Selbstschädigender Aktivismus - Sarkasmus reicht nicht mehr

Klima, Rassismus oder Gender. Die Debattenstimmung wird von Tag zu Tag vergifteter. Wie fanatische Aktivismen positive Trends hemmen, die sie eigentlich verstärken wollen.

Helfen Umsturzfantasien auf dem Weg zu mehr Klimaschutz? / dpa
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Jens Nordalm leitete bis August 2020 die Ressorts Salon und Literaturen bei Cicero.

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Man kommt aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus. Wöchentlich scheint sich die öffentliche Debattenstimmung weiter zu vergiften. Gerade darf jemand seinen Job nicht antreten, weil er die Aufenthalts- und Abschiebepolitik in diesem Land verbesserungswürdig findet oder 2017 – mit vielen anderen aus dem gesamten politischen Spektrum – die opportunistische Regeländerung kritisierte, mit der die Rede eines AfD-Alterspräsidenten im neugewählten Deutschen Bundestag verhindert wurde. Ebenfalls in diesen Tagen wird eine Regionalzeitung im Netz bedrängt, eine Redakteurin zu entlassen, weil sie Argumente von Kritikern der Corona-Politik unvoreingenommen zur Sprache brachte. Eigentlich neue Fälle für einen gut eingeübten bitteren Sarkasmus.

Aber Sarkasmus reicht nicht mehr aus. Vor allem ist diese Entwicklung traurig. Denn sie schadet ja längst. Die Anmaßungen der verschiedenen Aktivismen, mit denen wir es inzwischen täglich zu tun haben, werden zum Hemmnis eines soliden Fortschritts in die richtigen Richtungen. Wichtige Fragen und Ziele verkommen zum Kabarett-Thema, werden zunehmend geschwächt und konterkariert. Der Ton, mit dem die Leute pausenlos traktiert werden, nervt.

Naturschutz und Gesellschaftsumsturz

Aus der Klima-Debatte kennen wir es schon länger. Diejenigen, die selbstverständlich Natur und Klima schützen wollen, verloren durch moralisch-pädagogische Anmaßung und durch die Verknüpfung von Naturschutz mit Gesellschaftsumsturz die Lust oder wurden in die verstockte Ecke getrieben. Das lähmt bis heute marktorientierte Lösungen, die es wert wären, dass man sie viel mehr nutzt – wie den Handel mit Verschmutzungsrechten oder die konsequente Bepreisung von Kohlendioxid.

Es ist ein Muster, das sich in der Geschichte verfolgen lässt. Nennen wir sie gutwillige Konservative, oder auch einfach nicht-aktivistische Zeitgenossen, die auf den Bahnen in die Zukunft längst mitgehen – aber empfindlich reagieren auf Übertreibungen und Bevormundungen, sich in Bitterkeit zurückziehen, verstocken.

Der Antirassismus

Wenn sich etwa der Aktivismus gegen Rassismus an Rassisten abarbeiten würde – das ginge an. Aber das tut er ja nicht. Er arbeitet sich an allen ab. Jeder „Weiße“ ist ja Rassist – oder jedenfalls nur einige falsche Antworten auf verfängliche Fragen davon entfernt. Wie es den „Weißen“ jetzt auch eine Videoreihe der Tagesschau auf YouTube weismachen will. Oder wie es die Universität von Cambridge ihrem geisteswissenschaftlichen Lehrkörper, jedenfalls den „Weißen“ darin, beibringt, die gerade kollektiv zu entsprechenden Kursen verpflichtet werden – ohne dass es dafür eines subjektiven Problems oder objektiven Vorfalls bedürfte. Denn Rassismus ist überall, auch wenn keiner was mitkriegt. Ziemlich ungefährdeten deutschen Autorinnen mit Migrationshintergrund richtet man auf Literaturfestivals neuerdings safe spaces ein, Orte, an denen sie sich sicher fühlen können. Zu Schutzbedürftigen erklärt zu werden, ohne sich selbst so zu fühlen, bringt aber nicht Entspannung, sondern Verspannung.

