Talfahrt der FDP - Weder gebraucht noch gewollt

Die Liberalen sind gefangen in einer Ampel-Koalition, in der sie sich selbst schaden. Denn die jüngsten Wahlergebnisse zeigen deutlich, dass FDP-Wähler den von ihrer Partei geradezu lustvoll mitgetragenen rot-grünen Gesellschaftsentwurf ablehnen. Sie hatten vielmehr auf ein gelbes Gegengewicht gehofft. Doch nichts davon ist ersichtlich. Jetzt läuft es in NRW und Schleswig-Holstein auf Schwarz-Grün hinaus. Und bald auch im Bund.

FDP-Chef Christian Lindner und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an diesem Mittwoch im Kanzleramt / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

So erreichen Sie Alexander Marguier:

Anzeige

Wer in diesen Tagen mit Freunden oder Bekannten spricht, die am 26. September vorigen Jahres für die FDP gestimmt haben, sieht sich fast immer mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit, Entsetzen und Resignation konfrontiert. Die zurückliegende Bundestagswahl hatte den Liberalen bekanntlich ein Zweitstimmenergebnis von 11,5 Prozent beschert – und damit das zweitbeste seit mehr als einem halben Jahrhundert. Entsprechend groß waren die Erwartungen, insbesondere nach den lähmenden GroKo-Jahren unter Angela Merkel. Dass die auf dieser Basis gebildete Ampel-Koalition kein Herzensanliegen klassischer FDP-Wähler war, liegt zwar auf der Hand. Die meisten von ihnen haben es aber mangels ernstzunehmender Alternativen akzeptiert – natürlich verbunden mit der Hoffnung, „Gelb“ würde wenigstens ein marktwirtschaftliches Korrektiv zum grün-roten Etatismus bilden. Und auch die Überschrift des Koalitionsvertrags klang noch irgendwie vielversprechend: „Mehr Fortschritt wagen“, das war gewissermaßen die Formel für einen Bruch mit der bleiernen Merkel-Zeit. Denkste!

Inzwischen scheint kein Tag mehr zu vergehen, an dem die Liberalen sich nicht geradezu genüsslich dem sozialistischen Gesellschaftsexperiment eines neuen Deutschlands hingeben, das auf Umverteilung, Neuverschuldung, utopistischer Energiepolitik und woken Zeitgeistthemen basiert. Jüngste Beispiele: die gemeinsam mit der FDP beschlossene Abschaffung („Aussetzung“) der Hartz-IV-Sanktionen, womit praktisch das bedingungslose Grundeinkommen durch die Hintertür eingeführt wird. Oder das aberwitzige Neun-Euro-Ticket, laut FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing ein „Anreiz zum Energiesparen und für den dauerhaften Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr“. Was einem talentierten Polemiker wie Christian Lindner zu diesen bizarren Maßnahmen einfallen würde, wäre er nicht selbst Teil der Regierung, lässt sich erahnen. Stattdessen muss er das alles jetzt schönreden und seiner Klientel als Fortschritt verkaufen, den es ja zu „wagen“ gilt.

Fatale Parallele zu 2009

Das Problem des FDP-Vorsitzenden: Ausgerechnet Liberale neigen in besonderer Weise zu eigenständigem Denken, lassen sich (im Gegensatz zu Unions-Anhängern) ungern für dumm verkaufen und haben noch dazu ein besonders ausgeprägtes Sensorium, wenn es um staatliche Übergriffigkeit und „Nudging“ geht – die Bürger also wie Kleinkinder in die vermeintlich richtige Richtung geschubst werden sollen. In einer Rundemail, die derzeit unter FDP-Mitgliedern an der Basis kursiert, heißt es etwa: „Ich habe im liberalen Teil meines Bekanntenkreises kaum noch Leute, die wissen, warum sie die FDP wählen sollen.“ Die Situation erinnere „fatal“ an 2009: „Wir waren mit klaren inhaltlichen Punkten zur Bundestagswahl angetreten, um dann nach der Wahl genau das Gegenteil zu tun.“ Fazit: „Wenn wir jetzt nicht ganz schnell die Kurve bekommen, neue Konzepte entwickeln und mit neuen Köpfen das verlorengegangene Vertrauen wieder aufbauen, sehe ich für die FDP auf lange Sicht keine Zukunft mehr.“

