Volksentscheid in Berlin - Radikale Klimaschützer scheitern

Eigentlich ist in Berlin ja alles möglich, aber seit heute gibt es wieder Hoffnung: Der überzogene Versuch, bereits im Jahr 2030 Klimaneutralität zu erreichen, ist in einem Volksentscheid gescheitert. Sogar gegen die widersprüchliche Empfehlung von „Experten“. In Wahrheit haben die radikalen Klimaschützer dem Klimaschutz einen Bärendienst erwiesen.

Zahlreiche Prominente, darunter Luisa Neubauer, warben beim „Berlin Climate Aid“ Konzert am Brandenburger Tor für den Volksentscheid – ohne Erfolg / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Berlin ist ja immer für eine Überraschung gut. Und für lustige Sachen. Mit Spannung ist daher auch der Volksentscheid über die Frage erwartet worden, ob die Hauptstadt bereits ab dem Jahre 2030 klimaneutral sein soll statt erst 2045.

Bei der heutigen Abstimmung hing alles von einer Frage ab: Würden am Ende so viele Berliner zur Wahl gehen, dass mehr als 25 Prozent der Abstimmungsberechtigten mit „Ja“ stimmen, also rund 607.000 Berliner? Denn es reicht in diesem Fall nicht einfach bloß eine Mehrheit, sondern es muss außerdem dieses Mindestquorum an Ja-Stimmen übersprungen werden.

Aber dieser Fall ist nicht eingetreten, obwohl man es hätte gut und gerne für möglich halten können. Insgesamt lag die Beteiligung an der Abstimmung bloß bei rund 35 Prozent. Zwar erreichten die Befürworter einer klimaneutralen Hauptstadt mit etwas mehr als 400.000 Ja-Stimmen eine knappe Mehrheit  von rund 51 Prozent der abgegebenen Stimmen. Aber insgesamt wurde damit das Quorum von 25 Prozent an Ja-Stimmen aller Wahlberechtigten verfehlt. Dabei floss sogar fast eine halbe Million Euro an Spendengeldern aus den USA für die Kampagne.

Das Ergebnis ist gerade aufgrund der geringen Abstimmungsbeteiligung bemerkenswert und vielsagend. Weite Teile der Stadt blieben zu Hause oder genossen draußen den Frühling. Der Überhang sowohl bildungsbürgerlicher als auch linksliberaler Stimmen dürfte daher überwiegend sein. Nicht einmal unter den gebildeten und in großem Umfang woken Wählern der Stadt hat der Kurs der radikalen Klimaschützer eine Mehrheit. Dass die Grünen der Hauptstadt nach der Wahl und als absehbar war, dass sie nicht an der Regierung beteiligt sein würden, plötzlich auf den Kurs der Initiatoren des Volksentscheides wider besseres Wissen umgeschwenkt sind, hat ihnen bloß eine doppelte Niederlage beschert. Opportunisten sind halt irgendwie unsympathisch.

Diesmal ging es tatsächlich um etwas

Im Unterschied zum Volksentscheid über die Enteignung großer Wohnungskonzerne, an dem sich noch fast drei Viertel der Berliner beteiligten und eine deutliche Mehrheit von ihnen mit „Ja“ stimmte, stand tatsächlich etwas auf dem Spiel. Damals sollte der Senat bloß aufgefordert werden, ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen. Diesmal hätte der Beschluss mit sofortiger Wirkung geltendes Recht geändert.

Die meisten der Änderungsvorschläge waren dabei eher lyrischer und symbolischer Natur. Aber zwei hatten es tatsächlich in sich. So sollte das Erreichen der Klimaneutralität von 2045 auf 2030 vorgezogen werden. Wobei: Eigentlich ging es nur um eine CO2-Reduktion um 95 Prozent.

Außerdem stand im Gesetz: Kommt es infolge seiner Umsetzung zu Maßnahmen, die Mietsteigerungen zur Folge haben, sollte der „Erhöhungsbetrag dem Zahlungspflichtigen als monatlicher Zuschuss aus dem Landeshaushalt“ erstattet werden. Und zwar bis zum Jahr 2050.

