Wahlplakat der Grünen - Eine Partei wie ein Stockfoto

Ein Wahlplakat der Grünen zeigt eine Familie beim Ausflug mit einem Lastenfahrrad – und wurde dafür aus allen politischen Lagern kritisiert. Dabei kann man auch etwas positiv hervorheben: Dass die Grünen mit einem Stockfoto für sich werben, ist erstaunlich ehrlich.

Vielleicht findet man insgeheim doch, dass früher alles besser war? / Bündnis90/Die Grünen
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Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Papa ist Feminist, deswegen nimmt er sich manchmal einen Day Off von seinem Job als Nachhaltigkeitsberater für Startups, um für die Familie da zu sein. Heute Morgen nach dem Frühstück (Porridge mit Früchten, Hirse, Leinsamen und Chia, dazu ein Galão mit Hafermilch) hat er sich rasch den 8-Tage-Bart gestutzt, mit Surf Hair Gel die Haare durchgewuschelt (wie der Robert) und den stretchbaren Roundneck Pulli aus dem Hessnatur Store übergeworfen. Dann ab auf`s Lastenfahrrad: Mama muss Projekte für ihre NGO pitchen, und Emil-Maximilian und Ida-Charlotte müssen in den bilingualen Naturkindergarten gebracht werden, ehe Papa beim Yoga seine innere Mitte erforschen kann.

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So ungefähr das gängige Klischeebild vom grün wählenden Großstädter – ein gutsituierter Bionade-Biedermeier mit Altbauwohnung in Berlin-Prenzlauer Berg, der blind für Klassenwidersprüche ist. Ein Wahlplakat der Grünen, das diese Woche für Aufsehen sorgte, bedient diesen Stereotyp auf karikatureske Art und Weise. Es handelt sich um ein Stockfoto der Agentur Getty Images, das für 24 Euro erworben werden kann. Ästhetisch passt es durchaus ins Werbeprogramm der Grünen – man erinnere sich an Robert Habeck, der am liebsten einfach beim Pommes essen auf dem Bürgersteig fotografiert werden möchte, beim hochgradig authentischen Kuscheln mit Konik-Pferden.

So divers wie ein grüner Parteitag

Zu sehen ist ein Heile-Welt-Bild, das wie ein CDU-Plakat aus den 1950ern mit hippem Anstrich wirkt. Vater, Mutter, zwei Kinder, zufrieden lächelnd, brav-lässig gekleidet, die Kinder ordnungsgemäß mit Fahrradhelm, blauer Himmel und blühende Natur. Dazu der Hashtag #AllesIstDrin und der Slogan „Mit einem echten Zukunftsplan“. Das Plakat wäre nicht weiter der Rede wert, wenn es nicht zu einer bemerkenswerten Debatte geführt hätte – mit Kritik aus allen Richtungen.

Keine Partei schreibt sich so sehr auf die Fahnen, für Diversität und Progressivität einzustehen, wie die Grünen. Es gibt also eine gewisse Fallhöhe und folglich ließ die Kritik nicht lange auf sich warten. Denn tatsächlich ist auf der Aufnahme ungefähr so viel „Diversity“ wie auf einem Deutschlandtag der Jungen Union. Oder auf einem Parteitag der Grünen. Auf dem Bild werde ein konservatives, heteronormatives und weißes Familienbild propagiert, lautete die identitätspolitische Kritik. Auch wurde der Vorwurf veralteter Geschlechterrollen erhoben, weil der Mann das Lastenrad lenkt und die Frau bei den Kindern sitzt.

Die Grünen machen sich ehrlich

Die materialistische Kritik – die bisweilen durchaus mit der identitätspolitischen verwoben war – störte sich vor allem am konsumorientierten Charakter des Happy-Family-Bilds. Ein Twitter-User rechnete aus: „4.000 Euro fürs Lastenrad, fast 200 für den Pullover.“ Das Lastenrad könnte geliehen sein, wendeten manche ironisch ein. Ironisch deshalb, weil man kein Bourdieu-Experte sein muss, um zu erkennen, dass hier eine wohlhabende Familie gezeigt wird. Das durch das Lastenrad implizierte Umweltbewusstsein steht somit für eine unsoziale Nachhaltigkeitspolitik, die sich nur Besserverdiener leisten können.

