Pro-Palästinenser-Engagement - Steigbügelhalter für Islamisten

Der islamistische Aufmarsch in Essen muss als überfälliges Warnsignal gedeutet werden. Wir sollten uns bewusst sein, dass Aktivismus, Islamismus und Antisemitismus beim Thema Nahostkonflikt oft fließende Übergänge bilden.

Auf einer Demonstration in Essen setzten Teilnehmer klar islamistische Zeichen / dpa
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Autoreninfo

Dr. Andreas Jacobs ist Leiter des Teams Gesellschaftlicher Zusammenhalt der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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Als am vergangenen Freitag in Essen islamistische Symbole und Flaggen auf einer vorgeblichen „Pro-Palästina-Demonstration“ auftauchten, zeigten sich Kommentatoren und Politiker zurecht entsetzt. Der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen bezeichnete den Aufmarsch als „nur schwer erträglich“, NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst sprach von einer Grenzüberschreitung und auch andere Politiker fanden klare Worte. Diese Klarheit ist zu begrüßen. Allerdings ist das Phänomen des Kaperns und Unterwanderns tatsächlicher oder vermeintlicher menschenrechtlicher Aktivismen durch radikalislamische Gruppen in Deutschland seit langem bekannt. 

Wie jetzt in Essen waren es auch in der Vergangenheit vor allem Gruppierungen aus dem Spektrum der mit einem Betätigungsverbot versehenen Hizb ut-Tahrir (HuT), die aktuelle politische Debatten und Ereignisse nutzten, um Propaganda für den Gottesstaat zu machen. Gestützt auf antiwestliche Verschwörungsmythen verbreiten HuT-nahe Gruppierungen wie Generation Islam und Identität Islam das Narrativ, Muslime seien weltweit Opfer von Unterdrückung und rassistischer Ausgrenzung. Der „Kampf für die Rechte der Palästinenser“ dient hier vor allem als Chiffre im Kampf für das islamistische Projekt. 

Aktionen in deutschen Innenstädten

Die HuT-nahen Gruppierungen und andere Islamisten knüpfen mit ihren Aktionen in deutschen Innenstädten an die lange islamistische Tradition der Verbindung von religiös verbrämter Ideologie mit Antisemitismus, Gerechtigkeitsnarrativen und antiwestlichen Diskursen an. Bereits die Entstehung des modernen Islamismus vor fast hundert Jahren beruhte auch auf dem, was man heute „postkoloniales Denken“ nennt. Und sie beruhte lange vor der Staatsgründung Israels auf einem deutlich formulierten Antisemitismus.

 

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Spätestens in den 1960er Jahren bildeten sich dann Allianzen zwischen islamistischen und linken Gruppierungen und Staaten, die im Kampf gegen das, was sie als (Neo)Kolonialismus und Imperialismus verstanden, ihren gemeinsamen Nenner fanden. Seither gehört das Bekenntnis für den „palästinensischen Freiheitskampf“ gleichermaßen zur linken wie zur islamistischen Folklore.

Die Verbesserung der tatsächlichen Lebenssituation der Palästinenser ist beiden Seiten bestenfalls zweitrangig. Dafür bieten die Terroristen der Hamas den perfekten gemeinsamen Projektionsraum: Freiheitskämpfer gegen das „Kolonialprojekt Israel“ für die einen, Gotteskrieger gegen die Ungläubigen für die anderen. Dass jetzt Kalifats-Anhänger mit sich „progressiv“ nennenden Menschenrechtsaktivisten gemeinsam durch deutsche Innenstädte marschieren, hat also eine lange Vorgeschichte. 

Ein überfälliges Warnsignal

Für Staat und Gesellschaft in Deutschland ist der Aufmarsch von Essen daher ein überfälliges Warnsignal. Die Politik muss den Schulterschluss zwischen Teilen der aktivistischen Linken und islamistischen Gruppierungen deutlich stärker in den Blick nehmen. Sicherheitskräfte und Strafverfolgungsbehörden brauchen klare Handhabe und einen geschulten Blick für aktuelle islamistische Symboliken und Bezüge. Medien, Kulturbetrieb und Zivilgesellschaft müssen sich bewusst sein, dass Aktivismus, Islamismus und Antisemitismus oft fließende Übergänge bilden.

Universitäten und Forschungsinstitute brauchen deutlich mehr politikrelevante Forschung zu diesen Übergängen und zu den modernen Ausprägungen des Islamismus. Schließlich muss sich der legale und legitime Einsatz für die Rechte der Palästinenser immer wieder selbstkritisch die Frage stellen, ob und inwieweit er durch sein Engagement zum Steigbügelhalter islamistischer Ideologen und Aktivisten wird.

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