Ausladung wegen Dreadlocks - Fridays for Future kann auch Rassismus

Eigentlich wollte die Musikerin Ronja Maltzahn mit ihrem „BlueBird Orchestra“ am Freitag dieser Woche in Hannover im Rahmen einer „Fridays for Future“-Demo auftreten. Aber daraus wird nun nichts. Die Organisatoren haben sie vor die Tür gesetzt. Wegen ihrer Hautfarbe. 

Zu weiß für Dreadlocks? Ronja Maltzahn / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Fragt man die Amadeu Antonio Stiftung, was Rassismus sei, scheint die Antwort eindeutig. Rassismus trete immer genau dann auf, wenn „Menschen aufgrund ihres Äußeren, ihres Namens, ihrer (vermeintlichen) Kultur, Herkunft oder Religion abgewertet“ würden. Und genau das ist der Gewinnerin des „Udo Lindenberg Panikpreis für deutsche Newcomer 2021“ in dieser Woche geschehen. 

Kurz vor ihrem Auftritt erreichte Ronja Maltzahn nämlich eine Nachricht des Veranstalters „Fridays for Future“ (FFF). Zwar bedauere man sehr die kurzfristige Ausladung, aber FFF fühlten sich eben auch sehr dem „antikolonialistischen und antirassistischen Narrativ“ verpflichtet, und daher könne sie mit ihrer Band unmöglich auftreten. 

Eine „weiße Person mit Dreadlocks nicht vertretbar“ 

Als Grund werden dabei weder Hakenkreuz-Tattoos auf den Körpern der Bandmitglieder noch rassistische Sprüche angegeben, sondern letztlich die Hautfarbe der Sängerin. Die ist nämlich weiß und trägt außerdem Dreadlocks. Und damit war der Bogen überspannt. Es sei für die Veranstalter „nicht vertretbar“, wenn eine „weiße Person mit Dreadlocks“ auftritt. Das sei schließlich ein Fall „kultureller Aneignung“. „Wir hoffen, dass du dich damit auseinandersetzt“, heißt es schulmeisterlich. Einen Ausweg ließ man Ronja Maltzahn allerdings: Sie könne sich ja „bis Freitag“ dazu entschließen, die „Dreadlocks abzuschneiden“. Dann würde man sie „natürlich auf der Demo begrüßen und spielen lassen“. 

Wenig später musste Fridays for Future dann allerdings zugeben, es mit dem antirassistischen Furor etwas übertrieben zu haben, und veröffentliche eine Entschuldigung. Die galt allerdings nicht dem selbst praktizierten Rassismus, sondern richtete sich auf Modefragen: Man stehe nämlich immer noch zu der Ausladung, hätte der Musikerin aber nicht nahelegen dürfen, sich die Haare abzuschneiden: „Es war nicht okay, wie wir formuliert haben, dass durch ein Abschneiden der Haare ein Auftritt bei uns wieder möglich wäre. Dies ist ein Eingriff in die Privatsphäre der Künstlerin, der so nicht hätte passieren dürfen. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass Frauen in dieser sexistischen Gesellschaft häufig aufgrund ihres Aussehens zurechtgewiesen werden und sich nicht frei so kleiden und zeigen können, wie sie wollen, war die Nachricht grenzüberschreitend formuliert.“ Es ist ja wirklich auch verflixt, wenn Antirassismus und Feminismus miteinander um die Vorherrschaft im Guten kämpfen. 

Cultural Appropriation 

Dabei hätte, wer auf der Klaviatur der „kulturellen Aneignung“ (cultural appropriation) spielt, eigentlich wissen müssen, dass er am Ende in trüben, braunen Gewässern fischt. Zurück geht das Motiv auf das im Jahr 2005 veröffentlichte Buch „Who owns culture?“ der amerikanischen Professorin für Moderecht Susan Scafidi. Scafidi ging es übrigens gar nicht darum, eine Leerstelle im Antirassismus zu füllen. Eigentlich wollte sie ein eigentumsrechtliches Problem lösen. 

