10 Jahre AfD in den Medien - Zigfach nach rechts gerückt

Der weit verbreitete journalistische Ansatz, mit der AfD ganz besonders kritisch, also noch kritischer als mit anderen Parteien umzugehen, war von Anfang an eine groteske Idee. Die AfD ist nach zehn Jahren immer noch da, und Kollateralschäden dieser Strategie gibt es zuhauf.

AfD-Parteigründer Bernd Lucke im Jahr 2015 während einer Pressekonferenz in Potsdam / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Im März 2014 ist AfD-Gründer Bernd Lucke zu Gast in der Late-Night-Sendung von Benjamin von Stuckrad-Barre. Und irgendwann steht Lucke auf einem Sockel, die Griechenland-Flagge als Tunika übergeworfen, während ein griechischer Tonmann seine Stimme derart künstlich verändert, als hätte Lucke vor der Rede, die er nun hält, an einem Heliumballon gezogen. In der gleichen Sendung geht dann noch ein Raunen durchs Publikum, als Lucke auf die Frage, wie der perfekte Einwanderer aussehe, unter anderem sagt, er habe „dunkle Haut“. 

Es war nur ein Aufritt Luckes – eines eher sachlichen Professors für Makroökonomie, der zur Politik gekommen war wie die Jungfrau zum Kinde – in einem Nischenformat, das ich durchaus gerne sah damals, da von Stuckrad-Barre eben nicht nur Lucke in unangenehme Situationen brachte, sondern alle Gäste, egal welcher Partei. Aber dennoch, das wird in der Nachbetrachtung klar, war der breite mediale Tenor rund um die AfD damals bereits gesetzt: Irgendwie rassistisch sollte sie sein, diese AfD, EU-feindlich sowieso und Leute wie Lucke nur – ich übertreibe jetzt ein bisschen – die freundlichen Gesichter des Neo-Faschismus. 

Narrative der politischen Gegner

Damit übernahmen viele Medien und Medienschaffende zunächst einmal die Narrative, die von gegnerischen Parteien mit Blick auf die AfD gesetzt wurden; inklusive des Vorwurfs des „Rechtspopulismus“. Ein Begriff, der im deutschsprachigen Raum übrigens durch die Ära Jörg Haider in Österreich populär geworden ist, da sich der mittlerweile verstorbene FPÖ-Chef lange Zeit erfolgreich gegen deutlich konkretere Zuschreibungen wie „Nazi“ oder „Faschist“ zur Wehr gesetzt hatte; also gerichtlich. 

Gleichwohl gehört zur Wahrheit eben auch, dass die AfD von Anfang an sehr gut darin war, die gängigsten Vorurteile gegen sie durch entsprechendes Vokabular („Bodensatz unserer Gesellschaft“) zu bekräftigen. Inwiefern das von Seiten der, nennen wir sie, Ur-AfD bereits PR-Strategie war oder nur peinliche Amateurhaftigkeit, wurde parallel diskutiert. Die Sensibilität in Sachen AfD war jedenfalls bereits im März 2014 schon so groß, dass selbst der Begriff „Heimat“, auch darüber wurde in der Sendung gesprochen, schon nah am Verdachtsfall verortet wurde, sobald er von einem AfD-Politiker kam. 

Kritik an Brüssel

Als Lucke bei von Stuckrad-Barre auftrat, gab es die AfD gleichwohl erst ein gutes Jahr, und ihr Kernthema war noch die Kritik an Brüssel. Die Flüchtlingskrise sollte erst gut eineinhalb Jahre später die Bundesrepublik treffen und dazu führen, dass Migration zum primären Thema der AfD wird; inklusive aller verbalen Ausfälle gewisser Parteimitglieder, die damit bis heute einhergegangen sind. Eine der zentralen Forderungen der AfD im Jahr 2014 jedenfalls lautete: „Wir wollen, dass Griechenland den Euro verlässt.“

Zur Erinnerung: Griechenland hatte sich im Jahr 2001 den EU-Beitritt durch gefälschte Defizitzahlen „erschlichen“, wie der Spiegel schon im Jahr 2004 schrieb, und die Weltfinanzkrise der Jahre 2007 und 2008 traf das Land dann besonders hart. Ein Land übrigens, das auch im großen Stil geprägt war von Schattenwirtschaft, Vetternwirtschaft, Korruption, Steuerhinterziehung und mehr, was dann sowohl für die Griechen selbst als auch für die Europäische Union in Gänze unschöne Folgen hatte. Denn alles hängt mit allem zusammen und auch der Brexit über zwei, drei Ecken mit der Finanzkrise. 
 

