Der Spiegel über Axel Springer - Sagen, was passt

Der Spiegel nimmt die Causa Julian Reichelt zum Anlass, um mit dem Springer-Konzern abzurechnen. Dafür scheint den Hamburgern jedes Mittel recht: Informationen werden weggelassen, Nebensächliches wird aufgeblasen und Springer-Chef Mathias Döpfner als „Staatsfeind“ diskreditiert.

Spiegel-Redaktionssitz in der Hamburger Hafencity / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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In „Bild. Macht. Deutschland“, der viel beachteten Doku-Reihe auf Amazon über die Bild-Zeitung, gibt es eine kurze, wunderbare Szene, in der ein Redakteur erklärt, wie Boulevardjournalismus funktioniert. Statt alle relevanten Facetten einer Geschichte zu beleuchten, erklärt er, konzentriert sich der Boulevard auf einen Aspekt – und macht den ganz groß. Im Gegensatz zum sogenannten seriösen Journalimus, bei dem die Kontextualisierung im Vordergrund steht. Das Geschäftsmodell des Boulevards beruht also nicht auf der Lüge, wie ihm oft vorgeworfen wird, sondern auf der Pointe. Boulevard macht Meinung, Nicht-Boulevard hilft bei der Meinungsbildung. So die theoretische Arbeitsteilung.

Doch die Digitalisierung hat zu einer Disruption in der Medienbranche geführt. Zuerst hat der Journalismus das Internet verpennt und durch Gratisinhalte im Netz signalisiert, Informationen seien eine Art Universalrecht wie die Luft zum Atmen. Anschließend hat man sich der Aufmerksamkeitsökonomie des Internets unterworfen und seine Gatekeeper-Funktion zugunsten irgendwelcher Algorithmen aus der Hand gegeben. Der seriöse Journalismus hat sich dem Boulevard damit zusehends angenähert: Die Lautstärke wurde hochgedreht, die Themen wurden verkürzt, die Pointe wurde wichtiger. Alles, um im Dauerrauschen des Internets überhaupt wahrgenommen zu werden. Für diese Mischung aus Boulevard und seriösem Journalismus gibt es sogar einen Namen: bouliöser Journalismus. Womit wir beim Spiegel wären und seiner aktuellen Berichterstattung über den Springer-Verlag.

Der Tenor gegen Springer war gesetzt

Bekanntermaßen hat Springer jüngst das Arbeitsverhältnis mit Bild-Chef Julian Reichelt beendet. Der soll, so der Vorwurf, seine Position missbraucht haben für allerlei Liebeleien am Arbeitsplatz. Und darüber in einem ersten Compliance-Verfahren im Frühjahr gelogen haben. In die vorderste Front der erhobenen Zeigefinger reihte sich damals bereits der Spiegel ein. Das Stück „Vögeln, Fördern, Feuern“ wurde in der öffentlichen Debatte zwar völlig zu Recht zerpflückt, weil es nur so triefte vor Moralisierungen und Unterstellungen. Aber der Tenor war gesetzt. Und es ist der gleiche Tenor, der sich in der aktuellen Berichterstattung wiederfindet: immer auf die Springer-Fresse.

So heißt es im Vorspann der aktuellen Spiegel-Story über Springer, die es trotz der Koalitionsverhandlungen und der Lage an der deutsch-polnischen Grenze auf den Titel geschafft hat, vielsagend: „Hinter den Kulissen verbirgt sich ein Sumpf aus Schmutz und Affären, ein kulturell in den Sechzigerjahren stecken gebliebenes Unternehmen mit einem Mann von zweifelhafter Weltsicht an der Spitze.“ Wer so schreibt, will keinen Kontext liefern, sondern Basta-Literatur. Wer so schreibt, will nicht „sagen, was ist“ – das Zitat stammt von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein und hängt sogar in der Eingangshalle des Verlags – sondern sagen, was passt. Entsprechend liest sich „Die Springer-Affäre“ dann auch.

Auch Axel Cäser Springer kommt nicht gut weg

Sieben Autoren des Spiegel geben sich auf neun Seiten, inklusive Bildern und Grafiken, größte Mühe, alles zusammenzutragen, was irgendwie anrüchig oder unmoralisch wirken könnte. Alles, wo vielleicht was kleben bleibt. Eine Whatsapp von Springer-Chef Döpfner zum Beispiel, in der dieser behauptete, Reichelt sei der „letzte und einzige Journalist“, der gegen den „neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufgebehrt“. Diese Nachricht zieht der Spiegel als Beleg heran, um Döpfner – über Dritte, die selbstredend anonym bleiben – einen „obsessiven Freiheitsglauben“ zu unterstellen. Dieser sei sogar „in eine Art Staatsfeindlichkeit“ umgeschlagen, heißt es weiter. „So erzählen es viele, die ihn gut kennen“, weiß der Spiegel. Und später dann: „Die Coronapandemie hat seinen Hang zu (...) Dystopien offenbar zur Manie werden lassen.“ Der Döpfner ist ein Irrer, soll das heißen.

