Urwahl bei CDU/CSU - Revanche nach neuen Regeln

Ausgerechnet bei CDU und CSU entdeckt die Basis ihre Liebe zur Urwahl für die Kanzlerkandidatur. Doch insbesondere bei der Jungen Union steckt weniger das Interesse am neuen demokratischen Verfahren dahinter. Es geht um neue Chancen für einen Unterlegenen

Rückspiel: Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer im Juni 2019
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Vom heutigen Montag an sind die halbe Million SPD-Mitglieder aufgerufen, eine neue Parteispitze zu wählen. Den ersten Teil des Contests haben sie mit ermüdend langen 23 Auftritten der Kandidaten hinter sich. Während bei den Sozialdemokraten die Urwahl in ihre zweite entscheidende Phase geht, wächst zur gleichen Zeit das Gelüst bei der Union, ihren Kanzlerkandidaten oder die Kanzlerkandidatin ebenfalls per Urwahl bestimmen zu lassen. Besonders lautstark und nachdrücklich die Junge Union, die bei ihrem Deutschlandtag schon einmal zur Anschauung ein ähnliches Schaulaufen der Kandidaten organisiert hat wie die SPD auf der Suche nach ihrem Vorsitzenden-Duo.

Dem Selbstverständnis der Sozialdemokraten entspricht diese Vorgehensweise. Sie haben es gerne lang und zäh und ausdiskutiert bis zum Schluss. Wenn aber die strukturell autoritär tickende Union ihre plötzliche Liebe zur Basisdemokratie entdeckt, ist eine gewisse Vorsicht, ein gesunder Argwohn geboten. Und tatsächlich ist diese Begeisterung für die Basisdemokratie in Wahrheit vor allem ein Misstrauensvotum gegen die Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Die hatte in den zehn Monaten ihres Vorsitzes nicht gerade einen Lauf, und schon vorher konnte sich ein erheblicher Teil der CDU nur mit Mühe mit ihr anfreunden. Das Ebenbild von Angel Merkel wurde in ihr gesehen, ob nun zu Recht oder zu Unrecht spielt dabei gar keine große Rolle. Und ihre Emanzipationsversuche von der Machthaberin haben den Skeptikern nicht gerade neuen Grund gegeben, ihr Urteil zu überdenken.

Ähnlich wie bei Joschka Fischer und den Grünen

Annegret Kramp-Karrenbauer muss erleben, dass Merkel nicht nur weiter Kanzlerin ist, sondern auch eine Art informelle Nummer Eins der CDU, ähnlich wie das bei Joschka Fischer und den Grünen der Fall war, der nie ein Parteiamt innehatte und trotzdem immer gesagt hat, wo es langgeht.

Bestätigte Zweifel an AKK – und dann ist da eben immer noch die Sehnsucht nach einer Figur, die mit dem Merkel-Kurs in der Union so beherzt Schluss macht wie Robespierre in Frankreich mit der Monarchie. Die Figur, in der sich all diese Sehnsüchte bündeln, heißt nach wie vor Friedrich Merz. Ihn haben die jungen Unionisten denn auch in Saarbrücken bei ihrem Deutschlandtag in Saarbrücken beklatscht, bis die Handflächen brannten.

Der wahre Grund für die Gelüste auf die Urwahl

Die Sache mit der Urwahl ist der taktisch-operative Versuch, Friedrich Merz wieder ins Spiel zu bringen. Vor einem knappen Jahr hatte er seine Chance, gegen AKK im Kampf um den Parteivorsitz zu gewinnen. Er hat sie in Hamburg bei Parteitag vergeigt, man kann das nicht anders sagen. Jetzt wollen ihm seine Fans zumindest ein Rückspiel ermöglichen. Und für dieses Rückspiel wollen sie die Regeln ändern. Das ist der wahre Grund für die Gelüste auf die Urwahl.

Aber die CDU sollte sich gut überlegen, ob sie für dieses Ziel wirklich die Regeln ändern sollte. Die Urwahl ist eine Methode, die zwar größtmöglichen Rückhalt, aber nicht zwingend Exzellenz hervorbringt. Und derjenige, der die meisten Parteimitglieder hinter sich vereint, ist auch nicht zwangsläufig der aussichtsreichsten Kandidat im Rennen um das Kanzleramt. Denn wer Kanzler werden will, muss gerade aus dem Reservoir der anderen bei der Wahl ein paar Überläufer herauslösen. Sonst reicht es nicht. So wie das einst bei der SPD und Gerhard Schröder der Fall war.

Kraft, Willen und Raffinesse

Hätte die SPD eine Urwahl abgehalten, dann hätte sie den Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine auf den Schild gehoben, der da auch gerne draufgestanden hätte. Niemals hätte Schröder eine Urwahl gewonnen. Aber eine Bundestagswahl eben schon.

Um Kanzlerkandidat zu werden, musste Schröder ein ungeheueres Maß an Kraft, Willen und Raffinesse an den Tag legen, bis hin zu dem Kniff, die Niedersachsenwahl und deren vorher definierte Wahlausgang als Maßstab für seine Kanzlerkandidatur festzusetzen.

Kandidaten mit unbedingtem Willen

Diese Kraft, diese Energie, diesen eisernen Willen und diese Raffinesse muss auch die Person an den Tag legen, die Annegret Kramp-Karrenbauer die Kandidatur streitig machen will. Denn nur wer über diese Eigenschaften verfügt, hat auch das Zeug zum Kanzler. Friedrich Merz hat es bislang an diesem letzten Willen allzu oft im entscheidenden Moment mangeln lassen. Zuletzt bei seinem laschen Auftritt in Hamburg vor einem knappen Jahr. Wenn er Revanche will, und für die Union die Kanzlerschaft erringen, dann sollte er sich für diese Revanche nicht von seinen Claqueuren mit dieser durchsichtigen Nummer Urwahl die Bahn freischießen lassen. Sondern kämpfen, kämpfen, kämpfen.

Bisher war er sich meistens zu fein dazu. Auch schon, als er für Merkel den Fraktionsvorsitz frei machen musste, und sich danach nicht durchbiss, sondern schmollend von dannen zog. Was die Gabe zum Durchbeißen, diesen unbedingten Willen anlangt, gibt es aber in der Union Kandidaten, die diese Eigenschaft schon bis hierher in weitaus höherem Maß gezeigt haben als Friedrich Merz.

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