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Die Bild jedenfalls titelte bereits 2010 von den „Pleite-Griechen“ und schimpfte auf die Nachsichtigkeit der EU. Die AfD war später im Prinzip so etwas wie der politische Arm dieser Kritik. Einer wie Lucke wäre auch durchaus in der Lage gewesen, die Positionen der AfD damals und seine Kritik etwa am EU-Rettungsschirm nachvollziehbar zu begründen. Doch Hinhören ist eben nicht gleich Zuhören, und Empörung über verwendete Begriffe ist eben etwas anderes als Sachdiskussionen über Inhalte, die auch mit der AfD von Anfang an hätten geführt werden müssen, statt ihnen regelmäßig gute Anlässe zu bieten, auf die „Pinocchio-Presse“ zu schimpfen.

Sachlich-neutrales Schema F

„Es gibt noch keine Normalität im Umgang mit der AfD“, heißt es in einem Artikel der Zeit aus dem Jahr 2016, der dann gleich neun Punkte mitliefert, wie mit der AfD umzugehen sei. Der Medienkritiker Stefan Niggemeier schrieb im Jahr 2017 einen Text mit dem Titel „Fragen, mit denen man gegen die AfD nur verlieren kann“. Die damals noch Journalistin und mittlerweile Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, schrieb im Jahr 2019 in einer Spiegel-Kolumne, dass im Umgang mit der AfD „das eingeübte journalistische, sachlich-neutrale Schema F“ nicht funktioniere. Und ein taz-Redakteur schrieb noch im Jahr 2021, zu einem Zeitpunkt, als die AfD bereits größte Oppositionspartei im Bundestag war: „Mit Rechten reden? Nein. Solange man die AfD ausgrenzt, schadet man ihr.“ 

Es gibt unzählige Texte von Journalisten und sonstigen Medienmachern, die sich mit der Frage beschäftigen, wie der Journalismus mit der AfD umgehen sollte; als ob es den Journalismus überhaupt gibt. Und wenn ich ehrlich bin, hat mich diese Debatte von Anfang an befremdet. Schließlich gibt es bestimmte Regeln im Journalismus, gewisse Maßstäbe. Eigentlich. Dass diese nicht immer eingehalten werden, stimmt. Aber wer fordert, man müsse die AfD besonders kritisch befragen, der fordert eben gleichzeitig auch, dass man mit anderen Parteien weniger kritisch umgehen sollte als mit der AfD. Und das leuchtet mir nun wirklich nicht ein.  

10 Jahre AfD

Derzeit feiert die AfD ihr zehnjähriges Bestehen. Und unabhängig davon, was man von einzelnen Positionen dieser Partei halten mag, lässt sich Folgendes feststellen: Erstens ist die AfD die erfolgreichste Parteigründung in der Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts und konnte sich im Parteienspektrum sogar schneller etablieren als dereinst die Grünen.

Zweitens hat auch der mediale Umgang mit der AfD dazu beigetragen, dass die AfD im Bund heute um die zehn Prozent holt und in Ostdeutschland mit 20 bis 25 Prozent etablierte Partei ist; außerdem in 15 von 16 Landesparlamenten sitzt. Denn es ist schon ziemlich kurzsichtig, zu glauben, man müsse eine bestimmte Partei oder dieser Partei nahestehende Wählermilieus nur konsequent genug mit dem Rücken zur Wand schreiben, dann wäre schon irgendwann Ruhe im rechten Gebälk. 

