Wahl von Kai Wegner - Was hängenbleibt vom Berliner Bürgermeister-Wahltheater

Erst im dritten Wahlgang ist Kai Wegner zum neuen Regierenden Bürgermeister Berlins gewählt worden. Möglicherweise mit Stimmen der AfD, was niemand gesichert weiß, aber trotzdem für Empörung sorgt. Auch, weil die Grünen schlechte Verlierer sind.

Berlins neuer Regierender Bürgermeister Kai Wegner / picture alliance
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Aller Anfang ist schwer. Die Frage ist nur, ob man sich Anfänge unnötig selbst erschweren muss. Zweimal verfehlte Kai Wegner (CDU) am Donnerstag die Wahl zum neuen Regierenden Bürgermeister von Berlin. Erst im dritten Wahlgang reichte es für den 50-Jährigen. Er erhielt dann 86 Stimmen. Über so viele Mandate verfügen CDU und SPD im Landesparlament. In der Abstimmungsrunde erklärte allerdings auch die AfD ihre Unterstützung für Wegner – und prompt sah man sich in Teilen der SPD und bei den Grünen genötigt, das Ende der Demokratie herbeizuschreiben, weil auch AfD-Abgeordnete für Wegner gestimmt haben könnten. 

„Das war ein desaströser Start einer Regierung“

Der Aufruhr ist nun groß, das vierte Reich schnell herbeifantasiert, obwohl der Akt an sich ein durch und durch demokratischer war, ob mit Stimmen der AfD oder nicht. Insbesondere die Grünen entpuppen sich dabei einmal mehr als schlechte Verlierer. Die gescheiterte Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch teilte mit: „Das war ein desaströser Start einer Regierung. Der dritte Wahlgang gilt zu Recht als Notlösung. Offenbar ist fast die halbe SPD-Fraktion ihrer Führung nicht gefolgt. Schwarz-Rot konnte in zwei Wahlgängen keine eigene Mehrheit auf sich vereinen.“

Und weiter: „Das legt den Verdacht nahe, dass Kai Wegner im dritten Wahlgang mit Stimmen der AfD gewählt worden ist. Das hätte Schwarz-Rot nie riskieren dürfen. Deshalb haben wir vor dem Wahlgang eine Vertagung beantragt. All das bleibt an diesem Tag haften und richtet massiven Schaden für die Stadt, die Demokratie und die politische Kultur an.“ Frau Jarasch, lässt sich feststellen, scheint immer noch stinksauer auf die Berliner SPD zu sein, weil die künftig lieber gemeinsam mit der CDU und mehr noch unter ihr regieren wird – anstatt mit den Grünen und den Linken.

„AfD furzt. Alle springen druff. Berlin, dit“

Was sich bei der Bewertung des Vorgangs auch wieder einmal zeigt, ist die Nonchalance, mit der der Begriff „Demokratie“ umgedeutet und pur-demokratische Vorgänge (geheime Wahlen) als „undemokratisch“ geframet werden. Denn es ist, nüchtern betrachtet, eigentlich völlig egal, ob die AfD in Gänze oder teilweise ebenfalls für Wegner als Regierenden Bürgermeister Berlins gestimmt hat. Denn das ist ihr gutes, ihr demokratisches Recht. Trotzdem entblödet man sich in der politischen Debatte nun erneut, indem man die AfD zur Referenzgröße macht. Oder wie es Bild-Vize Paul Ronzheimer auf Twitter formulierte: „AfD furzt. Alle springen druff. Berlin, dit.“
 

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Die Empörung, die sich infolge der Wahl jetzt entsponnen hat, ist so unangenehm für die „politische Kultur“ (Jarasch) wie zweifach durchschaubar. Erstens: Die AfD bleibt ihrer PR-Strategie treu, hält ihren Gegnern ein Stöckchen hin – und die springen derart lustvoll darüber, als hätte Alice Weidel gerade vor laufender Kamera eine Katze getreten. Und zweitens: Auch Teile der SPD-Parteilinken und der Grünen treten – und zwar nach, weil sie partout nicht einsehen wollen, dass sie bei der Berlin-Wahl und in den anschließenden Koalitionsspielen verloren (Grüne) respektive sich nicht wie gewünscht durchgesetzt haben (SPD-Parteilinke). 

