- „Wir brauchen den ärztlich assistierten Suizid“
Cicero Online sprach mit dem Urologen und Sterbehelfer Uwe-Christian Arnold. Er plädiert für einen offeneren Umgang mit Sterbehilfe
Herr Arnold, wie viele Menschen haben Sie schon bei der Selbsttötung begleitet?
Gute 200 Menschen.
Wie sehen Ihre ärztlichen Begleitmaßnahmen aus?
Man lernt sich kennen. Ich schaue mir die Arztbriefe an. Ich spreche mit den Menschen intensiv und lange und frage, ob sie das auch wirklich wollen. Dann erkundige ich mich immer, ob sie darüber hinaus auch gut versorgt sind, das heißt, ob sie eine ausreichende Schmerztherapie haben, ob sie sich mit der Möglichkeit beschäftigt haben, sich palliativ-medizinisch behandeln zu lassen. Ich lote das gesamte medizinische Spektrum aus. Ich erfahre dabei erstaunliches, beispielsweise, dass die Patienten völlig hilflos in der Luft hängen, von den Kliniken mehr oder weniger rausgeschmissen werden mit dem Hinweis, sie seien austherapiert und man könne nichts mehr für sie tun. Das finde ich unglaublich!
Wenn der Patient sich schließlich entschieden hat, diesen Weg zu gehen, geht es noch um die familiären Dinge: Wie sieht das Umfeld aus? Was sagen Ihre engsten Angehörigen dazu? Ich kann niemanden ärztlich begleiten, der nicht in ein soziales Umfeld eingebettet ist. Es ist ganz wichtig, dass diese Maßnahmen in gemeinsamer Abstimmung mit allen nahen Angehörigen getroffen werden. Wenn ein nahe stehender Mensch noch nicht informiert ist oder noch überzeugt werden muss, bestehe ich darauf, dass dieser Mensch mit einbezogen wird und begleite das auch. Natürlich ist das für alle mit ungeheuren Verlustschmerzen verbunden. Wenn ein Angehöriger mit dem Keulenschlag erfährt, dass die Person gestorben ist, ist die Trauer noch viel schwieriger zu bewältigen, als wenn man weiß, er wollte gehen und er geht und eine gewisse Vorhersehbarkeit besteht.
Wieso ist Sterbehilfe der Palliativmedizin vorzuziehen?
Was heißt vorzuziehen? Ich als Arzt bin der letzte, der irgendetwas Negatives über die Palliativmedizin sagt. Für mich ist die Palliativmedizin die medizinische Richtung, die im Vordergrund steht, die am wichtigsten ist und die völlig vernachlässigt wird. Wenn sie besser ausgebaut wäre, dann würden wir weniger Elend am Lebensende haben.
Ich sage nicht, wir würden weniger Sterbewünsche haben. Aber es ist gut, dass Sterbewillige auch einmal zu einem Sterbehelfer kommen, der alle Facetten einschließlich der Palliativmedizin anspricht. Ich habe selbst die Ausbildung zum Palliativmediziner und weiß ganz genau, wovon ich rede. Was ich vom Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, bezweifle. Der Herr Röntgenbildbetrachter hat sicher keinen Umgang mit sterbenden Menschen!
In Deutschland ist die Beihilfe zur Selbsttötung straffrei. Ärzten jedoch ist auch nach dem von Ihnen erstrittenen, jüngsten Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts nur gestattet, Patienten tödliche Medikamente zu überlassen, wenn sie eine enge Nähebeziehung zum Patienten aufweisen. Hatten Sie bei Ihren 200 Sterbebegleitungen diese Nähebeziehung?
Die 200 Sterbebegleitungen erstrecken sich auf einen Zeitraum von 15 Jahren. Zur Nähebeziehung: Zunächst stelle ich den Kontakt her. In den allermeisten Fällen besteht der Kontakt über eine aus meiner Sicht ausreichend lange Zeit. Das muss ja nicht zwei bis drei Jahre sein, das können auch Wochen und Monate sein. Es kommt auf die Intensität an. Es gibt Menschen, mit denen hatte ich jahrelangen Kontakt.
Mein extremster Fall betrifft einen Menschen, dem gesagt worden war, er habe mit seinem Krebst höchstens noch ein halbes Jahr zu leben; er lebt noch und wird wahrscheinlich nie meine Hilfe in Anspruch nehmen. Seit elf Jahren hat er die Medikamente und kann sein Leben beenden, aber er macht es nicht, weil er gesund geworden ist. Warum? Das weiß keiner. Der Kontakt besteht elf Jahre, andere Kontakte bestehen vier Jahre oder anderthalb Jahre. Manch einer sogar nur drei Monate, aber ich denke, sie bestehen immer intensiv. Man kann auch in wenigen Wochen durch intensiven Kontakt große Vertrautheit erlangen. Jemand, der diesen Schritt geht, sollte sich das so überlegen, dass er mich nicht telefonisch kontaktierten kann, nächste Woche müsse er ganz schnell sterben. So sollte es möglichst nicht sein.
Gibt es denn Fälle, bei denen das so ist?
