Nachlese zu Steinmeiers Laudatio - Die große Lücke

Bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Angela Merkel fand Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nur lobende Worte für die Ex-Kanzlerin. Doch ihren Einsatz für die Pipeline Nord Stream 2 ließ er unerwähnt.

Da kann man sich ruhig mal freuen: Das „Bundesverdienstkreuz in besonderer Ausfertigung“ für Angela Merkel / dpa
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Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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Wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier heute auf seinem Flug von Berlin nach Warschau die Pressemappe mit den Kommentaren zu der gestrigen Verleihung des „Bundesverdienstkreuzes in besonderer Ausfertigung“ an Angela Merkel liest, so wird er wenig erfreut sein. Nicht nur, dass viele deutsche Kommentatoren ihm vorhalten, die Ehrung der Altbundeskanzlerin komme viel zu früh, da die Folgen ihrer Politik längst noch nicht abzuschätzen seien, so sparen auch die polnischen Medien nicht mit Kritik, und zwar lagerübergreifend von links bis rechts. Steinmeier nimmt am Mittwoch an den Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des Warschauer Ghetto-Aufstandes teil.

Die der nationalpopulistischen Regierungspartei PiS nahestehende Presse bemüht wieder einmal die Formulierung vom „Adlatus Schröders“; letzterer habe sich an Russland verkauft. Das PiS-kritische einflussreiche Intellektuellenblatt Rzeczpospolita gibt ihm das Etikett „Architekt der pathologischen Russland-Politik Berlins“; das größte Internetportal Onet, ebenfalls in Opposition zur Regierung, nennt die Ehrung für Merkel „zweifelhaft“.

Eigentlich bieten die lobenden Worte Steinmeiers aus Anlass der Ordensverleihung gar keinen Anlass für diese harschen Reaktionen an der Weichsel: Merkels Pflichtbewusstsein, ihre Hartnäckigkeit, ihr uneitles Auftreten, ihre Fähigkeit, Kompromisse auszuhandeln – all dies steht außer Zweifel. Doch in der chronologischen Aufzählung ihrer Taten durch Steinmeier klafft eine große Lücke.

Zwar lobt er ihren unermüdlichen Einsatz für einen Waffenstillstand im Donbass 2014, doch was darauf folgte, lässt er aus: Dass die Ostpolitik des Tandems Merkel/Steinmeier Putin nicht nur den Eindruck vermittelte, dass die Strafen für seine militärische Aggression sehr gering ausfallen, sondern ihm auch das Instrument in die Hand gab, ganz Mitteleuropa wirtschaftspolitisch zu erpressen.  

Die Bemühungen von Minsk II haben Merkel und Steinmeier konterkariert

Es begann damit, dass die russischen Truppen, die unter falscher Flagge als einheimische „Separatisten“ aufmarschierten, schon nach kurzer Zeit die Vereinbarung von Minsk I ignorierten; auch das folgende Minsk II hat sich letztlich als untauglich erwiesen. Immerhin haben die Minsker Abkommen der Ukraine Zeit gegeben, ihre Armee zu modernisieren – und dies ist zweifellos ein nicht zu unterschätzendes Verdienst der Bundesregierung.
 
Doch dann haben Merkel und Steinmeier die eigenen Bemühungen konterkariert, als sie gegen alle Proteste der östlichen Nachbarn den Bau der umstrittenen Pipeline Nord Stream 2 durchsetzten. Auch äußerte Steinmeier öffentlich Zweifel an der Wirksamkeit der Sanktionen und bekundete zudem in Worten und Gesten bestes Einvernehmen mit Putins Außenminister Sergej Lawrow.

Immerhin kam er nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten zu besseren Einsichten. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2020 erklärte er: „Russland hat militärische Gewalt und gewaltsame Verschiebung von Grenzen auf dem europäischen Kontinent wieder zum Mittel von Politik gemacht.“

Doch dass Nord Stream 2 eine Rolle bei den Moskauer Plänen spielte, kam ihm offenkundig nicht in den Sinn. So rechtfertigte er im Februar 2021 die Vollendung der umstrittenen Pipeline mit den 20 Millionen Toten der Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs. Allerdings übersah er dabei, dass ja mehrere Millionen davon Ukrainer waren, gegen deren Nachkommen Putin damals schon seit sieben Jahren Krieg führen ließ.

Steinmeier übte mehr Selbstkritik als Merkel

Nach dem 24. Februar 2022 wurde Steinmeier zu einem der entschiedensten Ankläger des „eingebunkerten Kriegstreibers“, wie er Putin nannte. Die Annahme, dass dieser für seinen „imperialen Wahn“ nicht den totalen Ruin seines Landes in Kauf nehmen würde, habe sich als falsch erwiesen. Allerdings fügte er hinzu, dass nicht er allein diesen Fehleinschätzungen erlegen sei, was ihm den Vorwurf einbrachte, sich seiner Rolle als Hauptverantwortlicher dafür nicht stellen zu wollen.

Immerhin ging er mit dem Eingeständnis seines fundamentalen Irrtums weiter als Angela Merkel, die wenige Monate nach ihrem Auszug aus dem Kanzleramt über ihre gescheiterte Dialogpolitik gegenüber Putin sagte: „Diplomatie ist ja nicht, wenn sie nicht gelingt, deshalb falsch gewesen. Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: Das war falsch, und werde deshalb auch mich nicht entschuldigen.“ Diese Sätze wurden ihr allerdings als überaus selbstgerecht angekreidet, ganz abgesehen davon, dass für die Bewertung des Erfolgs von Diplomatie nun einmal nicht das Bemühen, sondern das Ergebnis maßgebend ist.

Ganz offenkundig hat sich Steinmeier als Bundespräsident selbst die Aufgabe gestellt, nach den schwerwiegenden Fehleinschätzungen, die auf sein Konto als Außenminister gehen, seinen Teil dazu beizutragen, dass die Nachbarn das verlorene Vertrauen in die Deutschen zurückgewinnen.

Doch seine umstrittene Entscheidung, Angela Merkel in eine Reihe mit den bisherigen Ordensträgern Konrad Adenauer und Helmut Kohl zu stellen, hat ihn diesem Ziel kaum näher gebracht. Ihm wurde sogar unterstellt, sich auf diese Weise selbst ehren und loben zu wollen, da er ja ihre Politik mitgestaltet hat. Über dem Bundespräsidenten Steinmeier schwebt nach wie vor der schwere Schatten des Bundesaußenministers Steinmeier.

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