„Wahrheitsgehalt der AfD-Propaganda“

Der Versuch, Kai Wegner und der CDU im Vorfeld der Wahl und der Koalitionsverhandlungen mit der SPD „Rassismus“ anzudichten, hat schon nicht funktioniert. Also versucht man es – weil die Definition von Wahnsinn bekanntlich ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten – jetzt noch ungelenker ums Eck, weil die AfD ihre Chance gesehen hat, mit der Behauptung, man habe Wegner unterstützt, für ein bisschen Wirbel in eigener Sache zu sorgen; was wiederum gar nicht nachprüfbar ist, weil, wie erwähnt, alle drei Wahlgänge geheim waren. 

Da darf man auch ruhig mal Ralf Stegner halbzustimmend zitieren, der twitterte: „Anders als bei der eindeutigen Sachlage der unseligen Kemmerich-Wahl in Thüringen ist die Sache in Berlin heute zwar auch ein politisches Trauerspiel, aber nichts (weder arithmetisch noch politisch) spricht für irgendeinen Wahrheitsgehalt der AfD-Propaganda beim dritten Wahlgang.“ Halbzustimmend deshalb, weil auch Stegner nicht weiß, was dran ist an der AfD-Behauptung, aber immerhin erkennt, dass die halbseidene Empörung über eine nicht-nachprüfbare Behauptung der AfD einzig und allein der AfD nutzt. 

Die Gunst der Stunde

Während sich die Grünen nun also empören und als schlechte Verlierer geradezu kindisch versuchen, Wegner doch noch irgendeinen Strick zu drehen, haben einzelne SPD-Abgeordnete offensichtlich bewusst ihrer eigenen Partei geschadet, weil sie sich (mindestens) kurzzeitig für den Ego-Trip entschieden haben. Denn die ganze Aufregung, die ja eine direkte Folge der ersten und zweiten Wahlgänge ist, hätte man von vornherein ausschließen können, indem man direkt geschlossen aufgetreten wäre – und schon im ersten Wahlgang gemeinsam für Wegner gestimmt hätte. 

Die neue Koalition aus CDU und SPD verfügt, wie ebenfalls eingangs erwähnt, über 86 Stimmen und die Opposition aus Grünen, Linken und AfD über 73. Die Mehrheit lag damit bei 80 Stimmen. Im ersten Wahlgang bekam Wegner zunächst 71 Stimmen, im zweiten Anlauf 79. Erst im dritten Wahlgang kamen dann 86 Stimmen für Wegner zusammen. Heißt auch: Entweder einzelne CDU-Abgeordnete stimmten zunächst nicht für Wegner, was eher unwahrscheinlich ist, oder, was deutlich wahrscheinlicher ist, einzelne SPD-Abgeordnete nutzten die Gunst der Stunde, um ihrem Widerwillen noch einmal Luft zu machen – auf Kosten der eigenen Partei. 

Dafür kann die AfD allerdings nichts

Wofür, lässt sich daher fragen, stimmt man – wie am vergangenen Wochenende geschehen – parteiintern eigentlich ab über eine Koalition mit der CDU, wenn man sich anschließend nicht an das Ergebnis hält? Schon richtig, die Zustimmung der SPD zur Großen Koalition in Berlin erhielt unter den Genossen nur eine knappe Mehrheit. Aber, um zur Eingangsfrage zurückzukommen: Muss man sich den Start dieser Großen Koalition wirklich derart selbst erschweren, weil man auf der Zielgeraden noch kurz eine Rechnung mit Franziska Giffey begleichen will? Dass die SPD eine gespaltene Partei ist, wissen Beobachter längst. Das muss man nicht nochmal extra betonen. 

Was hängenbleibt vom Bürgermeister-Wahltheater in Berlin wird jedenfalls nicht sein, dass Wegner als neuer Regierender Bürgermeister Berlins irgendein Legitimationsproblem hätte, und sei es auch nur ein vermeintlich moralisches. Nein, was hängenbleibt, ist, dass Teile der Berliner SPD sich besser aufs Nachtreten verstehen denn aufs Pflichtbewusstsein, die Lage der bundesrepublikanischen Hauptstadt notfalls eben auch gemeinsam mit der CDU zu verbessern. Dafür kann die AfD wiederum nichts. Da muss sich die Berliner SPD schon an die eigene Nase fassen.

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