„Zufällig vorbeikommende Passanten“ - Gutbürger in freier Wildbahn beobachten

Die miesen Umfragewerte für die Ampel sind nur eine Seite der Medaille. Tatsächlich gibt es so viele engagierte Grüne, fleißige SPDler und Journalisten in linksgrüner Mission, dass immer ein „zufälliger Passant“ bereitsteht, wenn man einen braucht.

Mausmaki / picture alliance
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Tierfilmer müssen oft länger ausharren, um eine der selten gewordenen Tierarten vor die Linse zu bekommen, für die sie tief in den Dschungel von Madagaskar oder, sagen wir, zumindest tief in die Lüneburger Heide vordringen müssen. Von der grau gehörnten Heidschnucke bis zum Birkhuhn, vom Mausmaki bis zur Schleichkatze: Diese kreuchenden, fleuchenden, stolzierenden, kletternden und sich versteckenden kleinen bis großen Wunder der Natur lassen Tage oder gar Wochen auf sich warten. 

Da braucht man neben jeder Menge Geduld auch genügend Akkus für das Arbeitsgerät und ausreichend Fertiggerichte, die sich auf dem Campingkocher erwärmen lassen. Und der Arbeitstag endet nur selten nach acht Stunden, von denen man, im Gegensatz zum Schreibtischarbeiter, auch keine zweeieinhalb Stunden in der Kaffeeküche und eine weitere Stunde mit „Candy Crush“ auf dem Pott verbringt. 

Der epische Moment

Gutbürgerfilmer haben es da wesentlich leichter. Wird diese besondere Gattung Journalist*in losgeschickt von demokratiestablisierenden Elementen wie den Landesrundfunkanstalten der ARD, um über eine potenziell verkehrsberuhigte Zone zu berichten, wo erschreckenderweise noch Autos mit Verbrennermotor fahren, oder über eine Demonstration, auf der nichts Geringeres verteidigt wird als die Freie Welt gegen das Vierte Reich, geht es deutlich schneller. 

Aus einem einfachen Grund: Die schlechten Umfragewerte für die Ampelregierung sind nur eine Seite der Medaille. Tatsächlich gibt es so viele engagierte Grüne, fleißige SPDler und öffentlich-rechtliche Mitarbeiter in linksgrüner Mission, die sich – wie eben ausnahmslos jeder, der kein Nazi ist – für die sozialistisch-ökologische Transformation einsetzen, dass immer zufällig einer als Passant vorbeikommt. 

So war es auch am Sonntag wieder, als sich hunderttausende auf die roten Socken machten, um ein Zeichen gegen die AfD zu setzen. Schöne Bilder sind dabei entstanden. Von Drohnen zum Beispiel, die über Tausende hinwegfliegen, für Instagram unterlegt mit epischer Musik, um den epischen Moment noch epischer wirken zu lassen. Und freilich auch für die Fernsehkameras der Gutbürgerfilmer, die einmal mehr erfolgreich waren auf ihrer Mission, einen der Gutbürger in freier Wildbahn vor die Linse zu bekommen; im Fachjargon auch als Homo Linksgrünicus bekannt. 

Intransparenz als Stilmittel

Zufällig als Passantin respektive Demonstrantin vorbeigekommen ist zum Beispiel Hadija Haruna-Oelker, freie Mitarbeiterin des Hessischen Rundfunks und Teil der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“. Sie durfte in der „Hessenschau“ sagen, was sie über die Demos und die AfD denkt, ohne dass der Hessische Rundfunk die Zuschauer der „Hessenschau“ darüber informierte, dass Haruna-Oelker auch für den Hessischen Rundfunk arbeitet. In der „Hessenschau“ wurde sie nur als Autorin bezeichnet. 
 

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Es mag ein besonders krasser Fall vom Wochenende sein, der sich durchaus einsortieren lässt unter „D“ wie „Den Zuschauer für dumm verkaufen“, aber es ist bei weitem nicht der einzige, den fleißige Social-Media-Nutzer gesammelt haben, um zu illustrieren, wie das so läuft mit der Intransparenz und damit auch den journalistischen Standards im Gutbürgerfilmergeschäft. Im Folgenden eine kleine Auswahl vom Demo-Wochenende. 

