Volksbegehren für Enteignung - Die dümmste Debatte des Jahres

Bundesweit haben am Wochenende Zehntausende Menschen gegen „Mietenwahnsinn“ und für ein Volksbegehren für Enteignung demonstriert. Die Folgen einer Verstaatlichung privaten Wohnraums wären jedoch katastrophal – nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht

Republik-Dämmerung: Die Demos für die Verstaatlichung von Wohnungsunternehmen drehen das Rad zurück/ picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Spätphasen von Zivilisationen sind durch einen frivolen Objektetausch gekennzeichnet: Der ganze verbliebene Gestaltungsehrgeiz wandert in symbolische Felder, während das real zu beackernde Feld brach liegt. Am Ende von Rom war die Frage nach der Fußbodenheizung abendfüllend. Und Deutschland diskutiert seit geraumer Zeit über die Frage, ob man private Wohnungsfirmen enteignen, ihnen also jene Wohnungen aus ihrem Besitz wegnehmen soll, die sie in zu großer Zahl besäßen. Denn, so heißt es, Wohnen sei ein Menschenrecht. Darum sieht man auf Deutschlands Straßen derzeit das denkbar dümmste Demonstrationsplakat in die Höhe gereckt: „Keine Rendite mit der Miete“.

Der Slogan machte rasch Karriere. 2012 war so ein Demonstrationsaufruf linker, sehr linker und extrem linker Gruppen in Berlin betitelt, 2015 ging die sozialistische Wochenzeitung „Unsere Zeit“, herausgegeben von der DKP, mit dem Spruch auf Aufmerksamkeitsfang. Heute wird das kommunistische Motto von der Linkspartei gutgeheißen, die in Thüringen den Ministerpräsidenten stellt und in Berlin mitregiert, und von den Grünen mit Wohlwollen begleitet, wodurch deren bürgerliche Mimikry Risse bekommt. Auch in der SPD gibt es Sympathien für Enteignungen als staatliches „Notwehrrecht gegen Marktradikalismus“ Warum ist das Motto so töricht? Weil es die Grundlagen unserer Republik untergräbt, von deren Freiheiten nicht zuletzt DKP und Linkspartei und Grüne profitieren.

Bummel- und Bankrottstaat Berlin

Was geschähe nach einem faktischen „Verbot von kapitalistischen Immobilien-Großkonzernen“ (DKP)? Was wäre die Folge einer „Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung“, wie es ein Berliner Volksbegehren fordert, das von der Linkspartei unterstützt wird? Was bewirkte der „Aufbau eines hohen öffentlichen Bestands an Wohnungen“, „notfalls“ durch „Enteignungen zum Allgemeinwohl“, wofür sich Robert Habeck von den Grünen in einem irrlichternden Interview erwärmt? Der Vermieter der Wohnungen wäre der Staat – ein Staat freilich, der durch die milliardenschweren Entschädigungen, die er den „Immobilien-Großkonzern“ zahlen müsste, deutlich ärmer wäre als heute.

Der Staat wäre – am Ende womöglich jahrzehntelanger Rechtsstreitigkeiten – im Besitz von Wohnungen, die er am Höhepunkt eines Immobilienzyklus‘ teuer eingekauft hätte. Der Staat, bisher nicht als idealer Sachwalter des „Allgemeinwohls“ (Habeck) in Erscheinung getreten, schon gar nicht im Bummel- und Bankrottstaat Berlin, wäre der mit Abstand größte Vermieter. Er dürfte für seine Wohnungen keine marktüblichen Mieten verlangen, müsste sie also permanent subventionieren. Die Arbeiten am Bestand, Renovierung und Pflege und Unterhalt, verteuerten sich mit dem Markt, während die Mieten relativ stagnierten, sodass der Wert des Bestandes sänke. Die Wohnungen würden an Wert verlieren. Der Schuldendienst müsste dennoch geleistet werden. Der Staat könnte dann immer weniger in die Wohnungen investieren – sofern er nicht Geld zu drucken beginnt, was freilich die Inflation anheizt, worunter die Günstigmieter als Erste leiden. Siehe Venezuela.

Institutionalisierte Schizophrenie

Es ist die Erwartung auf Rendite, die einen Wohnungseigentümer motiviert, sich um seine Wohnungen zu kümmern. Was nichts abwirft, verfällt. Was keinen Wert besitzt, wird wertlos. Dass es Exzesse der Renditegier gibt: Ja, fraglos, in verurteilenswerten Ausnahmefällen, und die nehmen leider gerade in Berlin zu. Da ist kluges rechtsstaatliches Gegensteuern gefragt. Doch die enteignete, verstaatlichte Wohnung bedeutete Exzesse der Staatlichkeit als Regel. Der Staat, für solches Unternehmertum weder gedacht noch gewappnet, wäre Hauptakteur in einem Markt, dessen Funktionieren er zugleich gewährleisten soll. Das wäre institutionalisierte Schizophrenie zum Nachteil der Freiheit. Und wenn das Eigentumsrecht kassiert werden kann, „um gegen die grassierende Wohnungsnot vorzugehen“ (Habeck) – warum soll der Staat es bei diesem Eingriff in die Freiheitsrechte seiner Bürger bewenden lassen? So wird die Axt an die Grundlagen unseres republikanischen Zusammenlebens gelegt.

Gerne mag, wer es nicht lassen kann, lustige Schildchen hochhalten mit kindgemäßen Botschaften. Doch wer vom #Mietenwahnsinn spricht, ohne vom #Steuerwahnsinn zu reden, der sollte vom #Mietenwahnsinn schweigen. Die Zahl derer, die sich eine schöne Wohnung leisten können, stiege rapide, wäre der Staat nicht so hemmungslos gierig und reduzierte er die Steuer- und Abgabenlast. So aber werden wir bald ein Volk sein von vermögenslosen Spitzensteuerzahlen.

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