Zur Bundestagsdebatte: Kritik an elitären Argumenten - Sterbehilfe: Suizid darf nicht "normal" werden

Heute debattiert der Deutsche Bundestag in Erster Lesung drei Vorlagen zum Thema der so genannten Sterbehilfe. Seit vielen Jahren wird eine Regelung zum assistierten Suizid gesucht. Doch manche Argumentationslinien offenbaren eine fast skandalös elitäre Sicht. Die Gefahr des Drucks von außen wird zu klein bemessen.

Sterbehilfe kann vieles sein. Bei der Bundestagsdebatte geht es im engeren Sinne um den so genannten assistierten Suizid. /dpa
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Autoreninfo

Michael Borchard wurde 1967 geboren und ist Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-demokratische Politik in der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin.

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Der Weg zu einer neuen gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe ist schwer. Er ist auch deshalb schwer, weil das Bundesverfassungsgericht, eine Türe, deren Öffnung ohne jeden Zweifel überfällig war, nach der Meinung vieler Beobachter sehr weit aufgerissen hat.

Man kann es den Damen und Herren Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die über die vorliegenden Vorschläge zu befinden haben, kaum verdenken, dass sie sich die Entscheidungen nicht leicht machen. So wie man dem Deutschen Bundestag fast schon pauschal bescheinigen darf, dass solche Debatten, wenn es um den Lebensanfang und das Lebensende geht – ganz unabhängig davon, ob man mit dem Ergebnis einverstanden sein mag – stets mit großem Verantwortungsgefühl und mit großer Ernsthaftigkeit geführt worden sind und geführt werden.

Es ist eine Gewissensentscheidung par excellence, die die Mandatsträger im Parlament zu treffen haben und dass sie sich dabei nicht zuletzt auch mit der Vorgabe der „Ergebnisoffenheit“ der Beratung auf dem Weg zum assistierten Suizid schwertun, die das Verfassungsgericht ihnen mitgegeben hat, ist angesichts der Reichweite der Entscheidung ebenfalls nachvollziehbar.   

Wer sich mit dem Leben schwertut, ist gefährdet

Auch Bernhard Schlink, ein kluger und wortgewaltiger Jurist und Romanautor, hat sich juristisch wie auch literarisch mit dieser schwierigen Frage auseinandergesetzt. Dabei ist zunächst beachtlich und ihm durchaus hoch anzurechnen, dass er es nicht dabei belässt, aus seiner Sicht auf die Mängel der vorliegenden Gesetzesvorschläge hinzuweisen, sondern auch eigene Vorschläge zu unterbreiten. Das tut er sehr ausführlich in einem Interview mit Cicero. Natürlich muss bei jedem Gesetzesvorschlag die Beratung im Mittelpunkt stehen. Sie wird der Dreh- und Angelpunkt jedes Lösungsvorschlages sein.

Geradezu kraftvoll hält Schlink hier aber an dem Konstrukt des „Arztes des Vertrauens“ fest und er stellt dieses Modell, das zumindest in seinem Interview mit Cicero nicht näher erläutert wird, ausdrücklich gegen „staatlich verordnete Beratungsstellen“, wie er sagt. Das ist, mit Verlaub gesagt, eine vor allem fast skandalös elitäre Sicht des geschulten Juristen. Die Gefahr, dass übermäßiger gesellschaftlicher Druck zur Selbsttötung aufgebaut wird, ist doch nicht bei jenen Menschen besonders groß, die zu den hochgebildeten, reflektierten, wohlhabenden Menschen gehören, sondern bei jenen, die sich ohnehin mit dem Leben schwertun, die finanzielle und gesellschaftliche Unsicherheiten durchleben müssen und auch daran ihre Entscheidungen ausrichten.

