Buchvorstellung „Future War“ - Ein wichtiges, pessimistisches Buch im Zeichen des Ukraine-Kriegs

Mit „Future War“ wollten der US-General a.D. John R. Allen, der US-Generalleutnant a.D. Frederick Ben Hodges und Julian Lindley-French, Berater, Stratege und Professor für Verteidigungsstrategie, einen Weckruf zur Bedrohung und Verteidigung Europas vorlegen. Kurz nach dem offiziellen Erscheinungstermin startete Wladimir Putin seinen Angriff auf die Ukraine – und eine neue Wehrhaftigkeit Europas und der Nato scheint dringender denn je.

Niederländische Soldaten in Litauen / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Es gibt Bücher, die liest man mit Freude, und es gibt Bücher, deren Lektüre keine Freude macht, aber genau deshalb so wichtig ist. „Future War“ gehört zweifelsfrei zur zweiten Kategorie. Diese Woche wurde es in den Räumen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin vorgestellt. „Future War“, das vorweg, ist ein Buch, das hart ins Gericht geht mit der Europäischen Union und mit der Wehrhaftigkeit Europas, die sich – viel zitiert, aber deshalb nicht minder richtig – mit „bedingt abwehrbereit“ umschreiben lässt. Und das ist noch milde ausgedrückt.

Zu Gast waren bei der Vorstellung in Berlin zwei der drei Autoren: der US-Generalleutnant a.D. Frederick Ben Hodges und Julian Lindley-French, unter anderem Berater, Stratege und Professor für Verteidigungsstrategie, der per Video zugeschaltet war. Außerdem Klaus Dieter Naumann, deutscher General a.D. des Heeres und dereinst 10. Generalinspekteur der Bundeswehr, der ein längeres Vorwort für die deutsche Übersetzung verfasst hat, sowie der ehemalige Innen- und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), der einleitend einige Worte zu „Future War“ sagte. Der dritte Autor, US-General a.D. John R. Allen, war verhindert. 

Die Niederlage Europas

Ihr Buch, ihre Vorschläge, das betonen die Autoren in der Einleitung, basieren auf gemeinsam rund 100 Jahren Berufserfahrung in Sachen Militärstrategie und Sicherheitspolitik. „Future War“ sei ein „pessimistisches Buch“, sagte wiederum de Maizière mehrfach während seiner Rede, und damit hat er sicherlich recht. Denn in „Future War“ zeichnen die Autoren einen düsteren Status quo der europäischen Abwehrbereitschaft, um nicht zu sagen einen – Stand heute – hoffnungslosen, was sich schon am Einstiegsszenario ablesen lässt, das den vielsagenden Titel „Die Niederlage Europas“ trägt und Ende dieses Jahrzehnts spielt.
 

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In dem darin beschriebenen Hyperkrieg erläutern die Autoren in einer Mischung aus Roman und Protokoll anhand eines Worst-Case-Szenarios eine moderne Art der kriegerischen Auseinandersetzung, die „5D-D-Kriegführung“, die sich durch Desinformation, Deception (Täuschung), Disruption, Destabilisierung, verstärkt durch Zwang, Destruction, die partielle Zerstörung, und durch Disease, absichtlich herbeigeführten Krankheiten auszeichnet. Durch vielerlei Perspektiv- und Schauplatzwechsel – mal entlang des fiktiven US-Soldaten Jim erzählt, mal aus der Vogelperspektive – entsteht ein realistisch anmutender Blick in die Zukunft, nach dem Motto „Wenn ihr nicht ..., dann …“.

Im Worst-Case-Szenario jedenfalls verliert Europa einen Krieg um Osteuropa gegen Russland, weil die Russen klug vorgehen und dabei etwa schlagkräftige Beihilfe der Chinesen erhalten. Und beide gemeinsam die Schwächen des westlichen Verteidigungsbündnisses unter anderem durch strategische Angriffe, gezielte Propaganda, Flüchtlingsströme im Süden und eines im Labor gezüchteten Virus – namens Covid-29 – ausnutzen. Hinzu kommt Kriegsgerät, mit dem die Russen den europäischen Armeen einen Schritt voraus sind. Über Wasser, auf dem Land und aus der Luft.

Der Krieg der Zukunft

Anlass für „Future War“ war die Covid-19-Pandemie, die wie wenige andere Krisen der vergangenen Jahre zentrale Schwächen des Westens offenbarte. Als Weckruf gedacht, kam der Weckruf Ende Februar 2022 gleichwohl woanders her: aus der Ukraine, im Zuge des russischen Überfalls auf das Land. Im Buch wird einerseits zurückgeblickt auf die Entstehungsgeschichte der Nato und der Europäischen Union. Andererseits herausgearbeitet, welche Motive etwa die Russen haben und warum all das zu einer riskanten Gemengelage führt, wenn Europa nicht wieder lernt, wehrfähig zu sein und sich dabei nicht auf die Amerikaner zu verlassen. 

