Benin-Bronzen - Welterbe jenseits aller Grenzen

Objekte im Museum ändern ihre Bedeutung, lassen neue Ansprüche entstehen. Das gilt auch für die Benin-Bronzen, die Nigeria einem Fürstenhaus übertragen will.

Wie sollte die Rückgabe geraubter Kunst organisiert werden? / dpa
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Nikolaus Bernau ist ein deutscher Kunstwissenschaftler, Architekturkritiker, Journalist und Sachbuchautor.

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Die Aufregung in der internationalen Museumsszene und der bundesdeutschen Kulturpolitik ist groß: Hat Nigeria die Vereinbarung mit der Bundesrepublik über den künftigen Ausstellungsort „der“ Benin-Bronzen gebrochen, weil Staatspräsident Muhammadu Buhari Ende März ankündigte, sie an Ewuare II., den Königsgleichen Oba von Benin, zu übergeben? Steht der Prozess, mit dem möglicherweise Millionen von Objekten aus europäischen und nordamerikanischen Museen und Sammlungen nach Afrika, Asien, Ozeanien, Nord- und Südamerika zurückgegeben werden könnten, vor dem Scheitern – noch bevor er richtig begonnen hat? Waren die Benin-Bronzen überhaupt geeignet, um diese Restitution angemessen zu be- und verhandeln? 

Bis ins 13. Jahrhundert geht die Tradition in Benin zurück, Könige, Adel und Priesterschaft, aber auch Tiere und Fremde etwa aus Europa in Büsten, Reliefs oder Schmuckgegenständen aus Metall und Terrakotta darzustellen. Zu dieser Hofkunst gehörten auch prachtvoll geschnitzte Elfenbeine, kostbare Masken und Stoffe, Arbeiten aus Korallen und edlen Hölzern. Seit dem 17. Jahrhundert waren sie hoch bewunderte Bestände in europäischen Kunstkammern, gelangten dorthin aus dem Handel mit Portugiesen, Niederländern und Engländern. Diese hatten die Westküste Afrikas im 16. Jahrhundert als Teil des berüchtigten „Black Atlantic“ erschlossen: Versklavte Menschen und Rohstoffe wurden aus Afrika nach Süd-, Mittel- und später Nordamerika verbracht; Landwirtschaftsprodukte wie Zucker, Baumwolle oder Indigo von dort in die Handwerks- und Industriebetriebe Europas importiert; deren Erzeugnisse wiederum wurden als Bezahlung für Menschen und Rohstoffe nach Afrika geliefert.

Kulturplünderungen sind seit 1648 verboten

Das Königreich Benin – nicht zu verwechseln mit dem heutigen Staat Benin – spielte dabei über Jahrhunderte eine zentrale Rolle. Hier wurden Millionen von Menschen gefangen und an die Europäer verkauft, hier wurden die europäischen Produkte nach Innerafrika weitergegeben. Den Niedergang seiner Macht im 19. Jahrhundert führen Historiker deswegen auch auf den sukzessiven Zusammenbruch des transatlantischen Menschenhandels seit seinem Verbot durch die USA 1807 und Großbritannien 1808 zurück.

Das dürfte auch einer der Gründe sein, warum schon vor 1897 selbst kostbare Büsten aus Benin quer durch Afrika gehandelt wurden und heute Teil des internationalen Kunstmarkts sind. Der allergrößte Teil dieser Objekte kam jedoch sicherlich erst nach der Eroberung von Benin-Stadt 1897 durch eine britische „Strafexpedition“, der Plünderung des Palasts, dem Abtransport von Tausenden Werken nach London, deren Auktionierung und Verkauf auf dem Kunstmarkt nach Europa und Nordamerika.

Es handelte sich zweifelsfrei um blanken Rechtsbruch. Schon der Westfälische Frieden 1648 delegitimierte den Raub von Kulturgut als Teil des Krieges, seit dem Wiener Kongress 1815 waren Staaten verpflichtet, ihn rückgängig zu machen. Deswegen gelangten die Haupttafeln des Genter Altars wieder aus Paris nach Gent, die Berliner Quadriga wieder auf das Brandenburger Tor, die Antiken des Papstes wieder nach Rom. Die Obas von Benin, die spätestens seit 1934 die Rückgabe der von Briten gestohlenen Objekte fordern, können sich also genauso wie die einstigen Herrscherfamilien von Dahomey oder die Regierung Chinas auf eine lange europäische Rechtstradition berufen: Plünderung von Kulturgut ist auch im Krieg widerrechtlich, Hehlerei und der Profit daraus ebenfalls.

Die erste Übergabe im Dezember 2022

Das war auch allen europäischen Museumsfachleuten seit 1898 bekannt. Sie verweigerten dennoch über Jahrzehnte jede Verhandlung: Schockierend sind die von der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy aus den Archiven gegrabenen klandestinen Absprachen zwischen den bundesdeutschen Museen noch in den 1970er-Jahren, wie man Rückgabeforderungen ins Leere laufen lassen kann. Befürchtet wurde, dass die Übergabe dieses zweifelsfreien Raubguts die Debatte darüber anheizen werde, was mit den Millionen anderen, weit überwiegend legal zu Kolonialzeiten erworbenen Objekten geschieht.