Woher nehmen diese Menschen einen „Arzt des Vertrauens“, mit dem sie – das ist die Grundwährung des Vertrauens – wirklich auf Augenhöhe diskutieren (können)? Warum wird diese Debatte fast nie aus der Perspektive dieser verletzlichen sozialen Gruppierungen geführt? Auch bei Schirachs „Gott“ dominiert  wie in diesem Interview   die „Professorenperspektive“, die leider nur einen winzigen Ausschnitt des Problems zeigt. Und woher um alles in der Welt nimmt Schlink die Gewissheit, dass nur ein solcher „Arzt des Vertrauens“ eine gelingende Beratung anbieten kann? Warum können das Beratungseinrichtungen, die ihr Personal eigens für diesen Zweck schulen und die einen gewissen Vertrauensvorschuss durchaus verdienen, nicht leisten?

 

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Beratungsstellen sind besser als der „Arzt des Vertrauens“

Auch kann einem Schlinks „Arzt des Vertrauens“ ehrlich gesagt schon jetzt leidtun. Selbst wenn er nach der Vorstellung von Schlink andere Akteure hinzuziehen darf und soll, so liegt doch die Verantwortung der Beratung, bei der es ja nun buchstäblich um Leben und Tod geht, am Ende vor allem auf seinen Schultern. Nicht jeder Arzt, der sich leidenschaftlich und glaubwürdig auf den hippokratischen Eid beruft, wird sich dazu in der Lage sehen, dieses Kreuz zu tragen. Und neigen wir nicht ohnehin schon zu oft dazu, die Verantwortung für unser gesundheitliches Wohlbefinden vor allem auf die Ärzte zu delegieren? Was ist in diesem Zusammenhang dann so falsch an Beratungsstellen, in denen Ärztinnen und Ärzte arbeiten, die sich bewusst auf diese schwierige Aufgabe einlassen?

Insgesamt irritiert, dass sich Schlink gebetsmühlenartig auf das „Recht zum Sterben“ bezieht, aber in seinem Cicero-Interview kaum einmal reflektiert, was neben der Beratung notwendig wäre, um nicht nur die menschliche Autonomie im Angesicht des Todes, sondern vor allem auch ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben zu garantieren. Man muss nicht auf der linken Seite des politischen Spektrums stehen, um dennoch zu befinden, dass sich die menschliche Qualität unserer Gesellschaft gerade auch danach bemisst, wie sehr wir den schwächeren unserer Mitmenschen ein menschenwürdiges Leben bieten können – im Alltag ebenso wie in Not und Bedrängnis. Auch das ist von der Debatte um den assistieren Suizid nicht zu trennen. 

Nicht an den Suizid als Normalität gewöhnen

Und last but not least grenzt es gerade in diesem Zusammenhang fast an Unverschämtheit, wenn Schlink der Caritas-Präsidentin, Eva Maria Welskop-Deffaa, in seinem Interview unterstellt, sie nehme die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis, wenn sie sich sorgt, dass wir uns an den Suizid als eine normale Sterbeform gewöhnen, weil der Suizid ja jetzt schon zur Realität gehöre. Damit wird der Präsidentin einer Organisation Realitätsverweigerung vorgeworfen, die sich in der täglichen Praxis intensiv mit der Frage eines menschenwürdigen Lebens und Sterbens sowie mit der Sterbebegleitung auseinandersetzt, mehr als das ein Rechtsphilosoph auch bei allen anerkennenswerten persönlichen Erfahrungen jemals tun könnte.

Generell ist es wichtig, in dieser Debatte – und das stört auch an der Wortwahl von Schlink, der verschiedentlich auch die Politik als zu zögerlich angegriffen oder einem Bundesgesundheitsminister, der sich auf sein Gewissen beruft, den Rücktritt nahegelegt hat die Bedenken jener, die befürchten, dass sich der assistierte Suizid zu einer „normalen“ Form der Lebensbeendigung entwickelt, ernst genommen und nicht an die Seite gedrückt werden.

Dieser Beitrag spiegelt die Privatmeinung des Autors wider. 

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