Quelle: Langenmüller

„Future War“ ist dabei, abseits der Szenarien, in zwei Teile gegliedert. Der eine Teil widmet sich der Auswirkungen der Corona-Krise auf die europäische Verteidigung. Der andere Teil befasst sich mit Herausforderungen und Lösungen respektive Lösungsansätzen beim Aufbau einer europäischen Verteidigung für die Kriege von morgen, denn: „Der Krieg der Zukunft wird ein Hyperkrieg sein: ein Krieg, in dem Strategie, Technologie und Zerstörung eine solche Geschwindigkeit annehmen, dass die Folgen noch schlimmer sein werden als im Zweiten Weltkrieg“, wie unter anderem zu lesen ist. 

Oder auch: „Heute scheinen Amerikaner und Europäer verwirrt oder zerstritten zu sein, wenn es um die Ziele, Wege und Mittel der europäischen Verteidigung geht. In einer immer gefährlicheren Welt, in der Europa erneut zum Schauplatz von Konflikten und Instabilität wird, muss diese Verwirrung ein schnelles Ende finden.“ Denn, auch das ist ein Satz, der sich beim Leser einprägt: „Es ist sogar denkbar, dass ein Staat eines Tages zerstört wird, ohne dass ein Schuss fällt.“ Weil dem so sei, fordern die Autoren unter anderem, dass Europa, dass die Nato „mit Maßnahmen im gesamten Spektrum künftiger militärischer Zwangsausübung“ drohen können muss – inklusive atomarer Abschreckung.

Deutschland hadert mit Führungsverantwortung

Um künftig wehrhaft zu sein, muss Europa – den Autoren folgend – aber nicht nur materiell aufrüsten, sondern auch innere Konflikte lösen, die etwa dadurch entstehen, dass die Bedrohungslagen innerhalb Europas aus Sicht der einzelnen Länder unterschiedliche sind. Während die osteuropäischen Mitgliedstaaten – und der Überfall Russlands hat das jüngst eindrücklich gezeigt – vor allem russische Machtfantasien um eine Art Sowjetunion 2.0 fürchten, ist die Lage im Süden eine andere. Dort werden der salafistische Dschihadismus und die, wie es im Buch heißt, „endemische Instabilität schwacher Staaten im Nahen und Mittleren Osten, in Nordafrika und in der Sahelzone“ als die zentrale Bedrohung gesehen. 

Hier müsste, finden Hodges, Allen und Lindley-French, vor allem Deutschland als „Großmacht“ in der Europäischen Union eine entscheidende Rolle spielen. Gleichwohl sehen die Autoren die Bundesrepublik derzeit nicht dazu in der Lage. „Deutschland ist die europäische ,Großmacht', die am stärksten mit der Führungsverantwortung hadert, die ihre wirtschaftliche Macht verlangt, und die zugleich am häufigsten Führung mit kurzfristiger politischer Kontrolle verwechselt“, lautet ein Fazit. Ein anderes: „Eine ernsthafte und kritische interne Debatte über seine strategische Rolle in der Welt des 21. Jahrhunderts hat es bisher vermieden.“

Ein wichtiges, ein aufrüttelndes Buch

Und hier schließt sich wieder der Kreis zum Überfall Russlands auf die Ukraine. Zu lange, sagen Kritiker wie erwähnter General a.D. Naumann, habe Deutschland nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine gezögert. Gleichzeitig scheint die Politik zu lange zu viel Augenmerk darauf gelegt zu haben, die Bundeswehr irgendwie im Sinne des Zeitgeistes zu transformieren, mit weniger Waffen und weniger Soldaten, dafür mit schwerem Gerät, das auch von Schwangeren bedient werden kann. Währenddessen fehlt es heute sogar an langen Unterhosen für die Front – und während Deutschland Ende der Neunziger noch 14 Divisionen des Heeres hatte, hofft das Heer heute, dass bis 2032 wieder drei Divisionen verfügbar werden. 

Das meiste von dem, was die Autoren über die Wehrhaftigkeit Europas und Deutschlands schreiben, ist nicht unbedingt neu, teilweise geprägt von einem etwas eindimensionalen atlantischen Blick, weil ob der rechtlichen Grundlage nicht jede „Lektion“ – wie die Autoren ihre Lösungsansätze nennen – umgesetzt werden könnte. Aber es bleibt ein wichtiges, weil aufrüttelndes Buch, das durch den Ukraine-Krieg nochmal an Bedeutung gewonnen hat. Oder wie es General a.D. Naumann in seinem Vorwort formuliert: „Ich wünsche dem Buch Erfolg und hoffe, dass die Autoren sehr bald, auf jeden Fall vor einer deutschen Entscheidung zur künftigen Nato-Strategie, von den Ausschüssen des 2021 neu gewählten Bundestages zu einer Anhörung eingeladen werden.“ Die Ampel-Regierung täte gut daran, dem zu folgen. 

Julian Lindley-French, John R. Allen, Frederick Ben Hodges: „Future War - Die Bedrohung und Verteidigung Europas“, Übersetzung: Bettina Westring, LangenMüller, 416 S., 34 €

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