Brüggemanns Bayreuth-Tagebuch Teil V - Siegfreak und der Kampf gegen den Meister

Der Musikjournalist Axel Brüggemann dokumentiert für Cicero seine Eindrücke der Wagner-Festspiele. Die „Ring“-Inszenierung von Valentin Schwarz bleibt auch im „Siegfried“ in inzestuösen Verwandtschaftskonstruktionen und Fragen, die niemand gestellt hat, stecken. Lichtblick: der Tenor Andreas Schager, dessen Siegfried den Dirigenten Cornelius Meister ins Schwitzen brachte.

Illustration: Dominik Herrmann
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Autoreninfo

Axel Brüggemann ist Musikjournalist und lebt in Bremen. Zuletzt erschien der von ihm herausgegebene Band „Wie Krach zur Musik wird“ (Beltz&Gelberg-Verlag)

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Gegen diesen Abend ist ein Rugby-Spiel so lächerlich wie ein Kinderhort. Spätestens, wenn Andreas Schager auf die Bühne kommt, ist Schluss mit Lustig. Sein Siegfried hatte nur einen Gegner. Nicht Ziehvater Mime, nicht Weltengott Wotan, nicht den Drachen. Dieser Siegfried kämpfte vor allen Dingen gegen den Dirigenten. In den letzten „Ring“-Teilen war es immer wieder vorgekommen, dass Cornelius Meister so langsam dirigierte, dass die Rheintöchter kurz vor dem Absaufen waren, dass der jungen Wotan-Einspringer Michael Kupfer-Radecky beim „Feuerzauber“ Schwierigkeiten bekam, dass selbst Bayreuth-Recke Klaus Florian Vogt an sehr ungewöhnlichen Stellen nach Luft schnappen musste. Bei Andreas Schager ist das nun anders: Er singt einfach, wie ihm die volle Stimme gewachsen ist, ohne Rücksicht auf Verluste.

Man muss wissen, dass bei diesem Tenor die Grenzen zwischen dem Naturburschen Siegfried und dem wahren Ich verschwimmen. In der Corona-Pandemie sang Schager vor einer Kerze, die nicht erlosch, um zu beweisen, dass er keine Aerosole verbreite, und eines seiner nächste Konzerte soll tatsächlich in Russland stattfinden, am 14. November in der Großen Halle des Moskauer Konservatoriums, gemeinsam mit dem von der VTB-Bank gesponserten Putin-Orchester MusicAeterna und Teodor Currentzis. Das ist nicht nur geschmacklos, sondern auch dumm. Aber darum kümmern wir uns ein anderes Mal. Denn vielleicht ist derartige Naivität auch Grundlage für Abende wie diesen: Schager hat Cornelius Meisters fein gedrechselten und gedehnten Tempi einfach das Mittel-Stimmband gezeigt, den Forte-Turbo angeschaltet und die Gretchenfrage in den Raum gestellt: „Mein Tempo oder deines?“ Nach einigem Klappern hat Meister dann nachgegeben. Jedenfalls, wenn Siegfried sang. Und das hat der musikalischen Dynamik durchaus gut getan, wenn auch nicht immer der akustischen Koordination. Auf jeden Fall war es ein Spektakel.

Den Mythos zur Miniatur geschrumpft

Sonst mäanderte die Inszenierung von Valentin Schwarz weiter in neuen inzestuösen Verwandtschaftskonstruktionen dahin und in Fragen, die bislang wohl auch deshalb niemand gestellt hat, weil sie einfach keine Erkenntnis bringen. Im ersten Aufzug feiert Mime (etwas im Freistil operierend: Arnold Bezuyen) Siegfrieds Kindergeburtstag im Zuber-Kostüm, das Schwert Nothung ist wahlweise a) eine Krücke, b) ein Schwert, c) eine Pistole. Der Lindwurm Fafner ist ein Bauunternehmer im Todesstadium, dem Siegfried die Krücken weghaut, um seinen adoleszenten Pfleger Hagen (er ist in dieser Inszenierung ja der „Ring“) mitzunehmen. Letztlich sind wir auf Brünnhildes dunklem Pyramiden-Feuerfelsen, auf dem sie von ihrem Leibwächter, der Vermenschlichung ihres Pferdes Grane, beschützt wird.

 

Axel Brüggemanns „Bericht aus Bayreuth“:

 

Cornelius Meister versucht an dieser Stelle noch einmal Tempo rauszunehmen (was nun auch die sonst sinnlich agierende Brünnhilde von Daniela Köhler ins Schwitzen bringt), aber dann kommt schon wieder Andreas Schager alias Siegfried, samt Playboy-Center-Girl, Schwert und der Lust auf mehr Tempo. Während er Brünnhilde anbaggert, lässt er seinen neuen „Ring“-Kumpel Hagen links liegen. Der wird dann wohl in der Götterdämmerung seinen Rachefeldzug antreten. In einer etwas statischen und ideenlosen Schlussszene lernen wir dann, dass Brünnhilde und Siegfried in Hass vereint sind, bevor sie wie Bonnie und Clyde in einem vorfahrenden Auto verschwinden.

Als eigentliches Problem des Regisseurs Valentin Schwarz kristallisiert sich sein Realismus heraus. Er will den Gedankensträngen folgen und schrumpft den Mythos dadurch zur Miniatur, in der aber auch keine Stringenz mehr zu entdecken ist. Das groß Gedachte zerstört die große Idee. Alle Kinder sind hier Opfer ihrer Eltern, in Mimes Hütte findet eine Familienaufstellung mit Puppen statt, Brünnhilde, Siegfried und Hagen sind von ihren Eltern und von Wotan zu Seelenkrüppeln gemacht worden, die nichts anderes als die Apokalypse ersehnen. Ach, wie gut täte dieser Inszenierung ein Castorf-Krokodil, das auch mal über sich selber lachen kann. 

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