Ulrike Guérot für Kandidatur offen - Wagenknecht sammelt Kandidaten für Europawahl

Seit Monaten rätselt die ganze Republik über die Frage, ob Sahra Wagenknecht noch in diesem Jahr die Gründung einer neuen Partei wagen wird. Während sie sich selbst bisher alles offen hält, mehren sich die Anzeichen für eine weitere Erschütterung der Parteiendemokratie.

Sahra Wagenknecht / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Besser als jetzt werden die Bedingungen für die Gründung einer neuen Partei wahrscheinlich nicht mehr. Nach einer aktuellen von Bild in Auftrag gegebenen INSA-Umfrage sind rund zwei Drittel der Deutschen nicht nur mit der Arbeit der aktuellen Bundesregierung unzufrieden, sondern wünschen sich gleich eine neue. Besonders schlecht schneidet Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ab. Nur noch 22 Prozent der Bundesbürger sind mit seiner Arbeit zufrieden, ganze 70 Prozent hingegen unzufrieden. 

Was für die Regierung katastrophal klingt, ist dabei für eine Wahldemokratie gar nicht so ungewöhnlich, sondern eher die Regel. Wertet man entsprechende Umfragen der letzten 25 Jahre aus, ergibt sich folgendes Bild: Im Oktober 2015 waren 69 Prozent der Befragten unzufrieden mit der Regierung, im Juli 2018 sogar 78 Prozent und damit weit mehr als heute. Und auch nur ein Jahr nach Gerhard Schröders fulminantem Wahlsieg des Jahres 1998 stand die Regierung desolat und schlechter da als heute: Ganze 79 Prozent verweigerten der Regierung damals die Unterstützung. 

Schröders damaliger Trumpf: Eine Mehrheit der Deutschen traute der größten Oppositionsfraktion aus CDU und CSU keine bessere Regierungsarbeit zu. Diese Lage sollte sich bis zum Jahr 2002 halten und Schröder eine zweite Amtszeit bescheren. Für weitreichende Änderungen in der politischen Landschaft reicht die Unzufriedenheit des Wahlvolkes mit seiner Regierung also keinesfalls aus. Dafür braucht es auch überzeugende Alternativen.

Eine Alternative zu den Etablierten

Und da beginnen die Unterschiede zur Situation von vor 25 Jahren. Auch heute trauen der Union nur wenige Wähler eine bessere Politik zu als der Ampel. Aber mit der AfD ist eine Partei entstanden, die auf doppelte Weise im Wählerreservoir der etablierten Parteien wildert. Der Union luchst sie mit ihrer migrationskritischen Haltung im Milieu der Konservativen und der politischen Linken mit ihrer Moderne-Kritik im klassischen Arbeitermilieu Unterstützer ab. Im Unterschied zu vor 25 Jahren gibt es heute also eine Alternative, wenn man mit Regierung und Opposition aus dem Segment der Etablierten gleichermaßen unzufrieden ist. Der AfD verschafft das derzeit Zustimmungswerte von mehr als 20 Prozent.

 

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Die Unterstützer der AfD bekennen allerdings zu zwei Dritteln, von der Partei gar nicht überzeugt zu sein und sie nur als Denkzettel für die Etablierten zu unterstützen. Für die Gründung einer neuen Partei durch Sahra Wagenknecht wären das ideale Bedingungen, die kaum noch besser werden können. Immerhin die Hälfte der derzeitigen AfD- und Linken-Anhänger könnte sich vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Ihr Wählerpotenzial wird auf bis zu 20 Prozent geschätzt. 

Unterdessen verdichten sich die Anzeichen dafür, dass Wagenknecht demnächst die Gründung ihrer Partei bekannt geben wird. Dafür jedenfalls spricht, dass bereits potenzielle Kandidaten für die Europawahl im Jahre 2024 gesammelt werden. Das bestätigt gegenüber Cicero die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot. Sie selbst befinde sich mit Wagenknecht bereits seit geraumer Zeit in Gesprächen und sei von ihr und zuvor auch von anderen gefragt worden, ob sie für eine Kandidatur für das Europa-Parlament bereit stünde. Und das tut Guérot: „Wichtig zu betonen ist mir, dass ich nur ein Angebot unterbreiten kann. Die Entscheidung über eine mögliche Kandidatur von mir müssen die Protagonisten einer neuen Partei treffen.“

Oktober 2023 wird Schicksalsmonat

Die Wissenschaftlerin hat sich in den letzten Jahren vor allem als Kritikerin der Corona-Maßnahmen der Bundesregierung sowie der Waffenlieferungen an die Ukraine einen Namen und auch Feinde gemacht. Plagiatsvorwürfe führten außerdem zu einer Kündigung ihrer Anstellung als Professorin an der Universität Bonn, gegen die sie klagt. Guérot betont denn auch, dass ihre Rückkehr auf den Lehrstuhl für sie derzeit Priorität hätte. Die entsprechende Gerichtsverhandlung ist für den 25. Oktober 2023 angesetzt. Im Oktober soll außerdem bekannt gegeben werden, ob es zur Gründung einer neuen Partei kommt oder nicht. Bisher sei noch nichts endgültig entschieden, so Guérot. Aber sie sei offen für eine berufliche Veränderung.

Aufgrund zahlreicher und vor allem konkreter Planungsaktivitäten aus dem Umfeld Wagenknechts für die Europawahl spricht daher derzeit viel für die Gründung einer neuen Partei. Sie dürfte die deutsche Parteiendemokratie ein weiteres Mal erschüttern und künftige Regierungsbildungen deutlich erschweren. Der Oktober 2023 könnte daher nicht nur für Ulrike Guérot ein Schicksalsmonat werden.

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