Ampel und Leitkultur bei Maischberger - „Selbstmord aus Angst vor dem Tod“

Für ihren Talk am Dienstagabend hat sich Sandra Maischberger eine interessante Gästeliste basteln lassen. Diskutiert wurde unter anderem über den Zustand der Ampel, den Begriff der „Leitkultur“ und die Frage, was CDU und FDP eigentlich wollen.

Mathias Döpfner bei Sandra Maischberger / Screenshot
Anzeige

Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

So erreichen Sie Ben Krischke:

Anzeige

SPD-Politiker Ralf Stegner erlebt derzeit seinen zweiten politischen Frühling. War er bis vor wenigen Wochen vor allem mit seinen Posts in den sozialen Medien aufgefallen, ist er plötzlich wieder Gast in den reichweitenstarken TV-Talks dieser Republik und anderswo, etwa im wirklich hörenswerten Podcast des Journalisten und Kriegsreporters Paul Ronzheimer (Bild/Welt) – und bei Sandra Maischberger. 

Die hatte sich für ihre jüngste Sendung eine interessante Gästeliste basteln lassen. So waren neben Stegner auch der Kabarettist und Autor Florian Schröder in der analysierenden Dreierrunde am Sitztresen, CDU-Politiker Philipp Amthor und eben Stegner in der Zweierdiskussion sowie Springer-Chef Mathias Döpfner im Einzelgespräch zu Gast. Außerdem waren RTL-Moderatorin Pina Atalay und T-Online-Journalist Christoph Schwennicke im Studio. 

„Die ,Zeitenwende‘ muss mit einem Mentalitätswechsel einhergehen“ 

Florian Schröders aktuelles Programm heißt „Neustart“. Den wünsche er sich „fast von Anfang an“ auch für die aktuelle Bundesregierung. Die solle, findet Schröder, die eigenen Erfolge – die es auch geben würde – doch bitte ordentlich verkaufen. Die Forderung der FDP, die Rente mit 63 abzuschaffen, findet er als Idee richtig. Es sei „jetzt schon so, dass die Rente mit 63 nicht mehr das Ziel ist und dass das Usus ist“. Das Gesamtpapier funktioniere aber nicht, wirke wie „Selbstmord aus Angst vor dem Tod“. Es sei außerdem keine Einladung an die Koalitionspartner, sondern klinge so, als wolle die FDP raus aus der Koalition – um nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr nicht unter die Fünfprozenthürde zu fallen. Die jüngste Debatte um den Begriff der „Leitkultur“ wirke auf ihn, sagte er, wie ein Remix aus den 80ern. 

Pina Atalay, Moderatorin bei RTL Direkt, findet, es gebe viele Themen, die die Ampelregierung angehen müsste, allerdings mache leider jeder irgendwie sein eigenes Ding. Der FDP wirft sie vor, wie eine Oppositionspartei zu klingen. Und der Ampel insgesamt, sich zu viel zu zoffen. Es brauche, so Atalay, aber nicht nur eine Einladung an die Koalitionspartner, sondern auch an die Bürger. Man müsse die Menschen mitnehmen, statt ständig zu diskutieren, ob die Ampel bald auseinanderfällt. Das sei nicht ihr Eindruck, also, dass der Koalitionsbruch bevorstehen würde. Außerdem findet Atalay den von der CDU wieder in die Diskussion eingebrachten Begriff der „Leitkultur“ unnötig, da dieser schwer zu fassen sei.  

Christoph Schwennicke findet es legitim, dass die FDP das jüngste Papier vor dem anstehenden Parteitag aufgeschrieben hat. Er kritisierte, dass es „gelinde gesagt“ nicht „sehr einnehmend“ sei, wenn sich eine Regierung erst auf Kompromisse einigt, diese aber dann nicht umsetze. Die meisten Punkte des FDP-Papiers findet er richtig, bis auf einen, der „lebensfremd“ und „politikfremd“ sei: der Punkt mit dem Moratorium bei den Sozialausgaben. „Ich glaube aber, dass wir insgesamt in Deutschland noch nicht verstanden haben, was die sogenannte ,Zeitenwende‘ bedeutet: Die müsste eigentlich mit einem Mentalitätswechsel einhergehen und auch mit der Erkenntnis, dass die Zeit der Fülle der Wohltaten und des Friedens vorbei ist.“ Bundeskanzler Scholz wirft er vor, zwar von einer „Zeitenwende“ zu sprechen, diese aber nicht „ordentlich ausbuchstabiert“ zu haben. Er wünscht sich mehr Ehrlichkeit, auch hinsichtlich der Tatsache, dass all die Wohltaten „nicht vom Himmel fallen“. Auch Schwennicke hält den Begriff der „Leitkultur“ übrigens für unnötig. 

