Sarrazin, Lafontaine und Gauweiler in München - Drei auf einen Streich

Am Montag trafen gleich drei Enfants terribles zusammen: Thilo Sarrazin, Oskar Lafontaine und Peter Gauweiler diskutierten die Thesen aus Sarrazins neuem Buch. Es ging um Einwanderung, Fluchtursachen und die globalisierte Welt. Die Zusammenfassung eines Ehemaligentreffens.

Verstehen sich als Dissidenten: Sarrazin, Lafontaine und Gauweiler / Langen Müller Verlag
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es war ein Ehemaligentreffen, gestern Abend im Münchener Bayerischen Hof. Der ehemalige bayerische Staatsminister und stellvertretende CSU-Vorsitzende Peter Gauweiler diskutierte mit dem ebenso ehemaligen Finanzminister und SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine die Thesen des neuen Buches „Der Staat an seinen Grenzen“ des ehemaligen SPD-Mitglieds Thilo Sarrazin, seines Zeichens ehemaliger Berliner Finanzsenator und Bundesbankvorstand.

Die Dissidenten

Und um die Grenzen des Staates im doppelten Sinne ging es tatsächlich in der folgenden, fast zweistündigen, allerdings nie – so viel sei schon jetzt verraten – kontroversen Diskussion: Sind Grenzen gegen Einwanderung jeder Art überhaupt wünschenswert? Wo liegen die inneren Grenzen des aufnehmenden Staates? Gibt es Grenzen der Belastbarkeit? Und wie sieht es mit den Auswandererländern aus?

Die Besetzung des Podiums war geschickt provokativ gewählt, also auf Dissens mit dem, was Oskar Lafontaine in einen Nebensatz den „Mainstream“ nannte, nicht ohne zu betonen, dass dieser kaum die Mehrheit der Bevölkerung repräsentiere. Dafür jedoch, dass an diesem Münchener Abend drei ausgewiesene Polemiker beisammensaßen, verlief die Diskussionen ausgesprochen friedlich. Nicht einmal Lafontaine redete sich in Rage. Man duzte sich, erinnerte in Halbsätzen an vergangene Zeiten und gemeinsame Gespräche und wusste sich geeint in einer Art Dissidentenrolle. Nur einer gab sich hin und wieder pragmatisch-unwirsch und gelangweilt von den jahrzehntelangen Diskussionen. Es war – der geneigte Leser darf kurz raten – ausgerechnet der ehemalige Law-and-Order-Mann Peter Gauweiler.

Selektive Einwanderung 

Lafontaine und Sarrazin schwelgten hingegen in ex-sozialdemokratischer Harmonie: Entweder offene Grenzen oder Sozialstaat. Beides zusammen sei nicht zu haben. Da man aber den Sozialstaat erhalten wolle, müssten die Grenzen robust gesichert werden. Soweit die Grundbotschaft der beiden ehemaligen Sozialdemokraten. Und selbst im noblen Bayerischen Hof bei Wein und Canapés ahnte man, dass die SPD mit einem anderen Personal und einer anderen Denkkultur heute deutlich besser dastehen könnte.

Dass robuste Grenzsicherung allein kein Problem löst, wissen allerdings auch Sarrazin und Lafontaine. Einwanderung sei wichtig, niemand wolle sich abschotten, aber sie müsse hochgradig selektiv erfolgen. Weder dürften die aufnehmenden Staaten kulturell, sozial oder ökonomisch überfordert werden, noch die Abwanderungsstaaten wertvolle Fachleute verlieren. Dass in Ländern wie Ghana europäische Ärzte Entwicklungshilfe leisteten, während ghanaische Ärzte in London arbeiteten, sei alles andere als sinnvoll.

Differenzen in der Ursachenanalyse

Kleine Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ex-SDPlern gab es allenfalls hinsichtlich der Ursachenanalyse. Für Sarrazin ist Migration vor allem das Ergebnis des Aufeinandertreffens vormoderner Kulturen mit der modernen westlichen Lebenswelt. Lafontaine sieht in altlinker Tradition vor allem die Interventionen der USA und anderer westlicher Länder als Hauptursache für die Fluchtbewegungen der letzten Jahre. Dass etwa der Krieg in Syrien vor allem von Russland und dem Iran geführt wird, ging dabei etwas unter.

Während die beiden Ex-Sozialdemokraten die großen Bögen durch Raum und Zeit spannten, gab der christsoziale Gauweiler den geläuterten Realisten. Vehement plädierte auch er für einen Abzug westlicher Truppen aus den Krisenregionen. Zugewanderte seien umgehend in Arbeit zu bringen, zur Not in einen staatlich organisierten Ersatzdienst. Die Politik der Arbeitsverbote sei gescheitert. Entwicklungsprojekte wie die maritime Seidenstraße müssten, auch zusammen mit China, gefördert werden, um den Menschen vor Ort Perspektiven zu bieten.

Eurozentrische Vergangenheit vs. globalisierte Zukunft

Insbesondere Lafontaine gab sich deutlich globalisierungskritischer. Ihm ging es vor allem um den Abbau von Ausbeutungsverhältnissen sowohl in Europa als auch in Afrika und Asien. Profiteur der Migration sei allenfalls das gutverdienende grün wählende Bürgertum, dem die Wanderungsbewegungen billige Haushaltshilfen und Pflegekräfte ins Land spüle. Das sei Neo-Kolonialismus in Reinform. Im Übrigen – auch hier waren sich die drei Diskutanten einig – gäbe es keinen ethischen Anspruch aus Einwanderung in ein fremdes Land.

So erfrischend, realistisch und ethisch reflektiert die Diskussion der drei Enfants terribles auch war – mitunter beschlich einem das Gefühl, hier diskutiere die eurozentrische Vergangenheit die globalisierte Zukunft. Aber vielleicht muss das bei einem Ehemaligentreffen auch so sein.
 

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