Correctiv-Recherche - Das gewichtige F-Wort

Nachdem der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau eine einstweilige Verfügung gegen Correctiv beantragt hat, zieht die Rechercheplattform nun mit acht eigenen eidesstattlichen Versicherungen nach. Zudem übt man sich in einer pathetischen Geste.

Logo der Recherche-Website Correctiv auf einer Demo im Jahr 2015 / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Alles erinnert an eine schummrige Pokerrunde: Die Karten sind gegeben, nun geht es um den Einsatz: Im Fall des viel diskutierten Artikels „Geheimplan gegen Deutschland“ aus der Feder des Essener Recherchezentrums Correctiv, in dem namhaften Mitgliedern der AfD sowie der CDU und der Werteunion nachgesagt wird, sie hätten in einem Hotel nahe Potsdam zusammen mit bekannten Neonazis die „Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland“ geplant, werden nach und nach die Spielchips auf den Tisch gelegt. 

Den Auftakt machten am 9. Februar bereits sieben der laut Correctiv-Recherche gut 20 einstigen Teilnehmer jener nebulösen Zusammenkunft, die, obwohl gerade einmal drei Monate her, vermutlich jetzt schon Zeitgeschichte geschrieben hat. In einer Anlage zu einem Antrag auf einstweilige Verfügung gegen Correctiv, die der bei der Versammlung anwesende Staatsrechtler Ulrich Vosgerau beim Landgericht Hamburg eingereicht hatte, erklären die sieben, dass auf dem Treffen, anders als von Correctiv suggeriert, nicht die Vertreibung von deutschen Staatsbürgern nach ethnischen und rassistischen Kriterien geplant worden sei: „Auf dem besagten Treffen in Potsdam am 25.11.2023 wurde weder über eine Ausweisung von Staatsbürgern mit deutschem Pass gesprochen oder gar diese geplant, noch wurde besprochen, Menschen anhand rassistischer Kriterien, wie Hautfarbe oder Herkunft, auszuwählen und aus Deutschland auszuweisen.“

Große Worte

Nun, zehn Tage später, zieht Correctiv nach und garantiert seinerseits mit acht Versicherungen an Eides Statt die Richtigkeit der eigenen Recherche. „Unsere Redaktion steht entschlossen hinter der Veröffentlichung und tritt einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung des Teilnehmers Ulrich Vosgerau entschieden entgegen“, heißt es hierzu auf der Homepage der gemeinnützigen Gesellschaft, die von privaten wie auch von öffentlichen Spenden lebt. Bei den Unterzeichnern der Versicherung, die zusammen mit einer Klageerwiderung am Hamburger Landgericht einging, soll es sich um sieben Mitglieder der Redaktion sowie um Correctiv-Gründer David Schraven handeln. 

Letzterer legt in einer öffentlichen Stellungnahme sogar, um hier beim eingangs erwähnten Bild des Pokerns zu bleiben, ein paar Spielmarken nach: „Wir garantieren die Richtigkeit unserer Recherche mit unserer persönlichen Freiheit und dem Medienhaus Correctiv als Sicherheit“, so Schraven am gestrigen Dienstag in einem Text „In eigener Sache“, der zumindest in dieser Passage eher an den sich zeitgleich ereigneten Vortrag Julian Assanges vor dem Londoner High Court erinnerte, als dass er der zunächst recht nüchternen Formalie angemessen gewesen wäre. Das gewichtiges F-Wort, es schlackerte jedenfalls ein wenig, als wäre es Mode für Übergrößen.

Keine Nachweismöglichkeiten

Sieben also gegen acht. Bliebe die Frage, wer überrissen hat. Wären wir tatsächlich beim Poker, wäre die ganze Angelegenheit wohl schnell vom – oder eben auf dem – Tisch: Showdown! Die Spieler deckten ihre Karten auf, und der Wert der Hände bestimmte den Sieger. Was beim Spiel so einfach klingt, ist vor Gericht indes schon wesentlich heikler. Zwar wird das Landgericht Hamburg am Ende zu einem Urteil kommen, doch wird dieses gewiss losgelöst von der Summe der eidesstattlichen Versicherungen ausfallen. Und noch wichtiger: Auch das Gericht wird vermutlich nicht abschließend klären können, was sich nun wirklich am 25. November des letzten Jahres im geheimnisumwitterten Landhaus Adlon am Lehnitzsee ereignet hat. Was übrigens schon allein daran liegen dürfte, dass Justitia in diesem besonders heiklen Fall nicht nur blind, sondern, wie unten noch zu sehen sein wird, obendrein auch noch taub ist.  

 

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David Schraven jedenfalls wird sich weder um seine Freiheit noch um die Zukunft seines Recherchezentrums Sorgen machen müssen. Und gleiches gilt für die Klägerseite. Zwar sieht §156 StGB bei falscher Versicherung an Eides Statt tatsächlich eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor, doch wird sich die Falschheit einer der Aussagen in diesem Fall vermutlich nicht eindeutig nachweisen lassen. Zumindest nicht vor Gericht. Denn während Correctiv zu Recht auf den Quellenschutz verweist („Über unsere Quellen können wir keine Auskunft geben, denn Quellenschutz ist ein elementarer und oft geübter Grundsatz im Investigativjournalismus, um diese nicht in Gefahr zu bringen“), fallen andere Nachweismöglichkeiten von vornherein aus.

Die Summe der Kleinigkeiten

Erst am vergangenen Donnerstag nämlich hatte die stellvertretende Chefredakteurin von Correctiv, die ehemalige Welt-Journalistin Anette Dowideit, ein weiteres Mal klargestellt, dass es keinerlei Tonaufnahmen im Zusammenhang mit der Recherche zu der Potsdamer Treffen gebe. Anlass für die abermalige Hervorhebung war ein Bericht der amerikanischen Nachrichtenplattform Semafor. Dort hatte man nach einem Gespräch mit Correctiv-Gründer David Schraven zunächst geschrieben, dass ein Reporter mit seiner Apple Watch Ton, Video und Fotos aufgenommen habe. Angeblich ein sprachliches Missverständnis, wie es später von Correctiv, aber auch von Semafor hieß.

So bleiben am Ende zunächst nur ein paar kleine sprachliche Nuancen. So schreibt Correctiv in seiner gestrigen Meldung „In eigener Sache“, dass der Kläger Ulrich Vosgerau lediglich einzelne Passagen der Correctiv-Veröffentlichung angreife, dass es sich hierbei aber nur um Nebensächlichkeiten handle, die den Kern des Rechercheergebnisses nicht berührten. Möglich, dass Correctiv hier recht hat. Doch nachdem man zuvor auch schon mit dem zentralen und für den Correctiv-Verlag jüngst noch werbewirksamen Begriff „Deportation“ geschludert hat, muss man sich allmählich fragen, was vom Kern dieser Recherche denn eigentlich noch übrig ist. Jeder, der schon einmal ein Pokerface zu lesen versucht hat, weiß: Es ist die Summe der kleinen Nuancen, die am Ende eine große Sache machen.

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