Ein „Veranstalter“ in Freiburg ist SPD-Politiker, einer vom „Organisationsteam“ ist bei der Grünen Jugend, ein, so wird suggeriert, zufällig angesprochener Demonstrant sitzt im Vorstand eines SPD-Kreisverbandes, ein „Initiator“ ist bei den Grünen, einer vom „Bündnis: Kein Meter den Nazis“ auch, eine Demonstrantin des „Aktionsnetzwerks ,Leipzig nimmt Platz‘“ ist SPD-Politikerin. Und in all diesen Fällen hat es das zuständige Kamerateam, von SWR bis MDR, nicht für nötig gehalten, die jeweilige Parteimitgliedschaft transparent zu machen. 

Zwischen Klimaapokalypse und Björn Höcke

Gutbürger in freier Wildbahn zu filmen, das ist für den Gutbürgerfilmer eben nicht nur täglich Brot, nicht nur Beruf, sondern Berufung. Weil er weiß, dass er damit seinen Teil beiträgt zur Rettung der Welt, vor der Klimaapokalypse und hoffentlich mit der Summe seiner Arbeit auch vor dem Höcke‘schen Marsch auf und in den Thüringer Landtag. Da bleibt manchmal keine Zeit für mehr Transparenz in Bauchbinden. Oder dafür, zufällig vorbeikommende Passanten, die wirklich welche sind, nach ihrer Meinung zu befragen. 

Gut möglich, dass dies den linksgrünbewegten Reportern aber auch einfach zu heikel wäre mit Blick auf die derzeitigen Umfragewerte der Ampel. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass sieben von zehn wirklich zufällig vorbeikommenden Passanten auf die Bundesregierung, auf Olaf Scholz und die grüne Transformation schimpfen, ist ziemlich groß. Am Ende kommt unter Umständen noch einer auf die Idee, darauf hinzuweisen, dass die Politik der Ampel der AfD überhaupt erst den Aufwind gibt, den sie gerade hat. Oder anzumerken, dass eine Oppositionspartei, anders als von SPD-Chef Lars Klingbeil behauptet, ein Land gar nicht „kaputtmachen“ kann, weil sie politisch (noch) nichts zu entscheiden hat. Gott bewahre! 

Widdewidde wie sie mir gefällt

Also unterhält man sich in Supermärkten, in Fußgängerzonen und auf Demonstrationen gegen rechts lieber mit dem eigenen Milieu, also letztendlich mit sich selbst, was auch schon wieder einen gewissen Symbolwert hat. Es gilt das Peter-Pan-Prinzip: Man zieht sich mit den Brüdern und Schwestern im Geiste auf die Insel Nimmerland zurück, wo mit genügend Fantasie wirklich alles geht, um dann aus dem Elfenbeinturm heraus eine „schweigende Mehrheit“ oder eine „gesellschaftliche Mitte“ zu konstruieren, die weder schweigt noch Mitte oder Mehrheit ist, sondern sich gemeinsam mit Klimabewegten und Linksradikalen auf einer klaren Mission befindet.  

Der linksgrüne Zweck heiligt dabei das intransparente Mittel. Und weil dem so ist, ist der zufällig vorbeikommende Passant, der gar kein zufällig vorbeikommender Passant ist, längst zum Stilmittel für fleißige Gutbürgerfilmer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geworden. Spätestens seit 2019, als sich eine zufällig vorbeikommende Kundin, die tatsächlich Bundestagsabgeordnete der Grünen war, zum Boykott von „AfD-Hirse“ durch eine Supermarktkette äußerte. Seitdem sind zahlreiche Fälle wie diese hinzugekommen. So viele, dass man nicht mehr von Zufällen reden und schreiben kann, sondern davon reden und schreiben muss, dass derlei System hat.    

Das Selbstverständnis dahinter liest sich so: Ich mache mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt. Und wenn mich jemand darauf hinweist, dass mein Schaffen schon nah dran ist an Zuschauerverarsche und Rezipientenmanipulation, dann bleibt immer noch der Ausweg, eine rechte Kampagne heraufzubeschwören und eine halbseidene Entschuldigung ins Internet zu stellen. Und die Hoffnung, dass es beim nächsten Mal niemandem auffällt, der nicht auf Linie ist. 


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