Es gibt Fälle, die sind so dramatisch, dass man relativ rasch handeln muss. Es gibt Fälle, wo zum Beispiel die Krebskrankheit weit fortgeschritten ist und die ganze Familie dahintersteht, bei denen ich nur wenige Wochen Zeit hatte. Aber es geht nichts über Nacht.
Wie begegnen Sie Menschen, die sich nicht mehr selbst töten können. Wenn man mit ausdrücklichen Willen des Betroffenen eine tödliche Dosis Medikamente verabreicht, macht man sich prinzipiell strafbar wegen des Straftatbestandes „Töten auf Verlangen“. Halten Sie diese Grenzziehung für willkürlich?
Es geht jetzt um die aktive Sterbehilfe. Wer nicht mehr in der Lage ist, es selbst zu tun, dem kann ich leider nicht helfen. Der muss in die Schweiz gehen, wo er mit einem bestimmten Apparat die Selbsttötung vornimmt, aber selbst da muss er die Infusion selbst anschalten. Er muss den Zugang mit einem Beißmechanismus auslösen. Das muss er wenigstens können. In Deutschland ist das verboten und jeder sollte in der Lage sein, Medikamente einzunehmen. Dass ein Patient das nicht mehr kann, habe ich noch nie erlebt.
Auf der folgenden Seite: die Debatte um die kommerzielle Sterbehilfe
Glauben Sie nicht, dass Sie mit Ihren bereits erstrittenen Urteilen die Büchse der Pandora geöffnet haben und am Ende die Sterbehilfe auch für extrem psychisch Leidende Vorschub leisten. Wo ziehen Sie die Grenze?
Gerade das darf nicht passieren! Wer in Deutschland Sterbehilfe anbietet und möglicherweise psychisch Kranken hilft, wie es beispielsweise der Ex-Justizsenator von Hamburg, Roger Kusch, getan hat, operierte bisher in einer Grauzone, die wegfallen würde, wenn mit der Sterbehilfe ein offenerer Umgang geübt würde. Für mich sind psychisch Kranke außerhalb meines Spektrums. Ich weiß und akzeptiere es zwar, dass psychisch Kranke wie Krebskranke schwer leiden, aber das sollte dann Angelegenheit der Psychiater sein. Ich habe da meine Berührungsschwierigkeiten. Ich weiß, dass psychisch Kranken kaum geholfen wird, das ist aber noch lange kein Grund sich umzubringen und Hilfe von anderen zur Lebensbeendigung einzufordern. Ich glaube nicht, dass eine Lockerung der Sterbehilfe Tür und Tor öffnet für Missbrauch bei psychisch Kranken. Ich vermute eher das Gegenteil. Wer hier von einem Dammbruch spricht, hat einfach keine Ahnung. Die Menschen kleben an ihrem Leben und sie sollen auch an ihrem Leben kleben.
Sie waren 2. Vorsitzender von Dignitas Deutschland e.V. einem Ableger des schweizerischen Vereins für Sterbehilfe. Warum haben Sie sich da zurückgezogen?
Die Idee bei Dignitas Deutschland war, dass wir die ganze Sache voranbringen. Das, was jetzt passiert in Deutschland ist genau das, was ich beabsichtigt hatte. Dignitas wurde immer mehr zu einer Art Reisebüro für die Schweiz. Ich sah zumindest, dass dieser Weg nicht der richtige Weg ist. Wir wollen in Deutschland etwas bewegen. Wir wollten provozieren und das habe ich auch getan. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren hat ja begonnen, und ich habe jetzt eindeutig erreicht, dass die Berliner Verwaltungsrichter gesagt haben: Der darf das. Und ich will kein lex Arnold ich möchte ein lex für alle Ärzte haben. Und da sind wir auf einem guten Weg. Das wird noch Jahre dauern, aber das ist genau das, was ich wollte. Und dafür brauche ich keinen Verein.
Kommen wir zu einer aktuellen Debatte: Schwarz-Gelb bereitet in diesen Wochen eine Novellierung des Strafrechts vor und will kommerzielle Sterbehilfe und deren Vermittlung unter Strafe stellen. Wäre das nicht ein Rückschlag Ihrer Bemühungen?
Nein, das wäre es nicht, weil das eine das andere nicht berührt. Die Bundesregierung will praktisch die beiden Vereine Dignitas und Sterbehilfe Deutschland verbieten. Die katholische Kirche will überdies jedem praktizierenden Arzt verbieten, Sterbehilfe zu leisten. Dagegen wehrt sich ja Sabine Leutheusser-Schnarrenberger richtigerweise. Ich schreibe ihr dieser Tage einen Brief. Wenn sich die katholische Kirche durchsetzte, gäbe es wieder einen Grund für sie zurückzutreten, denn sie ist klar für den ärztlich assistierten Suizid. Von den Grünen und der SPD ist auch nicht viel zu erwarten – zu viel Kirchenvertreter. Kathrin Göring-Eckardt zum Beispiel würde für mich am liebsten die Inquisition wiedereinführen. Sie wollte mir in einer Talkshow nicht mal die Hand gegeben.
