Der Flaneur - Elefanten in der Stadt

Die Natur dringt immer stärker in unseren Alltag hinein. Eine Entwicklung, auf die Jack-Wolfskin-Deutschland jedoch gut vorbereitet ist, findet der Flaneur.

Des Autors liebste Stadttiere leben im Jardin du Luxembourg in Paris / dpa
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Autoreninfo

Stefan aus dem Siepen ist Diplomat und Schriftsteller. Von ihm erschien zuletzt im Verlag zu Klampen „Wie man schlecht schreibt. Die Kunst des stilistischen Missgriffs“. (Foto: © Susanne Schleyer / autorenarchiv.de)

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Wenn ich aus dem Fenster meines Dienstzimmers im Auswärtigen Amt (AA) schaue, sehe ich manchmal einen Fuchs auf der Straße vorbeilaufen. Er scheint aus einem grimmschen Märchen entsprungen, eine poetische Erscheinung – sekundenlang betrachte ich ihn wie ein kleines Wunder. Dann verwandelt er sich in einen Stadtbewohner, der sich so lässig und ortskundig bewegt, als hätte er nie woanders als in Berlin-Mitte gelebt. Im Gesicht hat er jenen Ausdruck der Listigkeit, den wir von ihm erwarten und den man auch als berlinerisch-cool bezeichnen könnte. 

Als ich letztens mit dem Fahrrad durch Zehlendorf fuhr, drang plötzlich aus einem Gebüsch neben der Straße ein Wildschwein hervor. Es schien keine unfreundliche Absicht zu haben, sondern begnügte sich, auf dem Radweg neben mir herzulaufen, in leichtem Trab, genügend Abstand zu mir haltend, seinen eigenen Wildschwein-Gedanken hingegeben. Immerhin stieß es zischende, pruschende Laute aus, deren Bedeutung sich mir nicht erschloss; und als es bald wieder im Gebüsch verschwand, hatte ich nichts dagegen.

Märchen und Wirklichkeit verschwimmen

Da und dort in der Stadt tauchen schon Warnschilder auf – ein weißes Dreieck mit rotem Rand, darin ein Wildschwein. Das ist wie eine amtliche Begrüßung: Die StVO erklärt das Tier zum Verkehrsteilnehmer, wenn auch zu einem wenig disziplinierten; damit ist es in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

 

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Alle reden von der Aufhebung der Grenze zwischen Stadt und Natur. Der Mensch nimmt den Tieren ihren natürlichen Lebensraum, also sind sie gezwungen, in den menschlichen, den unnatürlichen vorzurücken. Wir haben die Natur zersiedelt, im Gegenzug bemächtigt sich die Natur unserer Siedlungen. Eine paradoxe Renaturierung findet statt: In den Nischen des Großstadtdschungels ist die Artenvielfalt oft schon größer als auf dem Land … Ja, gewiss. Aber zugleich wird noch eine andere Grenze durchlässig: die zwischen Märchen und Wirklichkeit. Und da ich postromantisch veranlagt bin, kann ich mich daran freuen – sogar an meinem Schreibtisch im AA.

Die letzten Enklaven

Die Bundesbürger sind auf den Übertritt der Natur in die Stadt gut vorbereitet. Nicht nur in Berlin, und nicht nur in der kalten Jahreszeit, tragen sie eine Art Wander- und Geländekleidung: reißfeste Windjacken, dickbesohltes Schuhwerk, geräumige Rucksäcke. Jack Wolfskin wirbt für seine „Outdoor-Kleidung“ mit Bildern von Gebirgs- und Seenlandschaften; getragen werden die Stücke allerdings in Pirmasens und Castrop-Rauxel. „Outdoor“ scheint nicht „draußen“ zu bedeuten, sondern „in der Wildnis“. Auch die vielen Geländewagen passen natürlich dazu, der Deutschen bevorzugtes Fortbewegungsmittel, mit dem sie überall unterwegs sind, außer in Wald und Feld. Fuchs und Wildschwein ändern das nun; wenn der Range Rover nicht zur Natur kommt, kommt die Natur zum Range Rover.

Meine liebsten Stadttiere leben in Paris, im Jardin du Luxembourg. Dort dreht sich unter den Kastanien, heute wie vor hundert Jahren, ein malerisches Karussell mit Lamas, Zebras und ähnlichem Getier. Ein altmodisches Chanson dringt aus einem Lautsprecher, und auch der weiße Elefant, den Rilke einst besang (und den sehr gebildete Franzosen aus Übersetzungen kennen: „de temps à autre un éléphant blanc“), dreht sich mit. Die Kinder, die auf ihm reiten, haben „heiße Backen“ (so durfte man früher sagen) und scheinen ihre Computerspiele zu vergessen. Die Eltern stehen daneben (in ihrer Jack-Wolfskin-Kluft) und freuen sich, dass es noch ein paar Enklaven des heilen Lebens gibt, sich gewisse Märchen in der Wirklichkeit erhalten.

 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie demnächst am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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