Der Flaneur - „Was heißt Pizza auf Italienisch?“

Deutschland ist nicht für seine exquisite Küche bekannt. Deshalb laden wir alle Kulturen dazu ein, hier bei uns ihre exotische Kulinarik mit uns zu teilen. Unserem Kolumnisten Stefan aus dem Siepen sind dabei einige Ungereimtheiten aufgefallen.

Nur der italienischen Küche ist es gelungen, ihre Landesfolklore hinter sich zu lassen und als international wahrgenommen zu werden
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Stefan aus dem Siepen ist Diplomat und Schriftsteller. Von ihm erschien zuletzt im Verlag zu Klampen „Wie man schlecht schreibt. Die Kunst des stilistischen Missgriffs“. (Foto: © Susanne Schleyer / autorenarchiv.de)

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Letztens ging ich, etwas unbedacht, in ein bayerisches Restaurant in Berlin. Der Oberkellner begrüßte mich mit einem herzlichen „Grüß Gott“, anderen Gästen, die gerade hinausgingen, warf er ein kerniges „Servus“ nach. Natürlich gehörte es zu seinen Aufgaben, in regelmäßigen Abständen bayerische Lautsignale von sich zu geben, er fungierte als Dekorationselement wie die weiß-blauen Tischdecken und die Bilder der Frauenkirche mit fernen Alpengipfeln. Ein paar Tage später war ich in München und aß in der Pfälzer Weinstube am Odeonsplatz zu Mittag. Eine Kellnerin osteuropäischer Herkunft bediente mich, die einen slawischen Akzent hatte und ganz unbayerisch leise sprach. Dies tat der Atmosphäre keinen Abbruch, die Brezel auf dem Tisch und all das Übrige machten es spielend wett, und es wirkte sogar echter.

Wir wissen: Das Essen soll ein Erlebnis sein. Wer in ein chinesisches Restaurant geht, erwartet rot glühende Lampions und Bilder feuerspeiender Drachen, um des Spaßes willen. Zwar sieht China heute eigentlich anders aus, doch die Restaurants bewahren das alte Bild wie ein Völkerkundemuseum. Das Vorgetäuschte, Attrappenhafte erstreckt sich auch auf die Hauptsache: Es werden weder Hahnenkämme noch Hühnerklauen serviert, man setzt auf die europagängigen Delikatessen wie Frühlingsrolle und Dumplings. So will es die glocalization: Was weltweit erfolgreich sein soll, muss sich den Regionen anpassen. Die Gäste durchschauen auch dies, und sie können es genießen: Nichts schmeckt so authentisch wie das Unechte.

Die behaglichste Variante der Multikulturalität

Allein der italienischen Küche ist es gelungen, sich von ihren traditionellen Kulissen zu befreien. „Der gute Italiener“ kommt ohne rot karierte Tischdecken und Korbflaschen an den Wänden aus. Wo noch „O sole mio“ erklingt, ist Vorsicht geboten. Die Pizza ist so internationalisiert, dass ihre Herkunft allmählich in Vergessenheit gerät. Ein italienischer Gastprofessor in den USA wurde gefragt: „Was heißt Pizza auf Italienisch?“

Bekanntlich ist Essen die kulturelle Hauptbeschäftigung der Deutschen. Lediglich über Geld und Computerspiele wird noch häufiger und vergnügter gesprochen. Jeder kennt sich in mindestens fünf Kochkulturen aus – und die sechste wird er bald in einer Fernseh-­Kochshow kennenlernen. Wer sich langweilt, probiert nicht ein neues Gericht, sondern eine neue Landesküche aus. Die tägliche Schnellkost, die überall und jederzeit verzehrt wird, ist zu 100 Prozent international: Pommes, Döner, Kebab, Wrap, Pasta, Viet, Pizza, Tortilla, Donut, Burger, Bowl. In jeder Stadt muss es eine große Auswahl internationaler Restaurants geben – das ist die kulturelle Infrastruktur, auf die der Bundesbürger einen Anspruch hat. Ein Opernhaus oder ein Kunstmuseum mögen fehlen, doch ein Japaner und ein Kroate gehören dazu. 

Ausländische Lokale sind die behaglichste Variante der Multikulturalität. Wer im libanesischen Restaurant ein Falafel verspeist und dem Kellner zulächelt, leistet ohne Mühe einen wertvollen Beitrag zur Integration. Sogar ein finsterer Ausländerverächter kann, ohne sich untreu zu werden, in der Taverne Mykonos einen Hirtenteller essen: „Wenn der Grieche schon da ist, soll er uns wenigstens etwas kochen!“ Der Progressiv-Tolerante, dem es insgeheim Unbehagen bereitet, dass die Araber ihren vormodernen Ehrbegriff weiterpflegen, dass die Ostasiaten ihre hierarchische Familienordnung nicht lockern, dass die Latinos treu zu ihrem Katholizismus stehen – bemerkt in ihren Restaurants schier nichts davon. Alles ist so, wie es ihm gefällt. Und beim weiß-blauen Haxn-Wirt kann er sogar darüber schmunzeln, dass die Kellnerin zum Tragen eines Dirndls gezwungen wird.

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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