Tatsächlich ist die Situation schon jetzt dramatisch, die drei zurückliegenden Landtagswahlen waren für die FDP ein Desaster: im Saarland an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, in Schleswig-Holstein 5,1 Punkte auf jetzt nur noch 6,4 Prozent verloren. Und in Nordrhein-Westfalen sogar noch brutaler abgestraft: Dort ging es am 15. Mai um 6,4 Punkte auf nunmehr 5,9 Prozent nach unten. In NRW läuft es jetzt also auf Schwarz-Grün hinaus, weil es dort trotz der Zugewinne für die CDU für eine Fortsetzung der schwarz-gelben Regierung nicht mehr reicht. Die Signale aus Schleswig-Holstein sind indes besonders bitter: Obwohl der dortige CDU-Ministerpräsident Daniel Günther gemeinsam mit der FDP ein Zweierbündnis bilden könnte, strebt er lieber eine Koalition mit den Grünen an. Es zeichnet sich folgendes Bild ab: Die FDP wird weder gebraucht, noch ist sie gewollt. Ihr droht als Ampel-Männchen die endgültige Verzwergung.

FDP mit Stockholm-Syndrom

Denn das Problem ist in mehrfacher Hinsicht struktureller Art und dürfte keineswegs von vorübergehender Natur sein. Zum einen ticken Liberalen-Wähler grundsätzlich konservativer als Anhänger der Unionsparteien. Die Mär, wonach die Ampel-Koalition für einen „progressiven“ Politikentwurf steht, verfängt also nicht im Allergeringsten – erst recht nicht, solange die FDP wirkt, als hätte sie in rot-grüner Gefangenschaft ein massives Stockholm-Syndrom entwickelt. Da helfen auch gelegentliche Ausbruchsversuche einer Marie-Agnes Strack-Zimmermann nicht weiter, wenn es darum geht, den Schlingerkurs des Bundeskanzlers in Sachen Waffenlieferungen an die Ukraine zu beklagen. Zumal viele FDP-Wähler sich weniger um Panzer für Kiew sorgen, sondern um steigende Energiepreise in Deutschland: Sie erwarten schlicht und ergreifend vom liberalen Spitzenpersonal ein klares Bekenntnis für den Weiterbetrieb der heimischen Kernkraftwerke. Doch nichts davon ist zu spüren; man könnte ja womöglich die Ampel gefährden.

Die eiserne Ampel-Treue zahlt sich jedoch nicht aus, wie die jüngsten Beispiele aus Nordrhein-Westfalen und aus Schleswig-Holstein zeigen. Rein rechnerisch wäre in NRW eine Ampel-Koalition ja durchaus möglich; warum also nicht auch dort „mehr Aufbruch wagen“? Und sogar im nördlichsten Bundesland könnten SPD, Grüne und FDP (gemeinsam mit dem eher sozialdemokratischen Südschleswigschen Wählerverband) ein vermeintlich progressives Bündnis gegen die CDU bilden. Aber beide Szenarien sind fernab jeder Realität. Es zeichnet sich nämlich ab, dass Schwarz-Grün die Zukunft gehören soll – und zwar aus Sicht beider Parteien mit klarer Perspektive auch auf den Bund. Das 25,7-Prozent-Ergebnis der SPD bei der zurückliegenden Bundestagswahl dürfte sich immer deutlicher als Zwischenhoch erweisen; die FDP marginalisiert sich in ihrer Ampel-Falle zur quantité négligeable. Und Rot-Rot-Grün ist als linke Alternative ohnehin nur noch illusorisch.

Die nächste Bundesregierung, diese Prognose sei an dieser Stelle allen politischen Unwägbarkeiten zum Trotz gewagt, wird von einer Großen Koalition gestellt werden. Nur, dass statt der SPD dann eben die Grünen der neue Bündnispartner der Union sind. Denn wie gesagt: Die FDP wird weder gebraucht, noch wird sie gewollt.

Anzeige