Tino Chrupalla bei Markus Lanz - Versuch eines sachlichen Verhörs

Fachkräftemangel, Subventionen, Dexit: Markus Lanz‘ Idee, die AfD auf Sachebene zu kritisieren und mit dem Fraktionsvorsitzenden Tino Chrupalla zu diskutieren, war aller Ehren wert. Dass der Versuch doch in die Hose ging, lag auch an der Auswahl der weiteren Gäste.

Screenshot aus der Sendung / ZDF
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Autoreninfo

Jakob Ranke ist Volontär der Wochenzeitung Die Tagespost und lebt in Würzburg. Derzeit absolviert er eine Redaktions-Hospitanz bei Cicero.

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Fast ein Monat ist seit der Correctiv-Recherche über eine vermeintliche zweite Wannseekonferenz vergangen. Die Zustimmungswerte für die AfD haben sich – Demonstrationen hin, Verbotsdiskussion her – trotzdem nicht entscheidend bewegt: Für die in diesem Jahr anstehenden Wahlen werden spektakuläre Stimmengewinne der Rechtspopulisten erwartet. Grund genug für Teile der etablierten Parteien, den Strategiewechsel zu suchen und die AfD „inhaltlich zu stellen“; ein Versprechen, das einzulösen sich vor allem die CDU vorgenommen hat. 

Warum die inhaltliche Konfrontation den Amateuren überlassen? Das mag sich Talkshow-Moderator Markus Lanz gedacht haben, der den gestrigen Abend mit dem Versuch verbrachte, AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla auf den Zahn zu fühlen. Lanz wollte „die Chance nutzen, etwas intensiver über Wirtschaft zu sprechen“. Zu diesem Zweck hatte die Redaktion allerdings nicht nur den dänischstämmigen Wirtschaftsminister von Schleswig Holstein, Claus Ruhe Madsen (CDU), sondern auch die Journalistin Franziska Klemenz und den Erfolgsschriftsteller und Ostdeutschland-Erklärer Lukas Rietzschel eingeladen. Ganz ohne AfD-Metadiskussion wollte man den Abend dann eben doch nicht bestreiten, und so begann Lanz mit der Nachricht von der gerichtlichen Bestätigung der Einstufung der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative als „gesichert rechtsextrem“

Chrupalla witterte im Agieren des Verfassungsschutzes erwartungsgemäß eine politische motivierte Indienstnahme, was Lanz mit markentypisch übersteigertem Erstaunen quittierte: „Sie haben keine Idee, warum man die als gesichert rechtsextrem einstuft?“ Freilich hatte Chrupalla die nicht, der bereitwillig seine Definition von Rechtsextremismus zum Besten gab: Rechtsextrem sei jemand, der die freiheitlich-demokratische Grundordnung mit Gewalt bekämpfe. Ist Björn Höcke rechtsradikal? „Natürlich nicht.“ Klemenz, wohl nur für dieses eine Thema eingeladen, referierte bekannte Höcke-Zitate, vom Mahnmal der Schande bis zum afrikanischen Ausbreitungstyp. Für Chrupalla kein Beweis: Auch Politiker anderer Parteien griffen verbal mal daneben. 

CDU-Mann Madsen warf den Deutschen schlechte Laune vor

Eine abgewogene juristische Perspektive auf Extremismusdefinitionen hätte der an sich wichtigen Diskussion vermutlich gutgetan. So jedoch entspann sich ein eher erkenntnisarmes Geplänkel zwischen Chrupalla und Lanz, der sich erkennbar abmühte, den AfD-Chef ins Verhör zu nehmen, ohne dabei unfair zu werden. Mit Chrupallas Interpretation der Arbeit des Verfassungsschutzes hatte Lanz genauso „ein echtes Problem“ wie mit dem AfD-„Opfernarrativ“; über derartige Meinungsbekundungen gelangte der Moderator jedoch nicht hinaus. Ins Straucheln kam Chrupalla, der den absoluten Löwenanteil der Redezeit bekam, so nur kurz, als er erklären sollte, ob er den rechtsradikalen Zahnarzt Gernot Mörig kenne, der bei dem von Correctiv observierten „Geheimtreffen“ als Gastgeber fungiert hatte. Nach sätzelangen Ausführungen, dass eine theoretische Bekanntschaft völlig harmlos wäre, fiel schließlich das „Ja, ich kenne ihn“. „Was eiern Sie dann so rum?“ Es sollte einer der wenigen Punktsiege für Lanz bleiben.  

Im Ansatz interessant gerieten die gelegentlichen Interventionen von Rietzschel, der eine gewisse Abnutzung des Labels „rechtsextrem“ bestätigte, gar fragte, ob Chrupalla nicht selbst eigentlich gern mal so bezeichnet werden würde – quasi als Auszeichnung für echte Opposition zur herrschenden Politik. „Sie haben da absolut einen Punkt“, räumte Rietzschel kurioserweise auch nach Chrupallas Beschwerden über die Staatsanwaltschaft ein, die nach der immer noch ungeklärten mutmaßlichen Stichattacke auf Chrupalla bei einem Auftritt in Ingolstadt zu schnell die Ermittlungen eingestellt habe. Nur um hinzuzufügen, dass die AfD mit derartigen Unterstellungen eines parteiischen Justizapparates den Zusammenhalt untergrabe. Sind die Staatsorgane nun neutral? Oder stimmt die „Opfererzählung“? Das erfuhr der Zuschauer jedenfalls nicht. Einigen konnten sich die Gäste nur auf den Allgemeinplatz, dass das Debattenklima in letzter Zeit nicht besser geworden sei.