Wem gehören, so fragt sie, die in der Geschichte erschaffenen kollektiven Kulturleistungen? Und wer profitiert von ihnen? Gemeint sind dabei jene Kulturleistungen, aus denen die Unesco seit einigen Jahren ihr „immaterielles Kulturerbe“ (intangible cultural heritage) fischt. Es geht um Handwerkskünste, Kleidungsstile, kulinarische Traditionen, Tanz, Sport – und eben auch Körperkulturen wie Dreadlocks. 

Scafidis Antwort: Diese Kulturleistungen gehören jenen, die sie „authentisch“ verkörpern. Ein Indianerkostüm könne „authentisch“ eben nur von einem Indianer getragen werden und Dreadlocks nur von Schwarzen. Wer sich über diese Schwelle der „authenticity“ – das Wort fällt in Scafidis Text mehr als 100-mal – hinwegsetze, betreibe illegitime „kulturelle Aneignung“, einen rassistischen Akt. 

Die Wiedergeburt des „Volksgeistes“ von links 

Geht man einen Schritt weiter und fragt nach, wo diese Authentizität denn herkommt, wird es ziemlich unappetitlich, weil am Ende völkisch. „Authentisch“ könne jemand eine Kultur nämlich nur dann verkörpern, wenn der Träger selbst zu dieser Kulturgemeinschaft gehöre. Und über diese Zugehörigkeit entscheidet nach Scafidi die Frage, ob in dem jeweiligen Exemplar der wahre „Volksgeist“ schlummere. Das sind keine Unterstellungen, so steht es in Scafidis Buch. Wortwörtlich. Auf Deutsch. 

Der „Volksgeist“ wiederum stammt aus dem intellektuellen Arsenal der politischen Rechten des 19. und 20. Jahrhunderts. Es ist hier nicht der Ort und nicht der Anlass, dies breit zu entfalten. Nur so viel: Der Jurist Karl Larenz zum Beispiel folgte am 6. Mai 1933 einem aus dem Dienstverhältnis entfernten jüdischen Rechtsprofessor auf dessen Lehrstuhl nach und „bedankte“ sich für die Karriereaussichten wenig später mit dem Aufsatz „Volksgeist und Recht“. Darin heißt es: „Blut muss Geist, Geist muss Blut werden.“ 

Dass die Schriften Scafidis von der rechten Szene auch heute ganz richtig verstanden werden, kann man in der FAZ nachlesen. Der aktuelle Bundesvorsitzende der rechtsextremen NPD, Frank Franz, jedenfalls ist von ihnen ganz begeistert: „Die Gemeinsamkeit zwischen ihrem und meinem Denken besteht vor allem darin, dass wir beide von einem ‚Volksgeist‘, einer ‚Volksseele‘ ausgehen, von der ausgehend sich das Selbstverständnis und die kulturelle Gestalt eines Volkes erklären lassen. Sie ist sozusagen der Urquell der Identität des Volkes, sein Sinnhorizont.“ Nur wer diesen „Volksgeist“ in sich trage, könne die Kultur eines Volkes auch „wirklich verstehen, sie leben, sie angemessen weiterentwickeln, sie authentisch verkörpern“, zeigt sich Franz überzeugt. 

Stockholm-Syndrom

Und Ronja Maltzahn? Die war ziemlich irritiert darüber, wegen ihrer Hautfarbe von links diskriminiert zu werden. Sie machte nicht nur die Absage öffentlich, sondern wandte sich außerdem mit einem Video an ihre Fans. Wer allerdings glaubt, dass sie sich ob der rassistischen Diskriminierung durch „Fridays for Future“ empört zeigte, irrt gewaltig.  

In einfühlsamer Sprache rief sie stattdessen dazu auf, die Diskussion jetzt „nicht zu eskalieren“. Sie habe schon ein erstes Gespräch mit FFF geführt, und dafür sei sie „sehr dankbar“ gewesen. Und sie freue sich schon auf ein weiteres Gespräch in der nächsten Woche. Auf keinen Fall liege ihr an einer „Schlechtmachung dieser Organisation“, die ihr ja selbst am Herzen liege. Und selbstverständlich postete auch Ronja Maltzahn zustimmend den Hashtag „#culturalappropriation“ – also jener Ideologie, deren rassistisches Opfer sie selbst geworden war. Wäre sie eine Geisel und gerade entführt worden, müsste man wohl vom Stockholm-Syndrom sprechen. 

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