Gerade wegen dieser sturen Verweigerungshaltung aber wurden die Benin-Bronzen erst zu Symbolobjekten. Noch 2007 forderte der damalige Oba von Benin anlässlich der großartigen Benin-Ausstellung in Berlin, Chicago, Paris und Wien nur die Objekte in den britischen Sammlungen zurück. Die in den anderen Museen bewahrten Bestände seien dagegen Teil eines historischen Prozesses, dessen Weiterführung ausgehandelt werden müsse. Schon damals war von einer Internationalisierung des Eigentumsbegriffs die Rede, davon, dass doch statt der umstandslosen Rückgabe viel eher Ausstellungen mit alter deutscher und europäischer Kunst etwa in Benin gezeigt werden sollten. Die Museen verweigerten lange all diese Angebote, bis der politische Druck durch Aktivisten und die Bundesregierung zu groß wurde. Sie etablierten damit selbst das Vorurteil, dass alle Bestände in den Museen Raubgut seien.

Aber erst 2021 erklärte sich Baden-­Württemberg bereit, die in seinem Besitz befindlichen Objekte aus Benin eigentumsrechtlich an Nigeria zu übertragen. Im Sommer 2022 beschlossen der Bund und vier weitere Bundesländer – Hamburg, Berlin, Sachsen und Nordrhein-Westfalen – ebenfalls die Eigentumsübertragung. Am 20. Dezember 2022 brachten Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth dann in einer viel beachteten Zeremonie 22 Kostbarkeiten stellvertretend für den Gesamtbestand in die nigerianische Hauptstadt Abuja. Es wurde gefeiert, auch weil Nigeria sich gleichzeitig bereit erklärt hatte, Hunderte von Objekten als Dauerleihgaben nach Deutschland zu geben oder dort gleich zu belassen. Doch am 23. März schrieb Muhammadu Buhari in einem Dekret, dass diese Erst-Rückgaben an den Oba von Benin gehen sollten, der „die Rechte des ursprünglichen Eigentümers ausübe“. Das gelte auch für alle künftigen Rückgaben. Von dem großen von David Adjaye entworfenen öffentlichen Museum, das in Benin entstehen soll, ist in dem Dekret dagegen keine Rede.

Es gab keine Verabredung über ein neues Museum

Der betont konservativ auftretende Präsident sieht die Verantwortung für die Überlieferung der Geschichte und Traditionen Nigerias offenbar gerade nicht bei säkularen und republikanischen Institutionen wie Museen, Archiven oder Universitäten. Er setzt stattdessen auf die einstigen Fürstenhäuser und traditionellen Eliten, hat deswegen schon 2021 zwei aus Großbritannien an den Staat Nigeria übergebene Bronzen an den Oba von Benin weitergereicht.

Das deutsche Kulturstaatsministerium betonte dagegen am 8. Mai in einer Stellungnahme, „eine wichtige Grundlage“ für den Erfolg der Verhandlungen sei die „Zuständigkeit der National Commission for Museums and Monuments für den Restitutionsprozess“ gewesen. Eine öffentliche Institution also, nicht der Präsident und auch nicht der Oba von Benin. Bisher war auch in den veröffentlichten Darstellungen vermittelt worden, dass diese Bestände Grundstock eines neu in Benin-Stadt zu gründenden öffentlichen Museums sein sollten. Nun aber teilen sowohl die Bundesregierung als auch die Leiterin des Hamburger MARKK, des einstigen Völkerkundemuseums der Hansestadt, Barbara Plankensteiner, mit, dass es formal gar keine derartige Verabredung gegeben habe.

Plankensteiner ist Sprecherin der von Museen sowie deutschen und nigerianischen Fachleuten gebildeten Benin Dialogue Group, die seit 2010 einen Ausgleich sucht. Deswegen ist sie aber für Okpame-­Osawe Oronsay auch eine derjenigen, die illegitim das alleinige Verfügungsrecht des Oba attackieren. Das machte der seit 30 Jahren in Hessen lebende Künstler und Schriftsteller, annonciert als Prinz der Oba-Familie, in einem Interview mit der Berliner Zeitung klar.

Handwerkliche Meisterleistungen aus Afrika

Gerade dieses Interview zeigt allerdings: Für die Skepsis gegenüber einer direkten Übergabe an den Oba von Benin gibt es Gründe. So relativiert Oronsay die Rolle Benins im transatlantischen Handel mit Menschen als Teil einer angeblich universalen Geschichte der Sklaverei. Er stilisiert den Oba als denjenigen, „der weiß, was gut für uns ist“, behauptet, er sei weiterhin allein berechtigter Verfüger über „alles, was den Menschen in Benin gehört“. Das geht weit über den Sonderstatus hinaus, der vielen traditionellen Herrscherfamilien nicht nur in den Republiken Afrikas und Asiens, sondern auch Europas zugebilligt wird.