Ein Förderprogramm für Immobilienbesitzer

Eigentümer hätten dann also energetische Luxussanierungen bis zum Abwinken auf den Weg bringen, ihren Mietern kräftig die Mieten erhöhen können - und Vater Staat hätte das alles bis auf den letzten Cent bezahlen müssen. Die Immobilienwirtschaft rechnete im Vorfeld mit Kosten von rund 90 Mrd. Euro. Eine veritable Vermögensvermehrung für Grundbesitzer finanziert aus dem allgemeinen Steueraufkommen wäre das gewesen – im Rahmen des Länderfinanzausgleichs subventioniert durch Bayern und Baden-Württemberg. Das wäre fast lustig gewesen: Erst Immobilienbesitzer enteignen wollen, um deren Vermögenswerte kurze Zeit später auf Kosten aller explodieren zu lassen.
 

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Aus der Berliner Politik hagelte es auch deshalb seit Wochen Argumente dagegen, dass die Klimaneutralität schon im Jahre 2030 erreichbar sei. Jedenfalls die amtierende Bürgermeisterin und ihr künftiger Nachfolger von der CDU waren sich da ganz einig. Beide trommelten dafür, unbedingt zur Abstimmung zu gehen und mit „Nein“ zu stimmen. Man konnte ihre Verzweiflung fast körperlich nachempfinden.

Dabei hätte man den Berlinern am Ende vielleicht nicht einmal einen Vorwurf machen können, wenn die Abstimmung anders ausgegangen wäre. Selbst führende Wissenschaftler haben ihren Beitrag zur Irreführung der Öffentlichkeit geleistet.

Wissenschaftler auf logischen Abwegen

So war zum Beispiel Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zu einem Interview beim rbb geladen. Der Moderator wollte nur eines wissen: „Ist das überhaupt machbar?“ Derzeit drehen sich in Berlin nämlich nur sieben Windräder. Rund 90 Prozent der Energie der Stadt stammen aus Öl, Gas und Kohle. Und in nur sieben Jahren hätte alles anders werden sollen. Der Klima- und Energieforscher Bernd Hirschl hatte zuvor in einer wissenschaftlichen Studie gezeigt: Das Jahr 2030 ist völlig unrealistisch.

Jaja, das sei alles schon ziemlich „ambitioniert“, da habe man sich „sehr viel vorgenommen“, meinte Kemfert. Aber am Ende sagte sie trotzdem: „Also, ich find’s gut.“ Auch der Hinweis des Moderators, dass die Machbarkeit doch sehr umstritten sei, brachte sie nicht aus der Ruhe: „Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.“ Aber was ist eigentlich die Mitte zwischen zwei sich logisch ausschließenden Positionen?

Noch kurioser war da nur Fritz Reussig vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Er erklärte vor der Abstimmung ohne mit der Wimper zu zucken: „Meine These ist, dass wir es bis 2030 nicht schaffen. Ich glaube, dass 2045 realistisch ist.“ Allerdings brachte ihn das nicht dazu, den Volksentscheid zu kritisieren oder gar abzulehnen. Im Gegenteil: „Ich bin trotzdem für den Volksentscheid, weil es politisch sinnvoll ist.“

Schaden für die Demokratie

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: mit wissenschaftlicher Dignität gegen die Realität. Volksbegehren gegen die Wirklichkeit: Das hätte die Welt tatsächlich noch nicht gesehen gehabt. Wären die Initiatoren des Volksbegehrens erfolgreich gewesen, hätten sie in Wahrheit nur eines erreicht: der Idee der direkten Demokratie großen Schaden zuzufügen und den öffentlichen Diskurs weiter in Richtung Infantilisierung zu treiben.

Aber ganz offenbar ist der gemeine Wähler nicht so blöde, wie manch einer glaubt. Manchmal ist er politisch sogar klüger als angesehene Wissenschaftler. Dabei darf man sich allerdings auch keinen Sand in die Augen streuen: Als es um die mögliche Enteignung großer Immobilienkonzerne ging, ging es um „die Bonzen“.

Keine guten Aussichten für den Klimaschutz

Mit dem Volksbegehren des heutigen Tags ging es stattdessen um die konkreten Folgen für jeden Bürger und jede Bürgerin. Das Wahlvolk weiß offenbar ganz genau, was am Ende in seinem Interesse ist – und was nicht. Das empfindlichste Körperteil des Menschen ist und bleibt eben sein Portemmonaie.

Für Wegener und Giffey ist das indes keine gute Botschaft, weil es zugleich die politischen Grenzen des Machbaren bei der Rettung des Planeten aufzeigt. Und es ist ebenso ein bedeutungsvolles Signal in Richtung Bundesregierung für allzu ambitionierte Reformvorhaben in Sachen Klimaschutz. In Wahrheit haben die radikalen Klimaschützer daher heute nicht nur der Demokratie einen Bärendienst erwiesen, sondern auch noch dem Klimaschutz.

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