrängungsmentalität der Nachkriegszeit, weil sie inhaltliche Dinge vermied. Auf der documenta 1959, deren Generalsekretär ich war, waren 90 Prozent der Bilder abstrakt, Surrealisten wie Dali oder Delvaux wurden verschämt in eine dunkle Ecke neben die Toiletten gehängt. Wer in irgendeiner Weise figurativ malte, gehörte nicht dazu. Das war durch den Missbrauch gegenständlicher Malerei im Dritten Reich unmöglich geworden – ganz im Gegensatz zur DDR, wo man die Tradition von Dix und Grosz weiterführte. So entstand dort die veristische und naturalistische Richtung des Sozialistischen Realismus, mit Protagonisten wie Tübke, Mattheuer, Heisig und Arno Rink, dem Lehrer von Neo Rauch, die sich alle dezidiert mit der Geschichte auseinandersetzten. Erst in den achtziger Jahren war in Westdeutschland die Zeit reif für den Bruch mit der Abstraktion, den Maler wie Anselm Kiefer und Georg Baselitz vorbereitet hatten. Das ganze Wunder der neuen deutschen Malerei, das wir jetzt erleben, begann im Grunde erst in den achtziger Jahren. Salomé hatte bereits seinen Durchbruch 1980 mit der Ausstellung „Heftige Malerei“ gehabt, bei der Ausstellung „Zeitgeist“ 1982 in Berlin dann war der Damm endgültig gebrochen. Der Reiz von Salomé, Middendorf und Fetting lag zum einen in dem offensiven Bohèmeleben der Gruppe, wesentlicher aber war das Moment des Antiintellektuellen, Spontanen. Denn die Abstraktion vorher wirkte natürlich sehr spirituell und esoterisch, außerdem ließen sich minimalistische Arbeiten und Konzeptkunst auch schwer verkaufen. Das änderte sich radikal mit den Jungen Wilden. Waren es vorher vielleicht zehn, zwölf ernst zu nehmende Sammler gewesen, die konsequent die spröde Avantgarde kauften, war die neue figurative Malerei plötzlich attraktiv für zehntausende. Von nun an ging die Post ab. So sehr, dass Galeristen wie Paul Maenz die Bilder bei Kunstmessen gar nicht mehr aufhängten, sondern ganze Stapel an die Wand lehnten, die sie im Handumdrehen wegverkauften. „Der Hunger nach Bildern“ war da, so der -Titel einer anderen berühmten Ausstellung jener Zeit. Salomé war einer der Shooting Stars dieses Hungers. Anfangs kosteten die Bilder zwischen 2000 und 10000 DMark, aber schon nach kurzer Zeit lagen sie bei 100000 D-Mark. Wer sehr viel Geld verdient, muss intelligent damit umgehen, einen kühlen Kopf behalten. Auch wenn man eine Million hat, muss man morgens an der Staffelei stehen. Aber Salomé und auch andere hoben buchstäblich ab. Im Jet ging es nach New York, es gab Starallüren, Drogen spielten eine Rolle, er verlor die Bodenhaftung und stieg ab. Salomé gehört zu den vielen Künstlern, die kurze Zeit im Zenith stehen und sich dann selbst verbrennen. Sicher, er malt noch und stellt in kleinen Galerien aus, aber von der Kunstkritik wird das nicht mehr wahrgenommen, und die Rekordpreise von einst sind Vergangenheit. Seine Art der Vitalität kann man nicht ins Alter retten. Aus heutiger Sicht sind die Jungen Wilden eine periphere Bewegung. „Jung und wild“ sagt eigentlich schon alles: Das ist ein zeitgebundenes Programm mit vorhersehbarem Verfallsdatum. Ich glaube nicht, dass das MoMA jemals ein Bild der Jungen Wilden kaufen wird – ganz im Gegensatz etwa zu denen von Neo Rauch. Der hat außerdem eine viel solidere kunsthistorische Basis. Es ist kein Zufall, dass heute Künstler aus der ehemaligen DDR Weltkarriere machen. Die Leipziger Kunsthochschule beispielsweise ist noch eine echte Schule, die den Absolventen unglaubliche handwerkliche Fähigkeiten mitgibt. Die größte Verführung aber ist die routinierte Selbstwiederholung. Salomés heutige Seerosenbilder sind gefällig, leicht konsumierbar – weiterentwickelt hat er sich nicht. So hat der Hang zum Artistischen den Trapezkünstler am Ende eingeholt. Das allzu Flotte ist die größte Gefahr für einen erfolgreichen Maler. Und nur die wirklich Großen erkennen diese Gefahr. Picasso sagte einmal: „Wenn meine rechte Hand zu gut wird, nehme ich die linke.“ Rudolf Zwirner führte von 1960 bis 1992 eine der international bedeutendsten Galerien für Avantgardekunst und war Mitbegründer des Kölner Kunstmarkts

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