Aber auch Konzerngründer Axel Cäsar Springer kommt nicht gut weg. „Das Privatleben des stramm konservativen Gründungsverlegers hätte reichlich Stoff für die eigenen Boulevardblätter“ geboten, konstatiert der Spiegel, um anschließend zu suggerieren, es bestünde ein Zusammenhang zwischen Springers erster Scheidung und der Machtergreifung der Nazis. Im Wortlaut heißt es da: „Von seiner ersten Frau, nach den Nürnberger Rassegesetzen der Nazis eine Halbjüdin, ließ er sich 1938 scheiden.“ Springer ein chauvinistischer Antisemit. Döpfner ein Wirrkopf, der eigentlich, weil ja „Staatsfeind“, ein Fall für den Verfassungsschutz wäre: Darunter macht’s der Spiegel nicht, wenn es gegen Springer geht.

Mindestens streitbar ist außerdem, dass der Spiegel in seiner Aufzählung angeblicher Verfehlungen bei Springer einen Vorwurf aufwärmt, der bereits 2017 von der Staatswanwaltschaft zu den Akten gelegt wurde. Dem langjährigen Bild-Chef Kai Diekmann hatte damals eine Mitarbeiterin vorgeworfen, sie beim Bad im See am Rande einer Bild-Party belästigt zu haben. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Laut Spiegel, weil sich „de facto nichts belegen ließ“. Bemerkenswert ist daher nicht nur, dass der Spiegel den Fall trotzdem ausbuddelt, wohl in der Hoffnung, dass schon irgendetwas hängenbleibt, das zum Narrativ passt. Bemerkenswert ist auch, dass die Autoren nicht vom Vorwurf der sexuellen Belästigung schreiben, sondern: „Kai Diekmann wurde von einer Mitarbeiterin vorgeworfen, sie im Sommer 2016 vergewaltigt zu haben.“ Eine astreine Fehlinformation, die dem Vorfall, auch unter dem Eindruck der MeToo-Debatte, eine ganz andere Dimension verleihen würde. Vorausgesetzt freilich, er wäre nicht nachweislich erfunden.

„System Spiegel“

In Zusammenhang mit der Affäre um Julian Reichelt ist häufiger von einem „System Reichelt“ die Rede, die der Ex-Bild-Chef in seiner Redaktion etabliert haben soll, samt engem Zirkel tiefloyaler junger Bild-Leute. Wenn man sich die Berichterstattung des Spiegel anschaut, ließe sich gleichwohl von einem „System Spiegel“ sprechen, jedenfalls, was den Umgang mit der ungeliebten Konkurrenz angeht. Dabei kommt nicht alles, was das Nachrichtenmagazin zur Diskreditierung des Springer-Verlags und seiner wichtigsten Protagonisten heranzieht, so offenkundig böswillig daher wie die genannten Beispiele. Vieles läuft deutlich subtiler ab.

So behauptet der Spiegel etwa, dass Bild stark an Einfluss verloren habe, „publizistisch wie wirtschaftlich“. Um das zu belegen, wird die von drei Millionen Exemplaren im Jahr 2010 auf rund eine Million Exemplare im Jahr 2021 gesunkene Auflage thematisiert. Außerdem wird angemerkt, dass das Digitalgeschäft der Bild die Verluste im Gedruckten nicht wettmachen könne – gleichzeitig aber freimütig auf den Kontext verzichtet, um diese Informationen einordnen zu können.

Wahr ist, dass die Bild in den vergangenen Jahren massiv an Auflage eingebüßt hat. Wahr ist aber auch, dass die tägliche Auflage der Bild trotzdem noch gut dreimal so hoch ist wie die der Süddeutschen Zeitung, der zweitgrößten Tageszeitung Deutschlands. Wahr ist, dass das Digitalgeschäft der Bild die Verluste im Print-Bereich derzeit nicht wettmachen kann. Wahr ist aber auch, dass jedes Medienhaus, das vom Gedruckten kommt, mit der Monetarisierung von Online-Inhalten Schwierigkeiten hat oder lange hatte.