Sich selbst erfüllende Prophezeiung

Dass die AfD heute steht, wo sie steht, entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie. Denn die AfD von heute steht deutlich weiter rechts als die rechtsliberale Ur-AfD – was Ihnen und mir jeder Politikwissenschaftler bestätigen kann. Denn während der wirtschaftsliberale Flügel auch im Zuge der Berichterstattung schrumpfte und schrumpfte, hat man weniger seriöse Zeitgenossen offenbar überhaupt erst auf die Idee gebracht, auf den Erfolg der AfD aufzuspringen.

Das zeigt sich etwa daran, dass die AfD in den vergangenen Jahren zigfach nach rechts gerückt sein soll. Womit sich freilich die Frage stellt, wie weit rechts die Partei wirklich stand am Anfang – wohlwissend, dass es große Berührungsängste mit Rechtsaußen auch damals schon nicht gegeben hat – und was die Entwicklung der AfD bis ins Jahr 2023 dennoch mit dem Prinzip der sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu tun hat. 

Sprachregelungen aus der Zeitgeist-Hölle

Nein, Medien brauchen keine bestimmte „Strategie“ im Umgang mit einer bestimmten Partei. Weil das erstens nicht ihr Job ist, eine demokratisch wählbare Partei aus dem Diskurs zu drängen, und weil es zweitens offenkundig auch nicht funktioniert, wenn hinter der Berichterstattung über eine Partei der Wunsch des Journalisten steht, dass diese möglichst schnell wieder von der Bildfläche verschwinden soll. Stichwort: Streisand-Effekt. Außerdem hat der, sagen wir, besondere mediale und politische Umgang mit der AfD allerlei Kollateralschäden verursacht und das Land – was man der AfD ebenso gerne vorwirft – mehr gespalten als geeint. 

Der Vorwurf des „AfD-Sprechs“ etwa trifft längst nicht mehr nur die AfD selbst, sondern auch Menschen, die Positionen vertreten, die eigentlich klassisch konservative Positionen sind, etwa beim Thema Migrationspolitik. Das ist nicht nur überaus unangenehm, sondern intellektuell auch ziemlich dürftig. Und während die große mediale Hysterie um die AfD die Partei nicht etwa hat verschwinden lassen, ist zum einen der vielbeschworene „Kampf gegen rechts“ zum Geschäftsmodell geworden, inklusive „White Privilege“-Seminaren und Sprachregelungen aus der schneeflockigen Zeitgeist-Hölle

Und zum anderen ist ein neuer, ein als Antifaschismus getarnter Autoritarismus gerade dabei, in alle Gesellschaftsbereiche vorzudringen; sogar in mittelständische Unternehmen, wo – das erzählte mir jüngst ein Freund, der in einem solchen Unternehmen arbeitet – jetzt sogar anonyme Meldemöglichkeiten geschaffen werden, falls sich irgendwer im Unternehmen angeblich irgendwie diskriminierend über irgendwen oder irgendwas äußert. Ja, so viel zur freien und aufgeklärten Gesellschaft, die man in den vergangenen zehn Jahren nicht nur, aber eben auch in vielen Redaktionen des Landes verteidigen wollte gegen die AfD. 

Die Sachebene ist zwingend

Sensibilität ist im Umgang mit radikalen Parteien und Milieus tendenziell von Vorteil. Aber der Zweck heiligt eben nicht die Mittel, und wer anderen Populismus und Verkürzung vorwirft, sollte eben nicht den Fehler machen, selbst in Populismus und Verkürzung abzugleiten und Empörungsspiralen immer und immer weiter zu drehen, wo es eigentlich viel mehr eine inhaltliche Auseinandersetzung bräuchte, die sogar Teil des eigenen Berufsverständnisses ist; in dem Fall des Journalisten. 

Kritik kann und darf hart sein, auch mal polemisch, wenn gut gemacht, oder ironisch, also mit Augenzwinkern. Gegen die Union, gegen die SPD, gegen die Grünen, gegen die FDP, gegen die Linke, gegen die AfD, gegen alle. Aber Kritik funktioniert eben nicht, wenn die Sachebene konsequent ausgespart wird. Dann ist sie nur Haltungstheater und Bekenntnis-Tamtam. Auch und ganz besonders im Journalismus.

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