Die Bundesärztekammer hat diese Woche eine Pressemitteilung herausgegeben, in der sie kritisiert, dass im aktuellen Referentenentwurf von Leutheusser-Schnarrenberger Ärzte straffrei bleiben, wenn sie kommerziell Sterbehilfe vermitteln, solange eine Nähebeziehung zwischen Arzt und Patient herrscht. Wie beurteilen Sie das?
Das ist die althergebrachte Linie der Bundesärztekammer. Das kann sie ja gerne machen. Im Moment laufen zwei unterschiedliche Verfahren. Da gibt es zum einen die bereits erwähnte Verwaltungsgerichtssache, zum anderen ist die Sterbehilfe auch eine verfassungsrechtliche Angelegenheit. Alles fußt auf dem Grundgesetz.
Die Verwaltungsrichter haben in meinem Verfahren nichts neues beschlossen, sondern nur festgestellt, wie die Gesetzeslage war und ist. Der Suizid ist in Deutschland straffrei. Ebenso ist die Beihilfe straffrei. Also kann sie auch für einen Arzt keine Strafe darstellen. Wenn die Ärztekammer sich erdreistet zu meinen, sie müssten dem einzelnen Arzt vorschreiben, wie er sein Gewissen zu gestalten hat, dann liegt sie falsch. Ihr bleibt ja unbenommen, Empfehlungen auszusprechen, Sterbehilfe sei keine ärztliche Tätigkeit und es sei unethisch und ähnliches. Das kann sie gern machen, aber sie kann es nicht mit Strafen belegen. Und das haben sie bei mir versucht und dabei sind sie gescheitert.
Der Arztberuf ist frei, solange der Arzt sich an die Gesetze hält. Und er wird unfrei, wenn ihm seine Standesorganisation, die ja eigentlich nur ein Debattierklub ist, irgendetwas vorschreibt. Die Ärztekammer hat das nicht zu regeln. Das ist nicht ihre Aufgabe. Das hat das Verwaltungsgericht ganz klar festgestellt. Ich habe es von Anfang an so gesehen.
Jetzt kommt Schwarz-Gelb mit seinem albernen Gesetzesvorstoß, der sowieso keinen Bestand haben wird…
…warum nicht?
Weil er gegen das Grundgesetz verstößt. Was ist denn daran so besonders? Dann müsste man im gleichen Zug Bestattungsinstitute verbieten. Die verdienen noch viel mehr Geld mit dem sterbenden Menschen. Ein Bestattungsunternehmer kauft einen Sarg für 35,- Euro und verkauft ihn an Angehörige für 3.000,- Euro. Das ist kommerzielles Verdienen am Toten. In den Heimen und Hospizen müssen Menschen für ein 16 Quadratmeter-Zimmer 4.500,- Euro im Monat zahlen. Da wird abgegriffen. Das ist doch kriminell. Wenn die Sterbehelfer Geld verdienen, ist das doch nicht so dramatisch. Aber bitte sehr, ich will ja gar kein Geld verdienen.
Haben Sie bei der bisherigen Suizidbegleitung einen Gewinn abgeschöpft?
Was heißt Gewinn? Die Menschen bieten mir Geld an. Das nehme ich an und versteuere es. Das Thema wird meinerseits nicht angesprochen. Wenn die Menschen es nicht ansprechen, werde ich nicht einmal sagen, „jetzt kriege ich aber 150,- Euro für Benzin“, sondern dann helfe ich und gehe. Ich spende auch jedes Jahr über 5.000,- Euro für verschiedene Hospizstiftungen. Ich habe in dieser Richtung nichts zu verbergen.
Herr Arnold, vielen Dank für das Gespräch.
Uwe-Christian Arnold (65) praktizierte als Urologe in Berlin. Seit über 15 Jahren engagiert er sich in der Sterbehilfe. Ab 2005 war er für einige Jahre im Vorstand von Dignitas Deutschland e.V.
Das Interview führte Daniel Martienssen
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Wenn alle Ärzte so wären, hätte ich weniger Sorgen.
Ich bin 77 Jahre und habe oft große Schmerzen ich wünsche mir ein Medikament womit ich selbst bestimmen kann wann ich sterbe. Für meine vielen Krankheiten gibt es nur einen Weg. Würdig zu Leben und würdig zu sterben. Durch die Pharmazeutische Industrie erreichen wir ein hohes Alter und dürfen nicht mehr würdig sterben.
Dies alleine ist ein Verbrechen an die Menschlichkeit. Schon die Gewissheit einen würdigen Abgang zu haben, gibt Kraft für die letzten Stunden und Tage.
Ich war mit einen Patienten in der Klinik. Er wurde von seiner Frau betreut und sollte entlassen werden.
Da erfuhr er, dass seine Frau ebenfalls im Krankenhaus lag (Herzinfarkt). Trotzdem wurde er in seine Häuslichkeit entlassen, mit den Worten irgendjemand wird sich um Sie kümmern. Der Patient weinte und wurde trotzdem mit dem Rollstuhl nach Hause transportiert. (Aus therapiert) )