 

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Als Lanz nach dem ausgedehnten Vorgeplänkel endlich beim eigentlichen Thema der Sendung ankam, blieb für eine inhaltliche Entzauberung nicht mehr allzu viel Zeit. CDU-Mann Madsen durfte eine um den Preis von 700 Millionen Euro an Subventionsgeldern angesiedelte Batteriefabrik in Dithmarschen bejubeln, warf den Deutschen schlechte Laune vor und pochte auf die Notwendigkeit qualifizierter Zuwanderung. Richtig überzeugend war dieses „Wir schaffen das“ von der dänischen Grenze allerdings nicht. Hätte die AfD derartige Projekte befürwortet? „Kann ja sein, dass Sie demnächst in einer Landesregierung sitzen“, schmeichelte Lanz Chrupalla mit Verweis auf die 10 Milliarden, die dem Chiphersteller Intel für ein Werk in Sachsen-Anhalt versprochen wurden. Eigentlich keine unknifflige Frage für die AfD, der von links stets vorgeworfen wird, wirtschaftspolitisch zu kaltherzig zu agieren. Auch dank des leicht naiv wirkenden Vortrags von Madsen hatte Chrupalla jedoch keine Probleme, zu parieren: Mit so viel Geld könne man mehr ausrichten, als nur eine Fabrik nach Deutschland zu holen.

Unfreiwillig komisch geriet Chrupallas Einlassung zum Fachkräftemangel. Statt diesen mit außereuropäischer Einwanderung zu lösen, möge man doch Beamte umschulen – und Bürgergeldempfänger in Lohn und Brot bringen. Lanz‘ Versuch, den ehemaligen dänischen Zuwanderer Madsen dagegen in Stellung zu bringen, scheiterte dafür an der geschmeidigen Zustimmung des AfD-Politikers zu qualifizierter Zuwanderung. Ob diese wirklich Parteilinie ist, blieb allerdings offen. 

Das Kalkül, der AfD wirtschaftliche Inkompetenz nachzuweisen, ging nicht auf

Zum Endgegner-Thema hatte Lanz dann die Frage des „Dexit“ erkoren, den AfD-Bundessprecherin Alice Weidel zur Option erklärt hatte – für den Fall, dass es nicht gelinge, die EU zu reformieren. „Haben Sie eine Idee, wie viel Wohlstand verloren gehen würde, wenn wir aus der EU aussteigen würden?“, wollte Lanz wissen. „Sie machen doch jetzt Politik!“ Chrupalla ließ sich nicht auf die Ricarda-Lang-Falle ein, eine Zahl zum Besten zu geben, sondern bezweifelte rundheraus die von Lanz als quasi unbestreitbaren Fakt in den Raum gestellten 163 Milliarden Euro, die Großbritannien nach Ökonomen-Berechnungen jährlich durch den Brexit entgehen würden. Immerhin sei die Situation in England „besser als in Deutschland“. 

Es ist Lanz durchaus hoch anzurechnen, sich an der inhaltlichen Debatte zu versuchen. Zwar wollte das offensichtliche Kalkül nicht aufgehen, der AfD wirtschaftliche Inkompetenz nachzuweisen – dafür gerieten Lanz‘ Angriffe zu apodiktisch und Madsens Schwärmereien zu blumig. Dass statt Klemenz, die in der letzten Stunde der Sendung praktisch gar nicht mehr zu Wort kam, kein Ökonom eingeladen war, oder wenigstens ein Jurist, erwies sich als Schwachpunkt. So fiel es dem wendigen Chrupalla vergleichsweise leicht, die Vorwürfe zu parieren. Was zweifellos eine verschenkte Chance war, da führende Politiker der einstmals wirtschaftsliberalen Partei mittlerweile ja tatsächlich mehr als angreifbare staatskapitalistische Vorstellungen vertreten.

Eigentlich, so Rietzschel in einem Schluss-Ausflug auf die Metaebene, gehe es den AfD-Wählern ja um „Entfremdung“ von der als unbeeinflussbar wahrgenommenen Politik. Eine Rückkehr zur Identifikation mit der politischen Vertretung kann es allerdings auch nur geben, wenn Konfliktthemen wenigstens ergebnisoffen diskutiert werden – und den Bürgern klar wird, dass am Ende sie entscheiden können. Es wäre Zuschauern wie Wählern in diesem Sinne nur zu wünschen, dass dem zarten Trend zur Sachlichkeit weiterhin eine Chance gegeben wird. Andernfalls sieht es für den vielbeschworenen gesellschaftlichen Zusammenhalt zappenduster aus.

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