Diskussion um Tempolimit - Freie Fahrt für freie Bürger

Vernünftig wäre es, wenn die USA ihren Bürgern die Schusswaffen wegnehmen würde. Aber es wird nicht geschehen. Genauso ist es mit dem Tempolimit in Deutschland. Es wird nicht kommen. Das FDP-Ergebnis unter jungen Wählern ist der beste Beweis dafür.

Ein Straßenwärter hält an der Autobahn A24 ein Verkehrsschild mit der Geschwindigkeitsangabe 130 Stundenkilometer / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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In Deutschlands Lehrerzimmern und Redaktionsstuben wird noch gerätselt, wie es Christian Lindner gelungen ist, zum Teeniestar der „Generation Greta“ zu werden. Dass ausgerechnet die FDP bei den jungen Erstwählern vor den Grünen landete, sorgte im linksgrünen Milieu für Stirnrunzeln und Staunen bis hin zu Entsetzen.

Erklärungsversuche folgten schnell. Lindner habe sich mit seinen Popstar-Bildchen und seiner Instagram-Ästhetik eben sehr zielgruppengerecht vermarktet, lautete einer. Die FDP-Forderung, den Cannabis-Verkauf zu legalisieren, habe junge Leute überzeugt, ein anderer.

Das mag alles so sein. Aber ein weiterer Grund, der für viele Wahl-O-Mat erprobte Erstwähler den Ausschlag für die FDP gegeben haben könnte, ging bislang unter: das drohende Tempolimit. Grüne und SPD haben in ihren Wahlprogrammen eine generelle Begrenzung auf 130 Kilometer die Stunde vorgesehen. Die FDP ist dagegen.

Die deutsche Autobahn als Inbegriff der Freiheit. Freie Fahrt für freie Bürger. Daran wollen die Liberalen auch weiterhin festhalten. Und damit sprechen sie wohl einen nicht unerheblichen Teil der 18 bis 21 Jahre alten Erstwähler an, die oft auch Erstautofahrer sind. Das ergab zumindest eine nicht-repräsentative Blitzumfrage unter unseren Redaktionspraktikanten und deren erstwählenden Bekannten. Dass die FDP gegen ein allgemeines Tempolimit ist, nannten einige von ihnen als wichtigen Grund für ihre Wahlentscheidung.

Klug taktiert

Kein Wunder also und durchaus klug taktiert, dass ausgerechnet zu diesem potenziellen Streitpunkt einer künftigen Ampelkoalition schon während der strikt vertraulichen Vorgespräche etwas nach außen gedrungen ist. So betonte der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Oliver Luksic, gegenüber der Nachrichtenagentur dpa: „Statt Symbolpolitik wie Tempolimit und Verbrennerverbot geht es für uns um eine bezahlbare, nachhaltige und innovative Mobilität. Dafür werden wir uns auch in allen Gesprächen einsetzen.“

Und Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter, der als möglicher künftiger Verkehrsminister gehandelt wird und nicht gerade als Freund der Autofahrer gilt, zeigte Kompromissbereitschaft. Er sagte der Rheinischen Post und dem Bonner General-Anzeiger: „Ich halte nichts davon, einzelne Maßnahmen zur Bedingung zu machen, das verkompliziert die Verhandlungen und wird unserer Aufgabe nicht gerecht.“

Zwar gingen die Grünen mit „unseren gesamten Positionen“ in die Gespräche, „dazu gehört auch ein Tempolimit 130 auf Autobahnen“. Allerdings gehe es „jetzt nicht um Spiegelstriche, sondern um einen Aufbruch für Klimaneutralität, Fortschritt und Gerechtigkeit“, so Hofreiter.

Deutschland ist das einzige Land in Europa, auf dessen Autobahnen zum Teil unbegrenzt Gas gegeben werden darf. Das lockt Touristen aus Asien bis Amerika an, die im gemieteten Porsche mit 250 Sachen durch die Landschaft rasen. Für den Fall, dass der „Aufbruch für Klimaneutralität, Fortschritt und Gerechtigkeit“, wenn es schlecht läuft, zu Deindustrialisierung, Abstieg und Verteilungskämpfen führt, darf der Tourismus als künftige Einnahmequelle nicht vernachlässigt werden.

Die deutsche Volksseele

Noch wichtiger ist die Bedeutung der freien Fahrt für die deutsche Volksseele. Ein Land, dessen Bürger so vorschriftshörig und obrigkeitstreu sind und das in Verboten und Regularien zu ersticken droht, leistet sich den Luxus eines flächendeckenden und frei zugänglichen Netzes an Autorennbahnen.

Natürlich spricht bei nüchterner Betrachtung sehr vieles für ein allgemeines Tempolimit und sehr wenig dagegen. In der Schweiz, dem Hort freiheitlicher Eigensinnigkeit in Europa, gilt maximal 120. Genauso in den Vereinigten Staaten, wo die Strecken noch viel weiter und die Highways deutlich leerer sind.

Aber es geht nicht nur um Rationalität. Es geht um einen mythischen Kern des nationalen Selbstverständnisses, der zutiefst irrational sein darf. Schließlich wäre es auch äußerst vernünftig, wenn die US-Regierung ihren Bürgern die Schusswaffen wegnehmen würde. Aber es wird nicht geschehen. Genauso ist es mit dem Tempolimit in Deutschland. Es wird nicht kommen. Das FDP-Ergebnis unter jungen Wählern ist der beste Beweis dafür.

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