Auf dem Weg zur Ampelregierung - Irgendwer hat immer was zu meckern

Bei Anne Will sollte am Sonntagabend eigentlich die Frage diskutiert werden, wer den von einer Regierung Scholz angekündigten rot-grün-gelben Umbruch finanzieren soll. Dazu kam es aber nicht. Stattdessen wurde viel an der Oberfläche gekratzt, und die Gastgeberin versäumte, Ordnung und Struktur in die Sendung zu bekommen. Eine Erkenntnis tat sich dennoch auf: Gerade die Grünen könnten in Erklärungsnot geraten - gegenüber den eigenen Leuten.

Anne Will mit Olaf Scholz und Robert Habeck (r.) / Screenshot
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Die sieben Themengruppen, über die Vertreter von SPD, Grünen und FPD derzeit hinter verschlossenen Türen beraten und diskutieren, heißen „Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ oder „Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in einer modernen Demokratie“. 22 Arbeitsgruppen haben die Parteien dafür gebildet, in die jeweils fünf bis sechs Fachpolitiker entsendet wurden. Am Ende soll auf Basis des jüngst veröffentlichten Sondierungspapiers eine klare gemeinsame Agenda für die kommende Legislaturperiode stehen. 

Was wahlweise nach Mammutaufgabe oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahme klingt, macht sehr gut deutlich, was der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz am Sonntagabend bei Anne Will so ausdrückte: „Wir wollen eine Regierung bilden, die den Aufbruch in Deutschland möglich macht.“ Und wer aufbrechen will, der muss auch erstmal abbrechen, und zwar Altes und Überholtes, und dafür Neues und bestenfalls Sinnvolles wie Machbares erdenken. Große Ambitionen brauchen eben viel Hirnschmalz. Deshalb auch die vielen Verhandlungspartner, die gerade an einer rot-grün-gelben Zukunft für Deutschland schrauben.

Neben SPD-Kanzlerkandidat Scholz waren bei Anne Will am Sonntagabend auch zu Gast: Robert Habeck, Co-Chef der Grünen, Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Ursula Münch, Leiterin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, und der Wirtschaftsjournalist Rainer Hank, der vor allem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt. Titel der Sendung: „Die Ampel im Aufbruch – ist Rot-Grün-Gelb finanzierbar?“

Drei auf Augenhöhe

Statt über die Frage, wer am Ende die Zeche für den rot-grün-gelben Aufbruch (man könnte auch Umbruch sagen) zahlen soll, wurde von Will erstmal nachgebohrt, ob sich die FPD beim Sondierungspapier zu sehr durchgesetzt habe. Eine Reichensteuer wird es ja vorerst nicht geben, und auch Tempo 130 auf der Autobahn ist wohl vom Tisch – und damit zwei Forderungen mit Symbolwert für SPD und Grüne. Das gefällt freilich nicht jedem. „Ist das Tempolimit gegenüber allem anderen ein zu hoher Preis?“, fragte Will entsprechend ernst. „Nein, ist es nicht“, antwortete Robert Habeck eher lax und verwies darauf, dass es nicht darum gehe, irgendwem etwas „zuzugestehen“ – in dem Fall der FPD –, sondern darum, dass „drei Parteien auf Augenhöhe zusammenkommen“.

Kemfert, die zu den Erstunterzeichnern des Fridays-for-Future-Ablegers Scientists for Future gehört, sieht aber bereits das 1,5-Grad-Ziel davonschwimmen und ließ bei Will durchblicken, dass sie im Sondierungspapier schon Teile der grünen Sache verraten sieht. Gut, dass Politikwissenschaftlerin Münch rasch intervenierte: „Meines Erachtens ist es ein Sondierungspapier. Wir reden gerade drüber, als ob diese Verhandlungen bereits abgeschlossen wären“, sagte Münch völlig zu Recht.

Als Anne Will bald darauf trotzdem fragte, ob SPD und Grüne die Chance verpasst hätten, „für mehr Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland zu kämpfen“, sah sich Habeck gar bemüßigt, eine Definition von Sondierungspapier zu liefern: „Das ist eine merkwürdige Textgattung, an die sich, glaube ich, auch die deutsche publizistische Öffentlichkeit noch gar nicht so ganz gewöhnt hat“, sagte Habeck. Und weiter: „Es ist das Dokument, dass man sich zutraut, einen Koalitionsvertrag zu schreiben. Mehr nicht.“ Da ist durchaus was dran.

Denn so ein Sondierungspapier, und das hätte man der Redaktion von Anne Will vielleicht früher sagen müssen, zeigt eben nur eine Richtung an, in die die anschließenden Koalitionsverhanldungen laufen werden. Ein Sondierungspapier ist weniger Agenda denn die Idee einer solchen, und taugt daher nur bedingt als Diskussionsgrundlage. Vorausgesetzt, man will tiefergehend debattieren, nicht nur an der Oberfläche kratzen. Und weil das so ist, blieb es an diesem Talk-Abend eher bei Letzterem. 