„Unser Problem ist nicht die Vielfalt, sondern eher die Einfalt“

Ralf Stegner versuchte in der Zweierdiskussion mit Philipp Amthor zunächst, was gerne versucht wird, wenn die politische Konkurrenz über Friedrich Merz redet: den CDU-Chef als Mann von gestern darzustellen. Das sorgt – auch bei Maischberger – für billigen Applaus, trägt zur Diskussion und insbesondere zur Lösung der mannigfaltigen Probleme im Land aber freilich gar nichts bei. Stegner jedenfalls findet: „Unser Problem in Deutschland ist nicht die Vielfalt, sondern eher die Einfalt.“ 

Stegner ist der Meinung, dass, wer arbeiten kann, auch arbeiten sollte. Er kritisierte aber, dass viele Menschen Bürgergeld erhielten, weil sie von ihrem Lohn nicht leben könnten. Mit höheren Löhnen gebe es auch weniger Sozialtransfers. Dass Stegner nicht der größte Fan der FDP ist, ist bekannt. Aber nun regiert die FDP nunmal gemeinsam mit seiner Partei und den Grünen. Also wie reagieren auf das jüngst von der FDP veröffentlichte Papier? „Die FDP macht vor ihrem Parteitag den Versuch, das Profil zu schärfen. Ich glaube, es funktioniert nicht so gut, wenn man gleichzeitig Regierung und Opposition ist.“ Er warnte, dass die FPD aufpassen müsse, dass sie am Ende nicht der „Hauptverlierer“ sei. 

Und wie umgehen mit der illegalen Migration? Das „Ruanda-Modell“, wie es gerade durchs britische Parlament gegangen ist, sei mit europäischem Recht nicht vereinbar, findet Stegner. Daher könne man das auch nicht übernehmen für Deutschland. Erstens, so Stegner: „Wir werden dafür sorgen, dass jene, die hier arbeiten wollen und sich an Recht und Gesetz halten, dies auch tun können.“ Zweitens, so Stegner: „Wir werden dafür sorgen, dass wir die ungeregelte Migration begrenzen, durch Abkommen mit afrikanischen Staaten und schnellere Verfahren.“ Und wie steht es um Islam und Leitkultur? Stegner: „Was wir nicht wollen, ist religiöse Intoleranz. Was wir nicht wollen, ist Extremismus, der Religion missbraucht. Was wir nicht wollen, ist Gewalt. Aber ansonsten haben wir Platz für alle Religionen, und das kann man auch offensiver sagen, finde ich.“ Und weiter: „Wozu brauche ich eine Leitkultur, wenn ich weiß, ich habe ein Grundgesetz?!“

Philipp Amthor und Ralf Stegner / Screenshot

Philipp Amthor widersprach dem Bild eines Friedrich Merz als Mann von vorgestern. Man sei in einer „ernsten Lage“, in der die Ampel den gesellschaftlichen Zusammenhalt arg auf die Probe stelle. „Man kann Witze über Friedrich Merz machen, aber was es vor allem braucht, sind Politiker, die einen Plan haben, die Kompetenz haben. Und das hat Friedrich Merz. Und das würde manchem Politiker in der Ampel guttun.“ 

Amthor findet etwa, das Bürgergeld sei zu hoch. Das heiße nicht, so Amthor, dass – so formulierte es Maischberger – ein „arbeitsloser Akademiker Koffer am Flughafen sortieren“ sollte. Aber: „Wir haben in unserem Staat die Freiheit, dass man nicht arbeiten muss. Aber diese Freiheit des Einzelnen reicht nicht so weit, dass man das Nicht-Arbeiten von der Solidargemeinschaft bezahlt bekommt.“ Dafür schaffe das Bürgergeld in seiner aktuellen Form zu viele Anreize. Schließlich müsse alles, was vom Staat überwiesen wird, auch erstmal erarbeitet werden. 

Amthor kritisierte, dass die Ampel immer gerne regulieren wolle, was am Ende aber vor allem zu mehr Belastung für die Unternehmen führen würde. Stegner wirft er vor, dieser würde sich die Zahlen „schönrechnen“: „Alle anderen Industrienationen sind gewachsen, wir sind geschrumpft (…) Es geht Deutschland im Moment wirtschaftlich schlecht, und das können Sie hier auch nicht gesundbeten. Ein Rendezvous mit der Realität würde ich Ihnen empfehlen.“ Das jüngste FDP-Papier wertet auch Amthor „als großes Geplänkel vor dem Parteitag“. Aber als Land wäre es gut, würde die Ampel mehr Anreize schaffen, dass die Menschen arbeiten gehen. Und dass Menschen, die länger arbeiten wollten, dafür auch belohnt werden. 