Unsicher fühlen sich längst auch Professorinnen und Professoren an unseren Universitäten, die sich unter den Augen ihrer alarmierten Studenten die Freiheit eigenen Nachdenkens und Sprechens über Fragen unserer Zeit nehmen – auch abseits dessen, was gerade die Sätze sind, mit denen man nicht weiter auffällt. Professorinnen und Professoren also, die ihren Job machen. Um sich in dieser bedrohlichen Atmosphäre gegenseitig zu helfen, haben 70 Lehrende gerade ein „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ gründen müssen. Traurig. Und fatal: Denn Fortschritt gibt es nur, wenn alle mitdenken dürfen. Und wenn nicht an der Universität testen, wie weit man mit welchen Gedanken und Argumenten kommt – wo dann?

Gender-Aktivismus

Ein anderer Aktivismus, der sich selbst im Weg steht, ist der Gender-Aktivismus. Auf dessen Linie wollen die Bundestagsfraktionen der FDP und der Grünen, dass es künftig nur noch einer einfachen Erklärung beim Standesamt bedarf, um sein oder ihr Geschlecht zu ändern. Es soll die Bekundung reichen, dass man sich nicht mehr nach dem bisherigen Geschlecht fühle. Verabschiedet wird damit erstaunlich umstandslos die Vorstellung, das Geschlecht habe doch etwas mit dem Körper zu tun. Das wiederum bringt zum Beispiel die klassische Frauenbewegung auf die Palme, die darin nachvollziehbar eine Schwächung ihres zweifellos wichtigen Ziels sieht, Frauen zu fördern – wenn doch das Ziel ohnehin die Überwindung starrer Geschlechter ist, die auch sowieso nur Ergebnis sozialer Fremdzuschreibung sind. Auch das Sprechen des Gender-Sternchens mit diesem verkrampften und verkrampfenden Stocken, das den Fluss der Sprache zerstört, eignet sich eher als Steilvorlage für Comedians als zur Förderung der Begeisterung für die Gleichberechtigung in der Sprache.

Es ist traurig und aberwitzig – nicht nur aus der Sicht alter weißer Männer. Denn auch gutwillige junge weiße Frauen sind nicht auf der sicheren Seite, wenn sie nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd in Berlin gegen Rassismus demonstrieren und ihnen später das Recht dazu abgesprochen wird – weil das eine für strukturelle Täter ungehörige Aneignung von Opfer-Leid sei. Und wenn die deutsche Juristin und Journalistin mit Migrationshintergrund, Fatina Keilani, das zuletzt im Tagesspiegel kritisiert, muss sie sich wiederum von Aktivistinnen als alter weißer Mann titulieren lassen. Kein Wunder, dass schon das „awM“-Wort selbst längst vom Symbol der Unterdrückung zum Symbol der Lächerlichkeit dieser Unterdrückungsbehauptung geworden ist.

Selbstschädigender Aktivismus

Wenn die Bürger gefragt würden, ob alle Menschen gleiche Rechte und möglichst gleiche Chancen haben sollen im Leben, egal wie sie aussehen oder wen sie lieben, dann wird man davon ausgehen dürfen, dass das die allermeisten bejahen. Diesem Gedanken der Gleichheit über allen Unterschieden, die wir wahrnehmen und die wir gelten lassen, die wir aber im Raum staatsbürgerlich gleicher Rechte und Chancen und Pflichten wiederum einen – diesem Gedanken wird gerade von einem gelinde gesagt unplausiblen Aktivismus ein Bärendienst erwiesen. Von einem Aktivismus, der unermüdlich das Trennende bekräftigt, indem er die Identitäten beschwört, vervielfacht und in nervenaufreibende Kämpfe um Anerkennung treibt. So entsteht eine Atmosphäre, in der die Dinge nicht wirklich vorankommen, um die es doch eigentlich geht. 

Jener Aktivismus tut auch den Menschen keinen Gefallen, die in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen oder zu den verschiedensten Gelegenheiten aus Quotenerwägungen heraus rekrutiert werden. Früher oder später wird sich jenen Menschen die deprimierende Frage stellen, ob man sich wegen ihrer Leistungen oder wegen des Identitäts-Hypes der Stunde für sie interessiert hat. Alarmismus und Selbstgerechtigkeit, und in der Reaktion Verbitterung, Sarkasmus und Verachtung – all das stört die Trends zum Besseren, die doch da sind, und zu Lösungen, die sich doch abzeichnen. Jener Aktivismus hemmt, was er befördern will.

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