Corona-Debatte - Von Friede und Freud

Die Corona-Pandemie macht längst überwunden Geglaubtes wieder erlebbar: Das Kastenwesen ist zurück. Was also tun, um in der vierten Welle nicht endgültig den Verstand zu verlieren? Ein guter Vorsatz könnte helfen: Wer von der Corona-Politik nichts mehr erwartet, der wird auch nicht enttäuscht.

Corona-Test unterm Weihnachtsbaum / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Der Mensch ist ein Herdentier. Es macht vielleicht Sinn, in Zeiten wie diesen daran zu erinnern. Denn die Debatte um das Corona­virus und unseren heroischen Kampf gegen die Pandemie hat sich in der Breite weitgehend verabschiedet vom Diskurs über reine Zahlen und Fakten, über medizinische Erkenntnisse. Der Klang ist kurz vor Weihnachten noch mal rauer geworden, kompromissloser. Die Losung lautet längst: „Sag mir, wie du über das Impfen denkst, und ich sage dir, wer du bist.“ 

Herzlich willkommen im Corona-Kastenwesen, möchte man da in die Welt rufen. Und so setzt sich in der Corona-Debatte fort, was woanders schon länger das reflektierte Denken hemmt wie die Corona-­Politik die Besitzer von Glühweinständen: Der ganze identitätspolitische Irrsinn lässt auch in Pandemiezeiten schlichte Gemüter frohlocken, deren Welt vor allem aus Schubladen besteht, in die sie andere stecken. Nur geht es bei Corona eben nicht um Zufälliges wie Geschlecht oder Hautfarbe, nach dem weihnachtselfenemsig separiert wird, sondern um den Impfstatus und die jeweilige Meinung zur Impfpflicht, versteht sich. 

Lackmustest Impfstatus

Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil es ja nie einfacher war, nicht in Kasten zu denken. Nie war es leichter, mit Sichtweisen in Kontakt zu kommen, die nicht die eigenen sind, inklusive Erläuterung, warum das so ist. Und die Wahrheit ist auch, dass in der Corona-Pandemie das meiste kein bisschen so klar und eindeutig ist, wie es, sagen wir, Eckart von Hirschhausen im Ersten propagiert. Der ging dort jüngst sogar auf Ungeimpftenfang. Ein armer Ostdeutscher musste dran glauben und bekam vor laufender Kamera seine erste Impfung gespritzt. Am Ende schwamm Hirschhausen bei elf Grad in der Ostsee dem Sonnenuntergang entgegen. So geht Corona-Fernsehen. 

So viel Harmonie ist freilich erstunken und erlogen, ein Happy End kein bisschen in Sicht. Denn unversöhnlich fetzen sich derzeit Impfaktivisten und Impfgegner, dazwischen wird je nach Standpunkt zerrieben und zugeordnet, wer sich gar nicht zuordnen lassen will. Alles im Sinne der Rudelbildung, alles ganz schön emotional, niederen Instinkten folgend. Wer im Schützengraben liegt, hat eben keine Zeit, groß nachzudenken. 

Wer heute auf Ungeimpfte spuckt, dem ist das große Echo sicher. Manchmal, so in Berlin gesehen, kommt gar die Antifa herbeigeeilt und zerrt „Querdenker“ aus der U-Bahn. Und die „Komikerin“ Sarah Bosetti vergleicht Impfverweigerer fürs ZDF mit einem Blinddarm, der „ja nicht im strengeren Sinne essenziell ist für das Überleben des Gesamtkomplexes“. Woran das erinnert, liegt auf der Hand. Doch die ganze Empörung darüber, so Bosetti später, sei nur ein „orchestrierter Shitstorm von rechts“ gewesen. Faschisten sind halt immer die anderen. 

