Stuttgarter Krawallnacht - Dieser Hass und seine Verharmlosung sind brandgefährlich

Was war das in Stuttgart? Ein „Partyexzess“, wie schnell behauptet wurde? Nein, sondern ein hochpolitischer Gewaltakt, der gezeigt hat, welcher Hass in unserer Gesellschaft brodelt und wie sich dieser in Zeiten der Corona-Restriktionen entlädt.

Was, wenn nicht Hass, treibt junge Menschen dazu, A.C.A.B. („All cops are bastards“) zu skandieren? / dpa
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Michael Sommer lehrt an der Universität Oldenburg Alte Geschichte und moderiert gemeinsam mit Evolutionsbiologe Axel Meyer den Cicero-Wissenschafts-Podcast

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Als die Stuttgarter am Sonntag aufwachten, konnten sie das Trümmerfeld besichtigen, in das „Kleingruppen“ in der Nacht zuvor ihre Innenstadt verwandelt hatten. Die Flaniermeile der Schwabenmetropole, sonst nicht unbedingt als gefährliches Pflaster verschrien, bot ein Bild der Verwüstung. Den Anlass zu der Gewaltorgie hatte eine Routinemaßnahme der Polizei geliefert: Ein 17-jähriger soll in eine Drogenkontrolle geraten sein, worauf sich, so die Berichte, blitzartig rund 300 Personen mit dem Jugendlichen „solidarisiert“ hätten.

Schnell waren Politik und Behörden mit beschwichtigenden Stellungnahmen bei der Hand. Die Motive der Randalierer seien mitnichten politisch gewesen, vielmehr sei die Partystimmung in der Landeshauptstadt ein wenig aus dem Ruder gelaufen. Durch solche Lesarten wird die Krawallnacht von Stuttgart zu einem kontingenten Ereignis, das immer und überall hätte passieren können und sich sozusagen nur zufällig im Deutschland des Jahres 2020 zugetragen hat.

Ein pubertärer Partyexzess?

Abgesehen davon, dass Sturmhauben gewöhnlich nicht zur Grundausstattung von Partygängern gehören und sich schon in den Wochen zuvor angekündigt hatte, dass etwas in der Baden-Württembergischen Landeshauptstadt nicht stimmte, sollte doch die Frage erlaubt sein: Wie unpolitisch ist es, dem Staat das Gewaltmonopol zu entwinden, und das nicht in irgendeinem no-go-area, sondern mitten in Stuttgart, auf Königstraße und Schloßplatz? Kann man es wirklich als pubertären Partyexzess abtun, wenn junge Männer massive Gewalt gegen Sachen und Personen anwenden und die Sicherheitskräfte stundenlang zum Narren halten?

Ich behaupte: Politisch, ja hochpolitisch sind die Umstände, die zur Stuttgarter Krawallnacht führten. Politisch sind auch ihre Nichtbewältigung durch die Polizei und das bagatellisierende Echo in der Öffentlichkeit. Über das Feld der Randalierer wissen wir mittlerweile, dass es so bunt war wie die von Multikulti-Ideologen erträumte Republik. Biodeutsche Junkies standen in der Steinewerferphalanx neben Allahu-akbar-Rufern und die wiederum neben solchen, deren Tritte vermeintlich nie auf Menschen, sondern stets auf „das System“ zielen; Bürgersöhnchen auf Partyentzug machten beim Plündern gemeinsame Sache mit sozialem Treibgut, wie es immer dann auf den Plan gerufen wird, wenn die Gewaltspirale am Rotieren ist.

Ein ungebärdiger, atavistischer Hass

Dürfen wir nur deshalb Entwarnung geben, weil die Lumpen ein zusammengewürfelter Haufen sind? Ich meine: nein. In Stuttgart kollidierte mit den Schaufenstern der bürgerlichen Gesellschaft ein ungebärdiger, atavistischer Hass, der sich aus unterschiedlichen Quellen speist, aber darum nicht unpolitisch noch ungefährlich ist. Denn Hass war es, der die Krawallmacher antrieb, nicht nur blinde Zerstörungswut. Was, wenn nicht Hass, treibt junge Menschen dazu, A.C.A.B. („All cops are bastards“) zu skandieren? Wir haben hier sozusagen die Bodentruppen der Taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah vor uns, die Deutschlands Polizisten auf dem Müll entsorgen möchte.

Der Hass ist brandgefährlich. Es ist der Hass der Zukurzgekommenen auf die Besitzenden; der Hass der „Kanaken“ auf die „Kartoffeln“; der Hass der Jungen, die wissen, dass sie sich nie ein Reihenhaus werden leisten können, auf die Alten, die ihr Schäfchen längst im Trockenen haben; der Hass der Underdogs auf das Establishment; der Hass auch des Groben, Niederträchtigen auf alles, was edler und besser ist als ihre eigene verkrachte Existenz.

Druck im Kessel

Ein Hass im Übrigen, wie er sich an längst für normal gehaltenen Tagen gegen Wartehäuschen und Hauswände entlädt, wenn Vandalen und Graffitisprayer zuschlagen. Zwar ein Hass der vielen Dimensionen, deren Gleichrichter aber die Kluft von Status, Bildung und Besitz ist und deren Katalysatoren die Corona-Restriktionen und die identitätspolitischen Debatten der letzten Wochen sein dürften. Durchaus richtig dürfte sein, was der Kriminologe Christian Pfeiffer beobachtet hat: dass das Eingeschlossensein im Lockdown bei vielen den Druck im Kessel um etliche Atü hat wachsen lassen.

Zu befürchten ist aber eben auch, dass die Debatten um Polizeigewalt und Rassismus, die nach George Floyds Tod in Minneapolis von den USA nach Europa geschwappt sind, diejenigen zur Leisetreterei verführen, die dem Mob doch von Amts wegen robust hätten entgegentreten müssen. Dass das bizarre Framing der Ereignisse, das prügelnde und plündernde Horden zu „Kleingruppen“ verniedlicht hat, auch etwas damit zu tun hat, dass das Grundrecht auf Eigentum, ein Eckpfeiler der liberalen Demokratie, ungestraft zur Disposition gestellt werden kann. Stuttgart dokumentiert, wie sich die vielen Dimensionen des Hasses zu einer explosiven Gemengelage verquirlen. Und die Reaktionen auf die Krawallnacht lassen ahnen, wie sehr sich das bürgerliche Deutschland aus Angst, seine Privilegien könnten ruchbar werden, schon in die Defensive hat drängen lassen. Aus dieser Angst sollte es wieder erwachen und seine Werte selbstbewusst vertreten. Und mit dem Mob die Sprache sprechen, die er versteht.

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