Wer soll das bezahlen?

„Wir haben einen ganz großen industriellen Umbau vor uns“, kündigte Scholz unter anderem an; gefolgt von einem Kurzreferat über Klimaneutralität und wie diese gelingen könnte: Windkraft auf hoher See, Windkraft an Land, Solarenergie, leistungsfähiges Übertragungsstromnetz. „Das ist doch jetzt nicht eine niedliche Veranstaltung, sondern das ist eine solche Modernisierung Deutschlands, wie sie wahrscheinlich am Ende des 19. Jahrhunderts das letzte Mal in dieser Dimension stattgefunden hat“, war Scholz sicher. Spätestens das wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, um die eigentliche Kernfrage der Sendung zu diskutieren: Wer soll das alles bezahlen? Und wie?

Stattdessen folgte eine Reaktion von Kemfert, die leider exemplarisch war für eine Runde, der man einerseits anmerkte, dass die Koalitionsverhandlungen noch laufen, weshalb das meiste nur im Ungefähren, teils im Abstrakten diskutiert wurde. Und an der man andererseits kritisieren muss, dass es Anne Will versäumte, ordentlich Struktur und Ordnung ins Gespräch zu bekommen. Selbst interessierte Beobachter dürften sich während des Talks dabei ertappt haben, einmal zu oft lieber aufs eigene Smartphone zu glotzen, statt aufmerksam Olaf Scholz zu lauschen, wenn der mal wieder irgendwas von „Mut“ erzählte.

Kemferts exemplarische Antwort auf Scholz' Kurzreferat lautete jedenfalls: „Sie haben keinen Automatismus, dass der Strompreis tatsächlich sinkt. Ich finde es gut, dass Sie die erneuerbaren Energien ausbauen. Die brauchen wir auch, und die wirken preissenkend – im Übrigen beim Strom-Börsen-Preis –, aber die EEG-Umlage nur zu senken und zu sagen, dann wird der Strom automatisch billiger, das muss nicht so funktionieren, weil im Moment sinkt die EEG-Umlage ja auch, weil der Strompreis an der Börse so hoch ist, ja.“

Kurz darauf nochmal der Blick ins Sondierungspapier. Ein Einspieler folgte. Im Sondierungspapier seien die Klimaschutzmaßnahmen „unkonkret“ formuliert, urteilte ein Sprecher aus dem Off. Herrje, will man nun rufen, da waren wir doch schon! Das hat der Habeck doch schon erklärt! Bemerkenswert immerhin war die anschließende Reaktion Habecks. Er sagte: „Den Klimaschutz immer bei den Grünen abzuladen und zu sagen, das sind jetzt eure Baustellen und eure Erfolge und eure Misserfolge, entspricht überhaupt nicht der Wirklichkeit.“ Wie bitte? Lautete nicht ein ganz zentrales Argument im Bundestagswahlkampf der Grünen, dass man unbedingt die Grünen wählen müsse, weil die anderen Parteien Klimaschutz nicht auf die Reihe kriegen?

Deutlich mehr Konfliktstoff

Die zentrale Erkenntnis an diesem Abend war folgende: dass es ungemütlich werden könnte für die Ampelparteien, sollte es zu einer Ampelregierung kommen. Es ist bekanntlich schon hart genug, wenn zwei Parteien eine gemeinsame Agenda ausarbeiten müssen. Bei drei Parteien wird diese Aufgabe noch einmal ungleich schwerer. Und birgt entsprechend auch deutlich mehr Konfliktstoff, gerade nach innen. Besonders für die Grünen könnte das zum Problem werden, da Teile der Partei ziemlich allergisch auf alles reagieren, was nach Verrat an der grünen Weltrettung riecht. Aber auch die SPD könnte gegenüber den eigenen Leuten in Erklärungsnot kommen, wenn die Regierungsagenda am Ende nicht links genug wird. Was auch immer man darunter verstehen mag.

Wie es sich anfühlt, wenn Teile des eigenen Milieus plötzlich aufbegehren und Ärger machen, durften die Grünen am Wochenende bereits erleben. Als Reaktion auf das Sondierungspapier, genauer darauf, dass Tempo 130 nicht kommen wird, und aus Protest gegen ein Autobahnprojekt stürmten und besetzten Aktivisten von Ende Gelände und Fridays for Future die Bundesgeschäftsstelle der Grünen. Die Aufregung war entsprechend groß.

Die kommenden vier Jahre könnten, das zeigte auch die jüngste Folge Anne Will, also lustig werden. Hoffen wir einfach, dass sich bis dahin noch viele Möglichkeiten bieten, um mal über das Finanzielle hinter dem rot-grün-gelben Aufbruch zu sprechen. Bei Anne Will oder halt woanders.

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