Das erklärt sich auch daraus, dass Kulturgütern aus Benin schon seit mehr als einem Jahrhundert in Europa und Nordamerika eine absolute Sonderstellung eingeräumt wird. Jahrhunderte galt das rassistische Vorurteil, das subsaharische „schwarze“ Afrika sei in „primitiver“ Geschichtslosigkeit gefangen, nur zu vergänglichen Masken, Tänzen und Musik in der Lage. Die Werke aus Benin aber zeigten durch ihre Dauerhaftigkeit, durch Schönheit und Eleganz, die handwerkliche Perfektion der Güsse und das kostbare, nur mit großem Aufwand herzustellende Material genau das Gegenteil.

Sogar der materiell unkorrekte Begriff „Bronzen“ deutet die Hochachtung gegenüber den eigentlich aus Messinglegierungen bestehenden Arbeiten aus Benin an, war Bronze doch in Europa für herausragende Arbeiten reserviert.

Vor allem aber faszinierte Ethnologen und Kunstgewerbe-Fachleute, dass diese Werke eine bis ins 9. Jahrhundert zurückreichende individuelle Fürstengeschichte dokumentieren. Deswegen zeigten etwa die Berliner Museen schon 1924 in einer der weltweit ersten modernistisch-kühlen Inszenierungen zwar Afrika an sich noch als geschichtslos, nicht aber Benin: Die Bronzen und Elfenbeine wurden dezidiert ästhetisierend präsentiert, als historisch einzuordnende „Kunst“, genauso wie europäische Skulpturen der Antike und Renaissance.

Kulturgüter für Erben von Sklavenhändlern?

Die Werke aus Benin wurden absurderweise berühmt, weil sie europäischen Vorstellungen von dem entsprachen, was wichtig ist in der Kultur. Auch deswegen wurde schon um 1900 der europäische Begriff „Kunst“ auf diese Objekte übertragen – und genau deswegen waren europäische Avantgarde-Künstler wie die deutschen Expressionisten nur sehr bedingt an der Hofkunst aus Benin interessiert: Sie galt als zu zivilisiert, zu klassisch, zu historisch.

Genau diese europäische Geschichte der aus Afrika stammenden Objekte änderte aber auch ihren kulturellen, ja, politischen Status. Es handelt sich – gerade der für Benin katastrophalen Raub- und Verlagerungsgeschichte wegen – eben nicht mehr um regional relevante Objekte, sondern um ein über allen sozialen, kulturellen, nationalen oder staatlichen Grenzen stehendes Welterbe. Die Kernfrage der Debatte ist: Liegt es im Interesse Nigerias / Afrikas, dieses Welt­erbe wieder in die absolute Verfügungsgewalt eines monarchische Macht beanspruchenden Fürstenhauses zu geben?

Die Erfahrung zeigt, mit jeder Verlagerung von Kulturgut entstehen nicht nur Lücken, es werden auch neue Identitäten, neue gesellschaftliche Interessen geboren. Die Madonna Sistina des Italieners Raffael ist in Dresden zu einem Erbe der Welt geworden. Im Fall der Benin-Bronzen monierte etwa die amerikanische Restitution Study Group bereits vor drei Jahren, dass sich das Königreich Benin niemals für seine zentrale Stellung im Handel mit versklavten Menschen bis weit ins 19. Jahrhundert entschuldigt habe. Die Bronzen seien deswegen Denkmale sowohl afrikanischer wie afroamerikanischer Geschichte, müssten auch den Nachfahren der einst verkauften Menschen zugänglich bleiben. Eine Übergabe an den Oba von Benin lehnten diese postkolonialen Aktivisten dagegen eindeutig ab: „Schwarze Menschen unterstützen Sklavenhändler-Erben nicht, nur weil sie schwarz sind.“ 

Europa muss helfen, lösen müssen andere

Und wie steht es eigentlich mit den Ansprüchen derjenigen Nigerianer, die sich nicht als traditionell begreifen, die auf einen säkularen, überreligiösen, republikanischen Staatsaufbau bestehen? Oder den Interessen der Hunderttausenden Nigerianer, die nach Europa oder Nordamerika ausgewandert sind? 

Solche neuen Ansprüche gehen bisher in den Debatten unter, die sich auf eine auch moralisch einwandfreie Bereinigung der Katastrophe des Kolonialismus konzentriert, dafür sehr auf aktuelle Staatsgewaltige und traditionelle Zuständigkeiten setzt. Während des Kolonialismus und danach neu gewachsene, nicht mehr an konservativen Traditionen orientierte moderne Interessen in Afrika und in der Welt werden dagegen oft ignoriert. Europa wird letztlich nur beitragen können, indem es seine Bestände auf Anforderung herausgibt und die Erfahrungen ihrer eigenen fatalen Geschichte von Kulturgutraub und -zerstörung anbietet. Das Problem lösen aber können nur Afrika, Asien, Ozeanien und Australien, Nord- und Südamerika.

 

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe von Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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