Alles Rechte

Apropos Faschisten: Wer so irre ist, mit Fackeln vor das Wohnhaus der sächsischen Ministerin Petra Köpping zu marschieren, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. Auch jenen nicht, die, wie jüngst in Bayern, vor lauter Frust einen ganzen Landtag per Volksentscheid abberufen wollten. Ein entsprechendes Plakat hat sich der Autor dieser Zeilen dankend für das „Schrottwichteln“ mit Freunden vom Baum geknipst (das wegen Corona aber doch nicht stattfand). Oder nehmen Sie nur die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in Wien: Da machten Gerüchte die Runde, der Staat impfe von unten heimlich durch die Kanaldeckel. Wer solche Hirngespinste frei Haus bekommt, braucht als Schreiber keine Pointen mehr. 

Und am Rande von alledem werden dann noch Leute wie der Philosoph Richard David Precht oder Svenja Flaßpöhler, die Chefredakteurin des Philosophie Magazins, nonchalant zu Rechten erklärt, weil sie gegen die Ungleichbehandlung von Geimpften und Ungeimpften wettern. In präpandemischen Zeiten wäre das nicht passiert. In postdemokratischen Zeiten ist das anders. Da können Precht und Flaßpöhler schon froh sein, von Frank Plasberg nicht im Büßergewand um die Havelseen gescheucht zu werden. 

Es wäre so einfach

Immerhin, das zum kleinen Trost, treibt die Corona-­Debatte auch heitere Blüten. Das mit den Impfgegnern, das habe „schon fast religiöse Züge“, gab Jens Spahn (CDU) noch als Bundesgesundheitsminister zu Protokoll. Am 4. Dezember 2021 war das. Am gleichen Tag sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) den wunderbaren Satz: „Impfen ist der Moses, der uns aus dieser Pandemie führt.“ Auch die Sekte sind halt immer die anderen. 

Einfach aussteigen aus dem Corona-Zirkus, das wäre schön, Wintermantel übergeworfen und für immer fort von hier. Das ginge in Bayern, wo der Autor dieser Zeilen wohnt, sogar ganz besonders gut. Einfach mit der Oberlandbahn an den Tegernsee, von dort weiter nach Tirol und bis hinunter nach Lazise an den Lago di Garda. Auf Nimmerwiedersehen, ihr verrückten Deutschen! Welch ein schöner, welch ein friedlicher Gedanke. Wenn’s doch nur so einfach wäre. Ist es aber nicht. Leider. 

Wie aushalten?

Stattdessen gehen die Höllenqualen erst mal weiter: Karl Lauterbach (SPD) ist jetzt Bundesgesundheitskassandra. Christian Lindner (FDP) ist derweil eingeknickt und plädiert nach der Wahl doch für eine Impfpflicht, dieses „scharfe Schwert“, das also doch „verhältnismäßig“ sei. Vorweihnachtsgrüße von der Umfallerpartei. Und, ach ja, unser Oberhirte Olaf Scholz war kürzlich bei Joko und Klaas auf ProSieben zu sehen, wo er eindrücklich an die Impf-Vernunft seiner Schäflein appellierte, unterlegt von Streicherklängen. Das war, als ob Engelein singen – von Friede und Freud. Nur ohne Friede und ohne Freud, dafür mit Scholz. 

Was also tun, um in der vierten Welle nicht endgültig den Verstand zu verlieren? Das ist doch die Frage. Ein guter Vorsatz wie dieser könnte helfen: Wer von der Corona-Politik nichts mehr erwartet, der wird auch nicht enttäuscht. Das wäre vielleicht der rechte Weg aus dem geistigen Lockdown, aus diesem Kopf-Corona, das, so muss man das sagen, auch ein bisschen dümmer macht. Also der „rechte Weg“ im Sinne von „richtig“, versteht sich. Sie wissen ja, warum. In diesem Sinne bleibt noch zu sagen: Frohe Weihnachten, einen guten Rutsch und ein frohes neues Corona-Jahr 2022. Bleiben Sie gesund. Vor allem im Kopf.

 

Dieser Text stammt aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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