Damit sind zwei wunde Punkte getroffen: Die Grünen sind deutlich weißer, als ihnen lieb ist (was sie auch einräumen). Zudem sind unter ihren Wählern ein Großteil gutverdienende Akademiker, und wer finanziell abgesichert ist, hat andere (also weniger materielle) Interessen als Geringverdiener. Das Plakat zeigt somit einen Ist-Zustand der Partei als hippe Version der CDU und fällt somit in die Kategorie: „Wir müssen uns ehrlich machen“. Ein Stockfoto für eine Stockpartei.

Kritik von Konservativen

Interessanterweise stieß die Wahlwerbung auch auf Kritik aus dem konservativ-wirtschaftsliberalen Lager, das eigentlich vom klassischen Familienbild angetan sein müsste. Vielleicht sah man sich in der CDU genötigt, auf Konfrontation zu gehen und lautstark eine große Unterschiedlichkeit zu simulieren. Aus Angst, dass die Grünen CDU-Wähler abgraben könnten. So konzentrierte man sich auf das Umweltthema und wollte in dem Lastenrad ein Symbol für den technischen Rückschritt sehen.

Nach dem Motto: Seht her, Autofahrer, die Grünen wollen euch die Autos wegnehmen. Der Vorwurf erfährt allerdings eine Abschwächung, wenn man bedenkt, dass die Grünen in der Industrie durchaus beliebt sind. Auch ein Rückblick auf den Parteitag schwächt das Bild ab. Dort wurde beschlossen, Autos mit Verbrennungsmotor, statt ab 2025, erst ab 2030 nicht mehr zuzulassen.

Die Ökodiktatur kommt auf Lastenrädern angerollt

Egal: In den Augen so mancher Wirtschaftsliberaler kommt die Ökodiktatur nicht auf Panzern, sondern auf Lastenrädern angerollt. Ein Schreckensszenario, das jüngst auch von der sympathischen Lobby von nebenan, der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), heraufbeschworen wurde. Sie warnte vor Sozialismus und zeigte in einer Anzeigenkampagne Annalena Baerbock als Moses mit zwei Steintafeln und zehn Verboten: „Warum uns grüne Verbote nicht ins gelobte Land führen“.

Quizfrage: Wie links bzw. sozialistisch kann eine Partei sein, die a) der FDP als Partei der Gutsituierten den Rang abgelaufen hat, b) ein schlechtes Gewissen wegen der Agenda 2010 hat, aber eine deutliche Anhebung der Hartz-IV-Bezüge ablehnt, c) den Spitzensteuersatz lieber nur moderat anhebt, d) von Friedrich Merz, Joe „Inclusive Capitalism“ Kaeser und dem Bundesverband deutscher Banken umgarnt wird und e) den Einsatz von Kampfdrohnen nicht mehr ablehnt?

Dem Gewinner winkt ein SUV.

There is noch such thing as Volksparteien

Vielleicht ist die Debatte auch ein Ausdruck dieser Zeit, in der kein Raum mehr für die Kategorie Volkspartei ist – die Grünen wurden ja bereits als nächste Volkspartei gehandelt. Früher schafften es Volksparteien, unterschiedliche Interessengruppen zu versammeln. Die SPD wurde von Arbeitern, Beamten und linken Intellektuellen gewählt. In einer ausdifferenzierten Gesellschaft wie der heutigen mündet der Versuch, allen Seiten gerecht zu werden, offenbar leichter darin, dass vor allem das vom eigenen Lager Trennende gesehen wird. Oder, wie bei den Grünen, in einem Stock-Foto, an dessen Oberfläche jegliches Profil abperlt.

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