Und wie umgehen mit der illegalen Migration? Für Amthor ist klar, dass die Ampel diese nicht in den Griff bekommt. „Es muss sich in der migrationspolitischen Lage in Deutschland etwas verändern.“ Man beobachte eine Überforderung der Infrastruktur und zu viel Einwanderung in die Sozialsysteme. Man müsse daher mit Drittstaaten zusammenarbeiten. Das „Ruanda-Modell“ sei, sagt Amthor anders als Stegner, auch vereinbar mit geltendem Recht. Und wie steht es um Islam und Leitkultur? „Deutschland ist in besondere Weise geprägt durch eine christlich-jüdische-abendländische Kultur.“ Mit Blick auf Muslime gehe es aber nicht um „Ausgrenzung“, auch in der „Leitkultur“-Debatte nicht. Es könne aber nicht sein, sich um gewisse Themen „herumzumogeln“. Das könne man Deutschland intellektuell schon zumuten. Die Frage, was die Gesellschaft zusammenhalte, sei aber wichtig. „Die Leitkultur ist ein Plädoyer für die offene Gesellschaft, die wir erhalten müssen.“

Warum Geschäfte mit Diktatoren unsere Demokratie gefährden 

Gesprochen wurde bei Maischberger auch über den Fall Maximilian Krah. Auf diesen näher einzugehen, würde hier allerdings den Rahmen sprengen. Mehr dazu lesen Sie zeitnah auch bei uns. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Springer-Verlags, war an diesem Dienstagabend schließlich als Headliner zu Gast. Und wie Sie richtig erkannt haben, ist das ein Wortspiel. Jedenfalls gehört Mathias Döpfner zu den einflussreichsten Verlegern des Landes, wenn er nicht gar der einflussreichste überhaupt ist mit den Marken Bild und Welt, aber auch mit einer Reihe anderer Marken und Projekte, die zum Springer-Konzern gehören, Politico etwa. 

Döpfner hat jüngst ein Buch veröffentlicht, in dem er vor Russland und China warnt. Es heißt „Der Freiheitshandel. Warum Geschäfte mit Diktatoren unsere Demokratie gefährden“. In dem Zusammenhang muss freilich auch über Gerhard Schröder gesprochen werden, dem Döpfner Naivität unterstellt in dessen Umgang mit Putins Russland. Das sei aber „eigentlich nur ein Symbol für ein Phänomen, das uns in die schwierige Situation gebracht hat, in der wir uns derzeit befinden“. 

Döpfner hat Putin vor Jahren getroffen, damals noch in der Hoffnung, erzählte er, dieser würde den „Demokratisierungskurs“ Russlands vorantreiben. Das sei, so Döpfner, auch der Grund gewesen für Springer, damals in Russland zu investieren. Anlass für Döpfners Reise war die Ermordung des damaligen Forbes-Chefs in Russland. Forbes gehörte zu Springer, und der Chef wurde direkt vor der Redaktion – unter bis heute noch ungeklärten Umständen – erschossen. Putins Auftreten bei Döpfners Besuch sei „eine gewaltige Inszenierung von Macht und Einfluss“ gewesen. Putin habe etwa mit leiser Stimme gesprochen, damit man sich habe vorbeugen müssen, um ihn zu verstehen. Das Ziel sei gewesen, Döpfner zu beruhigen ob des Mordes und zu signalisieren, weiterhin in Russland Geschäfte zu machen. Er habe, so Döpfner, damals aber schon gespürt, dass Putin mehr wolle – und damals schon besorgniserregend gewesen sei. 
 

Mehr zum Thema:


„Wandel durch Handel“, so lautete damals die Losung im Umgang des Westens mit Russland respektive mit Autokratien im Allgemeinen. Eine Rechnung, die – wie wir heute wissen – nicht aufgegangen ist, was spätestens seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine überdeutlich ist.  Eine solche Politik sei „naiv“, so Döpfner. Denn sogar das China von heute sei autokratischer als damals, während Putin „unser aller Werte“ bedrohe. Döpfner findet: Unternehmen aus demokratischen Ländern sollten nur noch Handel treiben mit jenen, die gewisse Grundsätze beachten. Aber wie passt das mit seinem Liberalismus zusammen?

„Wenn freier Handel zu Abhängigkeiten führt, ist das hochgefährlich“, findet Döpfner. Es brauche daher eine „Renaissance“ des freien Handels. Nach Döpfner widersprechen seine Ideen also dem Liberalismus nicht, sondern reanimieren ihn in gewisser Weise. „Wir müssen erkennen: So geht es nicht weiter. Deshalb müssen wir mal etwas Neues denken zumindest.“ Freie, offene Gesellschaften sollten, so Döpfner, untereinander Handel treiben – und dabei keine Abhängigkeiten von Nicht-Demokratien erzeugen. 

Ihm gehe es nicht um Verbote, so Döpfner, sondern um Anreize. Und was tun, wenn Donald Trump erneut US-Präsident wird? Döpfner findet, Trump schwäche die Demokratie. Aber auch Merkel habe die Demokratie geschwächt, sagte er, etwa hinsichtlich der Abhängigkeiten von Russland bei der Energieversorgung, die sich durch den Atomausstieg verschärft haben. Döpfner: „Ich glaube, dass die Kanzlerschaft keine erfolgreiche war.“ 

Anzeige