Selbst die Behauptung, die Bild habe publizistisch an Einfluss verloren, lässt sich, anders als der Spiegel suggeriert, nicht belegen. Erstens gibt es so etwas wie ein Einflussbarometer in der Medienbranche nicht. Man müsste also erst mal definieren, woran sich publizistischer Einfluss bemessen lässt. An der Auflage? Der Reichweite? Daran, wie häufig ein Medium zitiert wird? Zweitens verzeichnete die Bild zuletzt fast 400 Millionen Visits auf bild.de. Die Bild ist damit nicht nur die größte Tageszeitung des Landes, sondern auch die größte Nachrichtenseite Deutschlands. Übrigens: 400 Millionen Visits sind doppelt so viele Visits wie der Spiegel monatlich im Digitalen verzeichnet, nämlich 200 Millionen. Wenn die Bild, wie in der Titelgeschichte des Spiegel, als „halbstark“ bezeichnet wird: Was wäre dann der Spiegel im Vergleich? Einviertelstark?

„Döpfner sammelt nackte Frauen“

Manches, was der Spiegel heranzieht, um gegen Springer zu schießen, ist derweil weder offen böswillig noch subtil, sondern lächerlich bis zur Fremdscham. „Auch Döpfner sammelt nackte Frauen, bei ihm hängen sie an der Wand, eine Kollektion von 350 Aktkunstwerken“, heißt es im Spiegel. Da wollen sieben wahrscheinlich gut bezahlte Autoren über die dunkelsten Dunkelheiten eines Konkurrenzverlags schreiben und was unter anderem dabei herumkommt, sind ganze drei Absätze darüber, dass Döpfner Kunst sammelt. Und diese sogar ausstellt, in einem Museum, das, schreibt der Spiegel, „ihm mitgehört“. Was der Spiegel wiederum nicht schreibt, ist, dass es das Museum ohne den Springer-CEO wohl gar nicht geben würde. 

Eingeleitet wird dieser kleine Ausflug in Döpfners – für die Story über den Springer-Verlag komplett irrelevante – Freude an der Kunst übrigens mit den Worten: „Wer Döpfner kennt, weiß, dass er schon immer das Extravagante pflegte und eine Tendenz zum Extremen hatte.“ Direkt danach, also nach dem kurzen Kunstkapitel, folgt noch ein Absatz darüber, dass Döpfner bei einer Weihnachtsfeier mal als Dragqueen aufgetreten ist. Eine „Lust am Tabubruch“ nennt das der Spiegel. Was das Magazin als Tabubruch oder Extravaganz deklariert – aber nicht nur das – zeugt von einer derartigen Prüderie, dass sich der aufgeklärte Leser ernsthaft fragen muss, wer diese Story eigentlich geschrieben hat: Waren das wirklich sieben Autoren aus dem progressiven Milieu? Oder doch die sieben Muslimbrüder?

Kopfschütteln, Verwunderung, Erheiterung

Kurzum: Der Spiegel hat sich in seiner aktuellen Titelgeschichte über Bild und „Die Springer-Affäre“, freundlich formuliert, ziemlich vergaloppiert. Nicht das erste Mal in jüngerer Zeit übrigens. In einem Kurzporträt über den neuen Bild-Chef Johannes Boie, das vergangene Woche online erschienen war, heißt es im Einstieg: „Schwungvoll fuhr er eines Tages mit seinem BMW vor dem Verlagshochhaus im Gewerbegebiet München-Zamdorf vor. Direkt vor den Haupteingang, wo die Chef-Parkplätze sind und auch Gäste ihr Auto abstellen dürfen.“ Boie musste anschließend umparken, erfährt man.

Es ist ein Vorfall, der keine Pointe hat, außer, man dichtet eine herbei. Auftritt Spiegel: „Dass Johannes Boie den Drang zu Höherem hatte, deutete sich schon an, als er noch Jungredakteur bei der Süddeutschen Zeitung war.“ Die Sache mit dem Parken vor der SZ-Eingangstür ist für den Spiegel also ein Beleg für Boies große Ambitionen. Dabei weiß jeder, wirklich jeder Mensch, der mal beim Süddeutschen Verlag im Münchner Osten war, dass es mit dem Parken dort furchtbar unübersichtlich ist – und sich fast täglich Autos vor den Eingang des Hochhauses verirren. Gleich vier Spiegel-Journalisten, so viele schrieben am Porträt, wussten das offenbar nicht. Hätten sie mal besser nachgefragt. Irgendwer hätte ihnen sicherlich den nötigen Kontext liefern können.

 

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